Ein paar Zehntausend Euro geschenkt bekommen, das klingt zunächst sehr verlockend. Genau das verspricht das BAföG, die Anfang der 1970er-Jahre eingeführte Ausbildungsförderung des deutschen Staates. Doch zahlreiche Studierende verzichten offenbar freiwillig auf diesen Batzen Geld.
"Das BAföG hat einen schlechten Ruf in meinem Umfeld", erzählt Julia Winkler dem BR. Die junge Frau studiert Journalistik an der Uni Eichstätt. Das System könnte eigentlich ganz gut sein, meint sie, "aber ich kenne niemanden, bei dem es optimal gelaufen ist".
"Alles, was keine heile Familie ist" – für BAföG-Ämter ein Problem
Auch bei Julia Winkler selbst läuft es bis heute nicht optimal. Sie studiert inzwischen im fünften Semester, ist gerade für ein Auslandssemester in Polen. Aber das gesamte Geld, das ihr ihrer Ansicht nach zusteht, habe sie noch nicht bekommen. Lange Antwortzeiten vom BAföG-Amt, fehlende Dokumente über das Einkommen ihres Vaters, zu dem sie kein allzu gutes Verhältnis hat – all das verzögert die Auszahlung des Geldes, das sie so dringend braucht.
"Mir ist aufgefallen, dass die BAföG-Ämter sehr, sehr unvorbereitet sind auf alles, was keine heile Familie ist", sagt Winkler. Sie meint, sie sei sicherlich ein Sonderfall, was ihre Familienkonstellation angeht. Allerdings ist für genau solche Fälle das BAföG eigentlich gedacht: für jene Menschen, in deren Leben nicht alles glattläuft und die ihr Studium nicht selbst oder mithilfe der Eltern finanzieren können. Beispiele wie das von Julia Winkler können abschrecken und andere Studierende entmutigen, den Antrag zu stellen.
BAföG: Viele stellen erst gar keinen Antrag
Bearbeitet werden die Anträge von den BAföG-Ämtern. Die unterstehen den Studierendenwerken. Stefan Grob vom Dachverband der Studierendenwerke in Deutschland weiß um das schlechte Image der staatlichen Ausbildungsförderung.
Zwar gibt es kaum Erhebungen, wie viele potenziell Berechtigte keinen Antrag stellen. Aber in der Sozialerhebung des Bundesbildungsministeriums von 2021 wurde abgefragt, aus welchen Gründen Studierende kein BAföG beziehen. Abgesehen von definitiven Ausschlussgründen vom BAföG, etwa das Überschreiten der Altersgrenze, gaben einige an, dass sie es gar nicht erst probiert hätten, weil der erwartete Förderbetrag zu gering sei oder weil sie keine Schulden machen wollten. Denn nur einen Teil des BAföG bekommt man vom Staat geschenkt, einen kleineren Teil muss man zurückzahlen.
"Dieser BAföG-Darlehensanteil scheint tatsächlich Menschen aus der Zielgruppe des BAföG, Haushalte ohne viel Geld, ohne akademische Bildung in der Familientradition, abzuschrecken", sagt Stefan Grob. Dabei wirbt er dafür, den Antrag trotzdem zu stellen, denn man bekomme immer noch weit mehr, als man zurückzahlen müsse. Im Extremfall können das etwa 50.000 Euro sein, von denen man nur 10.010 Euro zurückzahlen muss. Dennoch wünscht er sich eine Rückkehr zur Vollförderung, also einem BAföG ohne Verschuldung, bei dem man das ganze Geld behalten darf. So etwas gab es schon einmal vor ein paar Jahrzehnten.
Kein Antrag: Unkenntnis über BAföG-Voraussetzungen oft Ursache
Stephanie Mauckner leitet das BAföG-Amt beim Studierendenwerk Erlangen-Nürnberg. Sie bestätigt die Vermutung, dass einige Förderungswürdige das BAföG wahrscheinlich gar nicht erst beantragen: "Das liegt vermutlich daran, dass sie annehmen, sie kriegen sowieso nichts", sagt Mauckner. Die Studierenden würden denken, ihre Eltern hätten zu viel Einkommen. Das sei aber oft ein Trugschluss, weil sich in den letzten Jahren die Freibeträge stark erhöht hätten.
Wer einmal abgelehnt wurde, probiere es vielleicht auch nicht noch mal, selbst wenn sich die Förderbedingungen, das Elterneinkommen oder die Familienkonstellation geändert hätten, so Mauckner.
BAföG-Expertin warnt vor BAföG-Rechnern im Internet
Explizit warnt die BAföG-Expertin vor BAföG-Rechnern im Internet. Mit denen kann man ausrechnen, wie viel Förderung man wahrscheinlich erhält. Das Regelwerk für die Bewilligung ist aber so komplex, dass die Rechner oft versagen würden, meint Mauckner. Spuckt der Rechner eine zu kleine Zahl aus oder sogar eine Null, könnte das Studierende ebenfalls vom Antrag abhalten. Einfach probieren, einfach den Antrag stellen und schauen, was passiert – darin ist sich Mauckner mit Stefan Grob einig.
Fürs BAföG gegen die Eltern vor Gericht?
Das Studierendenwerk Erlangen-Nürnberg ist auch für die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt zuständig, an der Julia Winkler studiert. Stephanie Mauckner bestätigt, dass sich Fälle oft ziehen, wenn Unterlagen nicht vollständig sind, wenn zum Beispiel die Einkommen der Eltern nicht nachgewiesen werden, wie das bei Julia Winkler der Fall ist.
Dass manche Eltern unkooperativ sind, dafür können die Studierendenwerke nichts. Sie müssen sich an die komplizierten Richtlinien halten – und sind als Beratungseinrichtungen für die Studierenden einerseits und andererseits als staatliche Beauftragte für die Bewilligung und Ablehnung des BAföGs in einer unangenehmen Doppelrolle. Zwar würden die Ämter in letzter Konsequenz auch einen Rechtsstreit mit den Eltern unterstützen, aber nicht jeder Student sei dazu bereit.
Eine Lösung wäre, das BAföG weiter zu entbürokratisieren. Ein einfacheres Regelwerk, weniger verpflichtende Nachweise, Zugriff der BAföG-Ämter auf Informationen der Finanzverwaltung und damit auf das Einkommen der Eltern, solche Ideen gibt es immer wieder. Auch Julia Winkler denkt in diese Richtung: "Dass man das BAföG familienunabhängiger macht. Es gibt Länder, in denen funktioniert das super, dass einfach alle Studenten einen Beitrag bekommen."
BAföG-Reform löst nicht alle Probleme
Die aktuell geplante BAföG-Reform wird nicht alle Probleme zum Wintersemester lösen. Das BAföG bleibe ein Bürokratiemonster, die Digitalisierung sei nur halbherzig umgesetzt, immer noch müssten digital eingereichte Unterlagen ausgedruckt werden, klagen die Ämter. Die generelle Personalnot macht das alles nicht besser.
Zumindest bei den komplizierten Anträgen hat die Bundesregierung ein bisschen nachgebessert. So verweist das Bildungsministerium unter anderem darauf, dass das Formular für die Vermögenserklärung vereinfacht wurde – und weitere Vereinfachungen sollen folgen.
Dieser Artikel ist erstmals am 30. Januar 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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