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Unter der Lupe: Halbwahrheiten über die Autozukunft

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Mythen und Halbwahrheiten über die Zukunft des Autos

Der Verbrenner stirbt aus, Plug-In-Hybride sind Ladenhüter und Wasserstoff ist zu teuer. Stimmt das? BR24 hat im Rahmen der IAA in München sechs Thesen über die Zukunft des Autos geprüft – mit teils überraschenden Erkenntnissen.

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Immer mehr Autokunden bleiben lieber bei ihrem alten Fahrzeug oder leasen ein Auto. So meldete die Autohandelsplattform Carwow eine Verdopplung der Leasingabschlüsse in den vergangenen zehn Monaten. Viele Verbraucher wollen sich offensichtlich nicht mehr für einen längeren Zeitraum auf ein neues Auto festlegen. Zu unsicher ist, was der technologische Wandel bringt und wie die Mobilität der Zukunft aussehen wird.

Mit welchen Autos wir künftig fahren werden, ist zwar unklar, doch auch auf der Internationalen Automobilmesse IAA in München werden immer wieder Thesen aufgestellt. Wir haben sechs davon geprüft und dabei eines festgestellt: Vorsicht vor Halbwahrheiten!

1. Verbrenner sterben aus

Dafür spricht: Hersteller weltweit richten ihre Budgets auf Elektromotoren aus und investieren überproportional in Alternativen zum bewährten Ottomotor, der sich immerhin 150 Jahre unangefochten am Markt gehalten hat. Genau deswegen wollen sich viele Hersteller aber nicht vollständig vom Verbrenner trennen.

Dagegen spricht: BMW, Toyota, Honda, Mazda, aber auch chinesische Firmen werden vorerst weiter Benziner und Diesel-Fahrzeuge bauen. Der saudische Ölkonzern Aramco beispielsweise hat mit Renault und dem chinesischen Hersteller Geely ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet: Ziel ist die Produktion von fünf Millionen Verbrennungsmotoren jährlich. Denn selbst wenn sich in der auf Stromer fixierten EU die E-Mobilität schnell genug etablieren sollte, wird der Rest der Welt noch lange mit Verbrennern fahren. Das liegt auch am riesigen Altbestand, der auf allen Kontinenten weiter fährt. Nicht zu vergessen der Schwerlastverkehr, für den Verbrenneralternativen erst noch den Praxistest bestehen müssen.

Der Verbrenner wird also auf absehbare Zeit nicht aussterben, sondern eher neben dem Elektromotor bestehen.

2. Keiner will mehr Hybrid

Dafür spricht: Die Zahl der Neuzulassungen von sogenannten Plug-in-Hybriden ist laut Kraftfahrtbundesamt-Statistik im Juli zum Vorjahr um knapp 40 Prozent eingebrochen. Dies wird auf den Wegfall der Förderung zu Jahresbeginn 2023 zurückgeführt. Plug-in-Hybride verfügen über zwei kombinierte Motoren, einen konventionellen und einen elektrischen. Dadurch können sie sowohl rein elektrisch auf kurzen Strecken als auch mit dem Verbrennungsmotor auf längeren Distanzen fahren.

Dagegen spricht: Bereits heute ist fast jedes Neufahrzeug ein sogenannter Mild-Hybrid mit einem kleinen Elektro-Hilfsmotor, der beim Starten und Anfahren den Verbrenner unterstützt. Außerdem gibt es auch für die anspruchsvolleren Plug-in-Hybride weiterhin Angebot und Nachfrage.

Besonders die asiatischen Hersteller haben sich zur Weiterentwicklung dieser Technik bekannt. Neben Toyota, Mazda und dem chinesischen BYD-Konzern sind aber auch einige deutsche Hersteller noch nicht ausgestiegen. Für die zum Volkswagenkonzern gehörende Marke SEAT/Cupra antwortete eine Unternehmenssprecherin auf BR24-Anfrage: "Aus unserer Sicht ist Hybrid nicht tot. Wir entwickeln die nächste Generation mit einer deutlich höheren Reichweite. Und wir sind für Regionen, wo es noch keine ausreichende Ladeinfrastruktur gibt, ein absoluter Verfechter von Hybrid."

Offensichtlich rechnen einige Hersteller mit Kunden, die in dieser unsicheren Wendezeit nicht ganz auf den Verbrenner verzichten und gleichzeitig die Vorteile der E-Mobilität genießen wollen. Das zeigt auch eine aktuelle Konsumentenbefragung der Unternehmensberatung Deloitte. Demnach ist das Interesse an Hybridautos (27 %) größer als an Stromern (16 %).

Damit sehen Hersteller und Kunden den Hybrid positiver als Ingenieure und Motorenexperten. Hybridantriebe gelten unter Skeptikern als fauler Kompromiss. Aber selbst der international renommierter Motorenfachmann Burkhard Göschel sagte anlässlich der Elektroauto-Brandkatastrophe im Wattenmeer: "Solange die ethischen Fragen der Elektrifizierung nicht gelöst sind, halte ich Hybridisierung für eine Alternative. Ich erwarte kein Totalverschwinden des Verbrenners."

3. E-Fuels ohne Zukunft

Dafür spricht: Synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, sind in der EU-Regulierung über Flottengrenzwerte zunächst nicht berücksichtigt worden.

Dagegen spricht: Auf Druck der Bundesregierung im März 2023 hin hat sich das selbst für die elektrofokussierte EU geändert. E-Fuels und damit Verbrenner-Motoren sollen auch innerhalb der Flottengrenzwertregulierung eingesetzt werden dürfen. Bis zum Herbst 2024 soll demzufolge eine neue Fahrzeugklasse namens "E-Fuels only" geschaffen werden. Autos mit diesem Siegel dürften dann auch nach 2035 zugelassen werden.

Global betrachtet sieht die Lage ohnehin noch viel technologieoffener aus. China als größter Automarkt der Welt verfolgt einen anderen Weg und fördert neben E-Mobilität auch Methanol, Wasserstoff und E-Fuels. Der weltgrößte Ölförderer Aramco hat einen 1,5 Milliarden US-Dollar schweren Nachhaltigkeitsfonds aufgelegt, der unter anderem in synthetische Kraftstoffe investiert, um diese effizienter und billiger zu machen.

  • Zum Artikel: Sind E-Fuels die Zukunft?

4. Diesel ist tot

Dafür spricht: PKW mit Dieselmotoren haben seit dem "Abgasskandal" einen Imageschaden erlitten. Die Politik hat darauf mit scharfer Regulierung reagiert. Fahrverbote in Innenstädten werden diskutiert, steuerliche Vorteile wie das Dieselprivileg stehen unter Beschuss. Das hat sinkende Verkaufszahlen zur Folge.

Dagegen spricht: Die Optimierung des Schadstoffausstoßes beim Diesel hat Fortschritte gemacht. Der ADAC wies im Ecotest nach, dass Euro-6d-TEMP-Diesel durchschnittlich 76 Prozent weniger Stickoxide (NOx) ausstoßen als Euro-6b-Diesel – und 85 Prozent weniger NOx als Euro-5-Diesel. Stichproben bei Messungen auf der Straße hätten gezeigt, dass die Schadstoffreduzierung bei guten Euro-6d-TEMP-Dieseln im Vergleich zu durchschnittlichen Euro-5-Dieseln sogar bei 95 bis 99 Prozent liege. Der Karlsruher Motorenforscher Prof. Thomas Koch hält die Emissionsfrage "für eindrücklich gelöst", so gut, dass noch schärfere Euro-7-Normvorgaben nur noch eine "punktuelle Verbesserung" beim Diesel bringen würden.

5. Wasserstoff gilt als Nischenprodukt

Dafür spricht: Nur sogenannter "grüner Wasserstoff" bietet im Verkehrssektor eine schlüssige Alternative zur Elektromobilität. Doch hapert es bislang bei den Endverbraucher-Kosten. Der aktuelle Wasserstoffpreis an den viel zu wenigen Wasserstofftankstellen betrug in den vergangenen Jahren EU-weit einheitlich 9,50 Euro pro Kilogramm. Eine freiwillige Festlegung der Initiative Clean Energy Partnership, die nicht wettbewerbsfähig ist.

Dagegen spricht: Der Preisnachteil könnte sinken. Genau darauf setzen gerade die USA. Im Rahmen ihrer Wasserstoff-Motor-Offensive sollen die Produktionskosten von derzeit 3,81 auf 1 US-Dollar pro Kilogramm Wasserstoff bis 2030 gedrückt werden. Seit dem Amtsantritt von Präsident Biden wurden Förderprojekte von 9,5 Milliarden US-Dollar aufgelegt, daneben gibt es im Rahmen des "Inflation Reduction Acts (IRA)" Steuergutschriften von drei US-Dollar pro Kilogramm.

Hinzu kommt, dass vor allem große Nutzfahrzeugzulieferer weiter in ihre Wasserstoffkompetenz investieren. Bei ZF Friedrichshafen, Nummer drei weltweit, zeigen die Kundendaten immerhin 40 Prozent wasserstofffähige Flotten. Denn auch Wasserstoff-Kritiker räumen ein: Je höher die Reichweitenanforderung und je schwerer die Last, die ein Fahrzeug bewegen muss, desto mehr spricht für den Wasserstoffmotor. Als Daumenregel gilt in der Branche eine Distanz von über 500 Kilometern für Schwerlastverkehr, ab der Wasserstoffmotoren zur umweltgerechten Alternative für Dekarbonisierung werden können. Auch bei schweren Nutzfahrzeugen wie Baggern oder Kippern kann Wasserstoff zum Ersatz für Dieselflotten werden.

Der Blick auf Industrie und Politik zeigt: Wasserstoff als Antriebsart kann nach wie vor nicht ignoriert werden. Er ist so attraktiv, dass ein Wettbewerb um die Pole-Position bei Forschung, Entwicklung und Anwendung weltweit im Gange ist.

  • Zum Artikel: Wasserstoff-Fahrzeuge: Auch sie werden wohl zum Einsatz kommen

6. Reparieren lohnt sich nicht

Dafür spricht: Viele Kunden haben im Autohaus sicher schon mal gehört: "Reparieren lohnt sich nicht". Tatsächlich steigt der maßgebliche "Reparaturkostenindex Kraftfahrt" laut VDA-Statistik seit Jahren deutlich.

Dagegen spricht: Die Haltedauer für Pkw steigt und liegt mittlerweile bei knapp zehn Jahren. Auch die Industrie hat bereits erkannt, dass Nachfrage nach kostengünstigen, zeitwertgerechten Reparaturen statt Neukauf besteht. Renault geht mit der Neueröffnung seiner "Refactory" im französischen Flins diesen Weg. Hier werden alte Verbrenner und E-Autos mit runderneuerten Ersatzteilen wieder instand gesetzt. Auch Volkswagen bietet seit 2017 Jahr in ausgewählten Werkstätten für Fahrzeuge über vier Jahre einen "Economy Service" mit reduzierten Preisen an. Daimler hat für gewerbliche Kunden im Internet eine Mercedes-Tauschteileplattform, Ford wendet sich mit der Zweitmarke "Motorcraft" an Halter mit Autos, die älter als fünf Jahre sind. Selbst BMW vertreibt unter dem Namen "encory" seit einiger Zeit refabrizierte Autoteile.

Autokunden sollten daher vor dem Neukauf eine korrekte Kosten-Nutzen-Analyse machen. Denn zeitwertgerechte Reparaturen können im Sinne der Kreislaufwirtschaft den Geldbeutel und die Umwelt schonen.

  • Zum Artikel Preisschock: Autos immer teurer - Was tun?

Im Video: Am Dienstag beginnt die IAA Mobility in München

München: Auf dem "IAA Open Space" werden die Stände für die Automesse IAA Mobility aufgebaut
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Matthias Balk
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Die IAA Mobility startet morgen in München mit dem Pressetag. In der Innenstadt werden zahlreiche Besucher der Mobilitätsmesse erwartet.

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