Der Berg Isel, eines der Wahrzeichen Tirols, hat eine ganze Flanke verloren. Bagger haben sie abgetragen, weil hier das Hauptportal zum Brenner-Basistunnel entsteht. Zwei dunkle Löcher klaffen im steilen Fels, auf elf Meter Durchmesser werden die Hauptröhren herausgeschlagen. In der Schlucht vor dem Tunneleingang rauscht die wilde Sill, sie muss noch überbrückt werden, oben donnert auf der Brenner-Autobahn der Verkehr vorbei. Martin Keinprecht aber, der Leiter dieser wichtigen Baustelle, ist die Ruhe selbst. Die größte Herausforderung sei die Logistik auf engem Raum für ganz verschiedene Gewerke: Brückenbau, Tunnelbau, Verankerungen, riesige Erdbewegungen. Es laufe alles planmäßig, sagt er.
Deutsche Bahn muss Bestandsstrecke ertüchtigen
Franz Lindemair und Matthias Neumaier von der Deutschen Bahn sind beeindruckt vom Tempo, mit dem das Jahrhundert-Bauwerk vorangetrieben wird. "Die Menschen hier wollen den Tunnel, sie wollen, dass möglichst schnell Verkehr auf die Schiene kommt", sagt Lindemair.
Und wenn ab 2032 dann die Schlagzahl unter dem Brenner hindurch deutlich erhöht wird, bringt das die Deutsche Bahn in Zugzwang? Eine neue Trasse für den Brenner-Nordzulauf werde es in Bayern bis dahin nicht geben, so Lindemair, man werde aber mit verschiedenen Maßnahmen, vor allem Digitalisierung, die bestehende Bahnstrecke ertüchtigen. So könne man die Kapazitäten um 20 Prozent erhöhen und damit die Verkehrszunahme durch den Brennertunnel erstmal aufgefangen. Die neue Trasse zwischen Grafing und Kiefersfelden müsse aber möglichst rasch kommen.
Man merkt den Eisenbahnern aus Deutschland während der flotten Fahrt durch kilometerlange Nebentunnelröhren an, dass sie auch gerne loslegen würden. Hier installieren die Tiroler endlose Förderbänder, um Millionen Kubikmeter Ausbruchsgestein aus den Stollen zu fördern. Neben der Brenner-Autobahn entstehen neue Berge aus dem Aushub, werden darauf Betonwerke gebaut. Ein Seitental des Wipptales wird um 80 Meter aufgeschüttet.
Ein riesiges Netz aus Nebenstollen
Die Deutsche Bahn hat nach langer Zeit wieder einen Termin für eine Besichtigung des gigantischen Projekts bekommen. Über einen Nebentunnel fährt die Gruppe unter Tage – und taucht ein in ein verwirrendes Netz aus Zufahrts- und Entsorgungsstollen. 64 Kilometer sind es vom Nordeingang bis zum Ausgang bei Franzensfeste in Südtirol. Insgesamt entstehen unter dem Alpenhauptkamm aber Röhren in einer Länge von 230 Kilometern. Die Italiener habe ihre Haupt-Tunnel schon gebohrt, die Österreicher bauen noch an dem Hilfsnetz, die Haupt-Röhren werden nächstes Jahr mit riesigen Tunnel-Bohrmaschinen in Angriff genommen.
Linksverkehr in Italien: Pirouette im Berg
Hier kämpfen die Tunnelbauer mit losem Gestein, müssen weite Strecken der Tunnel mit bergmännischen Mitteln bohren – anders als die Italiener, die durch Granit mit Bohrmaschinen zügig durchkommen. Hier überwindet man nationale Eigenheiten, wie den Linksverkehr auf der Schiene in Italien. Das führt dazu, dass die Röhren, die an Innsbruck vorbei direkt Richtung München laufen, sich tief im Berg einmal um sich selbst drehen müssen. Ein gigantischer Aufwand allerorten, in Österreich und Italien offenbar kein Problem. Und in Oberbayern hängt die Brennertrasse währenddessen in der Schwebe, kommt die Planung nur mühsam voran - so der "Tunnelblick" der Deutschen Bahn. "Wir müssen mit den Genehmigungen für die Trassenführung bei uns daheim vorankommen", sagt Franz Lindemair, und klingt dabei sehr höflich, aber auch energisch.
Der Berg Isel bekommt seine Flanke zurück
Zurück ins Tageslicht am Portal Innsbruck, am Fuße des Schicksalsbergs der Tiroler. Was wird eigentlich aus dem, bleibt der so ramponiert? Nein, beruhigt Martin Keinprecht, der Projektleiter hier: "Der Berg Isel bekommt seine Flanke wieder zurück, sobald wir hier unten fertig sind. Das wird alles wieder so, wie es vorher war."
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