Sie laufen ohne Masken durch Kliniken und filmen teilweise leere Gänge und Zimmer: In sozialen Netzwerken teilen User immer wieder Videos, in denen Menschen ohne Genehmigung in Krankenhäusern filmen. Schon zu Beginn der Pandemie tauchten solche Videos auf - nun verbreiten sich neue Aufnahmen, auch aus bayerischen Kliniken. Die Filmenden behaupten zum Beispiel in den Videos, dass in den Krankenhäusern alles ruhig sei und keine Gefahr der Überlastung bestehe. Doch auf den Aufnahmen sind nicht die Bereiche zu sehen, in denen Corona-Patienten behandelt werden.
Der neueste Fall: Ein Mann filmt sich ohne Mund-Nase-Bedeckung auf einem Krankenhausflur und sagt: "Mal gucken, wann der erste Klugscheißer kommt." Damit meint er offenbar Menschen, die ihm sagen, dass er im Krankenhaus eine Maske tragen solle. Sein T-Shirt ist mit einem Symbol bedruckt, das er das "Zeichen der Wahrheit" nennt. Vermarktet werden Artikel mit dem Symbol vom Verschwörungsideologen Heiko Schrang, der sich im "Dritten Weltkrieg" wähnt und in seinen Büchern die Verschwörungstheorie der "Neuen Weltordnung" verbreitet.
Eine knappe Minute filmt der Mann in ambulanten Wartebereichen und am Haupteingang der Klinik, sieht das als Beweis, dass "gar nichts los" sei, und stellt die Frage in den Raum, ob es überhaupt überlastete Krankenhäuser gebe. In Bereichen, in denen Covid-Patienten untergebracht sind, filmt er nicht. Das Video verbreitet sich seit Mitte Februar auf Telegram.
Wussten die Krankenhäuser von den Aufnahmen?
Nach Recherchen des #Faktenfuchs wurde das Video im Allgemeinen Krankenhaus Celle gefilmt, wie das Krankenhaus auch bestätigte. Von den Aufnahmen wussten sie bis dahin nichts, erlaubt haben sie es auch nicht. Der Filmende, dessen Identität dem #Faktenfuchs bekannt ist, antwortete auf Anfragen zu dem Vorfall nicht.
Auch bei anderen Fällen berichten ausnahmslos alle Kliniken, dass die Filmenden keine Genehmigung hatten. Das räumen auch die Anwälte eines Video-Urhebers ein - sie behaupten, eine Genehmigung sei nicht erforderlich. Doch das stimmt nicht. Als wir den Urheber des Videos um eine Stellungnahme zu den Filmen bitten, antwortet eine große Anwaltskanzlei mit einem neunseitigen Schreiben. Die Anwälte interpretieren die Fragen des #Faktenfuchs in Vorwürfe um und drohen mit einem Rechtsstreit - eine bekannte Strategie, um unliebsame Berichterstattung zu unterbinden.
Die Kliniken distanzieren sich ausdrücklich von den Videos. Diese versuchten "exemplarisch zu einer Verharmlosung der Situation in deutschen Krankenhäusern beizutragen", heißt es von einem Krankenhaus.
Eine bekannte Strategie wird wieder aufgewärmt
Schon vergangenes Jahr haben Menschen in Krankenhäusern eigenmächtig Videos gedreht, um vermeintlich zu zeigen, dass keine Überlastung bestehe. Während der ersten Corona-Welle verbreiteten sich im Netz zwei ähnliche Videos, wie auch der #Faktenfuchs damals berichtete (Ticker-Eintrag vom 1. und 2. April 2020). In einem Fall erstattete die Klinik Strafanzeige, im anderen bezeichnete die Urheberin ihr Video kurz darauf als "dummen Fehler". Nun verwenden Gegner der Corona-Maßnahmen diese Strategie wieder vermehrt.
- Welche rechtlichen Konsequenzen Urhebern solcher Videos drohen können, hat der #Faktenfuchs hier recherchiert.
Wie war es möglich, dass die Filmer in die Kliniken kommen?
Da in den meisten Krankenhäusern Besuchsverbot herrscht, stellt sich die Frage: Wie war es den Filmenden möglich, in die Kliniken zu gelangen und dort zu filmen?
Zugang haben in Bayern nur Patienten mit einem Termin bei einem ambulanten Arzt oder solche die in die Notaufnahme müssen, in Ausnahmefällen auch einzelne Besuchspersonen. Um das zu kontrollieren, haben Krankenhäuser seit Beginn der Pandemie zusätzliche Sicherheitskräfte für Zugangskontrollen eingeführt und zum Beispiel weniger Eingänge als sonst geöffnet.
Um in die Klinik zu gelangen, müssten die Filmenden vermutlich als Patienten oder Besucher dort gewesen sein - oder sich als solche ausgegeben haben. Einer, der ohne Erlaubnis in zwei Kliniken filmte, schrieb in einer Stellungnahme an den #Faktenfuchs, im einen Fall habe er eine Patientin besucht, im anderen sei er als nicht angemeldeter Besucher dort gewesen.
Krankenhaus will nun die Sicherheit verbessern
Im bereits erwähnten Allgemeinen Krankenhaus Celle muss laut Klinik jeder am Haupteingang einen Fragebogen mit Name, Adresse und Telefonnummer ausfüllen. Der Sicherheitsdienst sei 24 Stunden besetzt. Auf Anfrage sagte ein Mitarbeiter des Krankenhaus Celle, sie hätten keinen Fragebogen mit dem Namen der Person finden können, die das Video dort aufgenommen hat. Er habe möglicherweise nicht seinen echten Namen angegeben. Einen Ausweis müssen die Besucher und Patienten am Eingang normalerweise nicht zeigen. Nur bei "begründeten Fällen" dürfen Klinik-Mitarbeiter laut der niedersächsischen Corona-Verordnung die Identität überprüfen (§5, Fassung vom 13. Februar 2021).
Deutschlandweite Lösungen, wie Kliniken mit solchen unerlaubten Videoaufnahmen umgehen und diese verhindern können, gibt es laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft bisher nicht. Das Allgemeine Krankenhaus Celle will nun nachschärfen: "Wir haben das Video zum Anlass genommen, unsere Sicherheitsvorkehrungen weiter zu optimieren", sagte ein Sprecher dem #Faktenfuchs. Unter anderem werde der Sicherheitsdienst sensibilisiert.
Sind solche Aufnahmen aussagekräftig?
Nein. Die Urheber geben vor, die Corona-Lage in Krankenhäusern zu überprüfen - doch das kann aus mehreren Gründen mit diesen Videos nicht gelingen:
Erstens sind die Intensivstationen und die tatsächliche Arbeit an Covid-19-Patienten in den Videos nicht zu sehen. Kontextlose Aufnahmen von Krankenhausfluren seien generell "nicht aussagekräftig", sagt die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Die eigentliche Arbeit eines Krankenhauses finde in Patientenzimmern, im OP, Labor oder Büro statt - nicht auf den Fluren. Außerdem sei in Räumen der ambulanten Versorgung von Krankenhäusern nach Ende der Sprechzeiten normalerweise wenig los.
In den Aufnahmen, die dem #Faktenfuchs vorliegen, sieht man vor allem Eingangsbereiche sowie Flure in Notaufnahmen oder von ambulanten Stationen. Dass auf Fluren wenig los ist, begründet ein Klinikum damit, dass durch das Besuchsverbot "deutlich weniger Betriebsamkeit" herrsche. Eine andere Klinik verweist darauf, dass in diesen Bereichen auch nur zu bestimmten Tageszeiten ein höheres Patientenaufkommen gebe. Die geringe Auslastung zu einem Zeitpunkt sage nichts über die Auslastung des Krankenhauses insgesamt aus.
Aufnahmen aus Non-Covid-Stationen nicht aussagekräftig
Zweitens könne man aus Aufnahmen von sogenannten Non-Covid-Stationen nicht auf die Auslastung in isolierten Covid-Bereichen schließen, heißt es von den Kliniken. Vereinzelt werden in den Videos Flure von normalen Pflegestationen gezeigt, von Urologie bis Gastroentologie - und dort sogar einzelne leere Patientenzimmer.
Auf zahlreichen Stationen gab und gibt es Verschiebungen wegen der Corona-Pandemie, wo deswegen wenig oder keine Behandlungen stattfinden und es ruhiger zugeht. Zahlreiche planbare Behandlungen wurden abgesagt oder verschoben. So sollte Personal für die Covid-Stationen gewonnen werden. Denn ein Covid-Patient benötigt weitaus mehr Pflegeaufwand als ein durchschnittlicher Patient. Laut DKG ist es deswegen nicht unbedingt ein Zeichen von Entspannung, wenn in einem Teil des Krankenhauses weniger Betrieb herrscht.
In einem Video sind sogar Aufnahmen von Fluren einer interdisziplinären Lungenstation zu sehen. Dort werden laut Klinikum "Patient*innen mit Lungenerkrankungen nach thoraxchirurgischen Eingriffen" behandelt, also nach Operationen im Brustkorb. Covid-Patienten liegen hier nicht, für die gibt es in allen befragten Krankenhäusern eine separate Infektionsstation. Der Zutritt dort ist ausschließlich Mitarbeitenden vorbehalten.
"Freie Betten" meint nicht Bettgestelle, sondern Behandlungsplätze
Laut der DKG sagen Bilder von einzelnen freien Betten und Zimmern aus einem weiteren Grund wenig über die Auslastung eines Krankenhauses aus. "Wenn wir von ‘Betten’ sprechen, meinen wir immer betreibbare Behandlungsplätze", schreibt die DKG. Dafür müssten nicht nur Bettgestelle mit Geräten und Bettzeug vorhanden sein, sondern vor allem ausreichend Personal, um ein Bett zu betreiben. "Erst wenn ein Bett in diesem Sinne betreibbar ist, sprechen wir von einem tatsächlichen ‘Bett’, das in die Bettenstatistik eingeht."
Deutschlandweite Überlastung ist nicht eingetreten
Drittens: Politiker und Mediziner warnten zwar immer wieder vor einer Überlastung des Gesundheitssystems - doch zu einer deutschlandweiten Überlastung der Kliniken kam es bisher nicht, da in der ersten und der zweiten Welle mit den Kontakt-Beschränkungen die Corona-Zahlen rechtzeitig wieder sanken. In Sachsens Kliniken war die Lage während der zweiten Welle aber wochenlang sehr ernst, auch in Bayern wurden in manchen Regionen Intensivbetten knapp. Im Winter war die Auslastung über Wochen sehr hoch, wie die Zahlen im DIVI-Intensivregister (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V.) zeigen.
Täglich werden hier die aktuell verfügbaren und belegten Intensivbetten erfasst. Die Zahlen für bayerische Krankenhäuser können Sie auch hier verfolgen.
Fazit
Nach mehreren Videos aus Kliniken, die ohne Erlaubnis aufgenommen wurden, will mindestens eine betroffene Klinik jetzt ihre Sicherheitsvorkehrungen verbessern. Die Videos sollen zeigen, dass Kliniken leer seien - doch das können die Bilder von leeren Gängen und vereinzelten leeren Patientenzimmern ohne Kontext laut Krankenhäusern und Verbänden nicht belegen. Keines der Videos wurde auf einer Corona-Station aufgenommen, sondern in Eingangsbereichen, in der Notaufnahme und auf normalen Pflegestationen. Welche Strafen den Filmenden drohen, können Sie im zweiten Teil der Recherche nachlesen.
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