Am Morgen des 8. Juni 1938 bekam die Gemeinde einen Brief mit der Aufforderung, bis zum Abend das Gebäude zu räumen. Schon am nächsten Tag kamen die Bagger und es wurde mit der Zerstörung der Münchner Synagoge begonnen. In den 1880er Jahren erbaut war sie die drittgrößte Synagoge im deutschsprachigen Raum und die größte der drei Münchner Synagogen. In direkter Nachbarschaft zum Liebfrauendom gehörte sie zum Stadtbild und entsprach dem Lebensgefühl der rund 10.000 Münchner Juden, Teil der Stadt zu sein.
Zerstörung auf Hitlers Befehl
Für die Nationalsozialisten war sie ein Schandfleck. Angeblich aus verkehrstechnischen Gründen wurde sie auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers mit Baggern und Stahlbirne zerstört. "In der Familie schlug das ein wie ein Blitz. Vater und Mutter waren völlig von der Rolle", erinnert sich Rabbiner Henry Brandt, heute 90, damals 10 Jahre alt, der regelmäßig mit seiner Familie die Synagoge besuchte. "Der Rabbiner mit seinem schön gestutzten Bart da oben auf der Kanzel war für uns Kinder natürlich wie der liebe Gott. Dann kam der Abriss."
"Für meinen Vater, der ein begeisterter Bürger dieses Landes war, war es ein Zusammenbrechen seiner ganzen Beziehung zum Land und zu den Menschen. Seine Synagoge wurde abgerissen, böswillig, das war klar." Rabbiner Henry Brandt
Mitten im Zentrum der Stadt verschwand ein riesengroßes Gebäude innerhalb eines Monats. "Da gab schon seit fünf Jahren ein offen antisemitisches Regime, aber dieser Akt war trotzdem präzedenzlos", sagt Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität. "Es gibt keine Parallele, dass eine Synagoge in einer größeren Stadt abgerissen wurde und das war natürlich das Vorspiel für das, was kam. Vielleicht wollte man auch ein bisschen testen: wie geht das in der Öffentlichkeit durch?"
Keiner hat protestiert
München war ein Testlauf, da sind sich Historiker heute sicher. Was in der "Hauptstadt der Bewegung" möglich war, würde auch in anderen Städten funktionieren. Und es war möglich. Niemand protestierte gegen die Zerstörung der Synagoge. Im Archiv der Stadt München weiß man von keinem einzigen Brief oder Aufschrei. Fünf Monate später in der Reichspogromnacht brannten in ganz Deutschland die Synagogen. In München wurde dann auch die zweite bedeutende Synagoge, die "Ohel Jakob Synagoge" zerstört. Ihren Namen trägt heute die neue Synagoge am Jakobsplatz.
"Man muss immer protestieren, wenn etwas nicht gerecht ist. Das ist eine große Lehre für die heutige Zeit: Wir müssen unser Langzeitgedächtnis üben, weil wir geneigt sind zu vergessen." Rabbiner Tom Kucera, Gemeinde Beth Shalom
Am Platz der ehemaligen Hauptsynagoge steht seit 1969 ein Gedenkstein, zwischen Kaufhäusern am Rande der Fußgängerzone. Kaum jemand weiß davon, meint Michael Brenner: "Ich finde es schade, dass der Ort, an dem das geschah, aus der Erinnerung der Münchner Bevölkerung verschwunden ist." Auf dem Gedenkstein ist auf hebräisch ein Psalm eingemeiselt. "Erinnere dich", steht da.