77 Jahre alt ist er schon, doch seine "Ostheimer Zeitung" braucht ihn heute noch genauso wie früher. Denn Volker Gunzenheimer kümmert sich nicht nur um ihren Druck, er fertigt auch Satzspiegel an und redigiert nach wie vor Artikel.
Seine Zeitung ist ein "gallisches Dorf" in der fränkischen Zeitungslandschaft: Noch vor nicht allzu langer Zeit behaupteten sich Kreis- und Heimatzeitungen rundum in Eigenregie, dann wurden sie der Reihe nach von größeren Verlagen aufgekauft. Nur die "Ostheimer" im Landkreis Rhön-Grabfeld blieb bis heute selbständig.
Drei Ausgaben pro Woche
Dreimal pro Woche erscheint die "Ostheimer Zeitung" derzeit, mit jeweils zwölf Seiten. Die Lokalseiten produziert sie selbst, die überregionalen Seiten werden von einem fränkischen Verlag geliefert. Obwohl die Auflage deutlich unter 1.000 Exemplaren liegt, ist es der Zeitung gelungen, seit mehr als einem Jahrhundert eigenständig zu bleiben.
"Diese Auflage ist zwar knapp, aber sie war noch nie viel höher", bemerkt Volker Gunzenheimer. Angebote von großen Verlagen habe es durchaus gegeben, doch verkaufen wollte er nie. So erscheint die "Ostheimer Zeitung" schon im 117. Jahrgang und immer noch in Obhut und Verantwortung seiner Familie.
Kleinste und älteste unabhängige Zeitung Deutschlands
Sie wird gerne als kleinste Zeitung Deutschlands betitelt. Volker Gunzenheimer ist mit Superlativen vorsichtig: "Sagen wir, eine der kleinsten Zeitung Deutschlands." Gleiches gilt dafür, dass sie die älteste unabhängige Zeitung in Deutschland sei. "Sagen wir, eine der ältesten unabhängigen Zeitungen in Deutschland", schiebt er nach.
Doch die "Ostheimer Zeitung" vereint noch weitere Besonderheiten. Heimatzeitungen werden in einer bestimmten Region gelesen, dem sogenannten Verbreitungsgebiet, und das ist die unmittelbare Umgebung. Für dieses Blatt waren neben dem geographischen Aspekt jedoch auch historische Entwicklungen entscheidend.
Thüringische und evangelische Leserschaft
Denn Ostheim mit heute knapp 3.500 Einwohnern war lange eine thüringische Enklave in Bayern, also ein fremdes Herrschaftsgebiet inmitten eines anderen Zuständigkeitsbereichs. Zu dieser Enklave zählten auch einige Nachbargemeinden – und dort wurde und wird die "Ostheimer Zeitung" gelesen.
Daneben spielte die Konfession eine wichtige Rolle. Ostheim wurde nach der Reformation evangelisch. Wer diesem Glaubensbekenntnis angehörte, der kaufte und abonnierte auch die "Ostheimer Zeitung". Nicht nur für Gunzenheimer ein Phänomen: "Bewohner von katholischen Ortschaften wollten unsere Zeitung einfach nie lesen", wundert er sich.
Reiner Familienbetrieb
Durch all diese Umstände kannten die Macher der Zeitung jedoch ihre Leserschaft von Anfang an sehr genau. "Diese Enklave hat den Vorteil, dass sie ein sehr kompaktes Gebiet ist", so Volker Gunzenheimer. Andere Heimatzeitung hätten dagegen deutlich mehr Aufwand zu betreiben, um ihre Ortschaften zu beliefern.
Und nur deshalb könne die Zeitung nach wie vor durch die Gunzenheimers gestaltet werden. "Wir waren und sind ein reiner Familienbetrieb, auch heute noch arbeiten meine Frau, der Sohn, die Tochter und ich in der Firma", konstatiert er, "jeder ist aus der Branche, jeder kennt seinen Bereich von klein auf, und deshalb können wir einiges gestalten."
Historischer Maschinenpark
Die Zeitung reflektierte stets Zeitgeschichte und sie ist nun selbst bereits Zeitgeschichte. Auch ihr Maschinenpark ist historisch wertvoll. In der kleinen Druckhalle steht noch eine Heidelberger Druckmaschine von 1953. "Die erste Maschine, mit der Geld verdient wurde, weil sie vollautomatisch war, sonst musste immer jemand daneben stehen", erinnert sich Gunzenheimer.
Diese Maschine begeisterte sogar Wim Wenders. Der vielfach prämierte Regisseur baute sie in seinen Film "Im Lauf der Zeit" ein. Dafür drehte er in den 1970er Jahren Sequenzen bei der Zeitung, wie in einer Jubiläumsschrift zu ihrem 100-Jährigen Bestehen vermerkt wurde.
Treue Leser, ein Leben lang
Und an dieser Druckmaschine arbeitete auch Werner Kirchner. Er ist 82 Jahre alt und war sein gesamtes Berufsleben lang für die "Ostheimer Zeitung" tätig. Für die fortwährende Existenz der Zeitung bis in die heutigen Tage hat er eine einfache Begründung. "Die 'Ostheimer' ist eine Institution", urteilt der altgediente Angestellte, "für viele Ostheimer gehört es einfach dazu, sie in ihrem Haushalt zu haben."
Auch Volker Gunzenheimer unterstreicht die äußerst enge Bindung an die Leser. "Abbestellungen haben wir fast keine, es sei denn, ein Leser stirbt, dann ist natürlich damit zu rechnen, dass über Verwandte oder Hinterbliebene eine Abmeldung kommt", erläutert der Senior, "wenn einer die Ostheimer Zeitung liest, dann liest er sie praktisch ein Leben lang."
Diese anscheinend unverbrüchliche Treue über Generationen hinweg sichert der "Ostheimer" bis heute ihr Überleben. Gunzenheimer leitet daraus zu Recht ab, dass "die Leser mit der Zeitung, wie wir sie herstellen, zufrieden sind."
Relevant ist (fast) alles
Daher blieb die "Ostheimer" stets bemüht, auch mit ihrer Themenwahl dem Anspruch an eine echte Heimatzeitung zu genügen. "Wir haben gerade über einen Fahrradausflug berichtet, eigentlich ein ganz belangloser Freizeitspaß", sagt Gunzenheimer, "doch wir bringen ein Foto und beschreiben auch kurz, wohin der Ausflug hinging, was stattfand und wo es ein Café mit Kaffee und Kuchen gab, das man empfehlen kann. Also einfache Kleinigkeiten, von Mensch zu Mensch, so etwas schreiben wir gerne."
Ein Leser muss sich in der Zeitung wiederfinden, dieses alte Credo von Heimatblättern gilt für die Gunzenheimers nach wie vor. Und deshalb "informieren wir auch schon über kleine Jubiläen."
Ostheimer Zeitung in vierter Generation
Im kommenden Jahr feiert Volker Gunzenheimer ein Jubiläum: Dann sind genau 50 Jahre vergangen, seit er seine Prüfung zum Schriftsetzermeister abgelegt hat. Gelernt hat der gebürtige Ostheimer im nahen Bad Neustadt, danach arbeitete er bei der renommierten Zeitung "Bund" in Bern. "Sie hatten dort kein Tempo, dafür war ihnen Qualität umso wichtiger", erinnert er sich gerne zurück an seine Jahre in der Schweiz.
Gunzenheimer wäre gerne dort geblieben, doch Ende der 1970er Jahre rief die Familie und er übernahm den Verlag von seinem Vater. 2016 übergab er die Geschäfte an seinen Sohn Jörg, der Verlag und Zeitung nun in vierter Generation weiterführt.
Gerüstet für die Zukunft
In der kleinen Druckerei stehen alte Zeitungsbände in Regalen an der Wand, beginnend mit dem ersten Jahrgang 1907. Rote Jahreszahlen auf den Buchrücken kennzeichnen die große Tradition dieses Zeitungshauses. Auch für die Zukunft haben die Gunzenheimers vorgesorgt. Kürzlich wurde in eine digitale Druckmaschine investiert. Sie ermöglicht digitale Farbanzeigen, was sich bereits während der Corona-Pandemie auszahlte.
"Solange wir die Zeitung in der Familie halten können, ziehen wir es allein und ohne fremde Hilfe weiter durch", zeigt sich Volker Gunzenheimer entschlossen. Nur weil alle immer Hand in Hand arbeiteten und gemeinsam anpackten, gibt es das Blatt immer noch. Das war schon früher das Erfolgsgeheimnis der "Ostheimer Zeitung" – und ist es bis heute geblieben.
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