Ein erster Impfstoff gegen das Coronavirus könnte bald in den USA und Europa zugelassen werden. Nun versuchen sich einzelne Länder, Lieferungen zu sichern. Es droht ein "Impfstoff-Nationalismus", vor dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wiederholt gewarnt hat. Da stellt sich die Frage: Wie verhält sich Deutschland?
"Wir gehen davon aus und sind auch damit angetreten, bis zu 100 Millionen Dosen für Deutschland zu sichern", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Dienstag, kurz nachdem die Pharma-Unternehmen Biontech und Pfizer vielversprechende Daten zu ihrem Impfstoff-Kandidaten verkündet hatten.
Deutschland stehen nur 56 Millionen Dosen zu
100 Millionen Dosen? Das wäre ein Drittel der gesamten Menge, die die Europäische Union als Lieferung mit den Unternehmen ausverhandelt hat - und zwar für alle Mitgliedsländer. Deutschland ist zwar das größte EU-Land. Gemessen an der Bevölkerungszahl stünden ihm jedoch nur etwa 56 Millionen Dosen zu. Woher soll also der Rest kommen?
Der NDR hat diese Frage dem Bundesgesundheitsministerium mehrfach gestellt. Der Sprecher teilte jedoch wiederholt mit, er könne "leider" nicht ins Detail gehen. Nur so viel schrieb er: Es handele sich um den "Anteil, den Deutschland aus den EU-Verträgen bekommt und den es sich gesichert hat im Zuge der Forschungsförderung für Biontech".
Unerlaubte Gegenleistung wegen Projektförderung?
Das Problem ist allerdings: Diese Förderung in Höhe von 375 Millionen Euro stammt aus einem Sonderprogramm des Forschungsministeriums - und hierbei ist eine Gegenleistung nicht vorgesehen und rechtlich auch gar nicht möglich. Das hatte der Sprecher des Gesundheitsministeriums selbst auf eine frühere Anfrage des NDR klargestellt.
Es handele sich um eine Projektförderung nach der Bundeshaushaltsordnung, schrieb er Anfang November, und weiter: "Der Rechtsrahmen von Zuwendungen sieht keinen Leistungsaustausch und damit auch keine Rückvergütung vor. Eine Vorgabe an die geförderten Firmen, welche Produktionsmengen zu welchen Konditionen zur Verfügung gestellt werden müssen, ist im Rahmen des Zuwendungsrechts daher nicht möglich."
Keine Details zu Vereinbarungen
Die geförderten Firmen, zu denen außer Biontech zwei weitere deutsche Firmen gehören, hätten "jedoch zugesagt, dass sie einen angemessenen Anteil der Produktion eines zugelassenen Impfstoffes für die bedarfsgerechte Versorgung in Deutschland zugänglich machen", so der Ministeriumssprecher.
Die Bundesregierung hat also offenbar bereits in den vergangenen Monaten mit Biontech und den anderen Herstellern in Deutschland Gespräche dazu geführt. Bereits im September hatte Spahn auf einer Pressekonferenz zu der Forschungsförderung gesagt: Es sei gut, "dass die Unternehmen im Gegenzug sich bereit erklärt haben, insgesamt über 40 Millionen Dosen als Option für die Bundesrepublik an Impfstoffen im Fall natürlich der erfolgreichen Impfstoff-Entwicklung zur Verfügung zu stellen". Das hätten sie "in gemeinsamen Vereinbarungen sichergestellt", so Spahn. Doch Details haben schon damals weder das Gesundheits- noch das Forschungsministerium mitgeteilt.
EU: Keine nationalen Alleingänge
Das könnte womöglich nicht nur daran liegen, dass eine Gegenleistung rechtlich eigentlich gar nicht möglich ist, wie das Gesundheitsministerium selbst darlegt, sondern auch daran, dass die EU-Gesundheitsminister offenbar untereinander vereinbart hatten, keine nationalen Alleingänge zu unternehmen. Das betonte ein Sprecher der EU-Kommission diese Woche. Er hatte am Dienstag gesagt, die Mitgliedstaaten hätten zugesagt, "keine Parallelverhandlungen" mit Impfstoffherstellern zu führen, um die Bemühungen auf europäischer Ebene nicht zu unterlaufen. "Dieses Vorgehen wurde durch die EU-Gesundheitsminister unterstützt."
Auch die Unternehmen Biontech und Pfizer haben bislang keine Vereinbarung mit der Bundesregierung bekannt gegeben. Auf Nachfrage des NDR teilte Pfizer mit: "Wir können keine Auskunft über die Anzahl der Impfstoffdosen geben, die Deutschland erhält, sofern unser Impfstoffkandidat zugelassen wird. Die genaue Anzahl ist Ergebnis von Verhandlungen zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten."
Aussagen widersprechen sich
So bleiben die konkreten Vereinbarungen unklar und viele Aussagen widersprechen sich. Mittlerweile argumentiert das deutsche Gesundheitsministerium ein wenig anders. Wegen Nachfragen dazu, aus welchen Vereinbarungen die angesprochenen 100 Millionen Dosen kommen sollen, sagte der Ministeriumssprecher am Mittwoch, es habe lange nicht so ausgesehen, dass alle EU-Mitglieder ihren Anteil an der Gesamtzahl der Impfdosen einfordern würden.
Dies könne sich aber ändern "aufgrund der jüngsten Meldungen". In diesem Fall werde Deutschland, "um diese 100 Millionen zu erreichen", nochmals separat Gespräche mit den Herstellern führen.
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