Was für ein Glücksfall für die Bayern-SPD: Der renommierte und über Parteigrenzen hinweg angesehene ehemalige Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, hatte die Einladung angenommen, nach München zu kommen. Zum Wahlkampfauftakt der Bayern-SPD gut einen Monat vor der Europa-Wahl.
Asselborn ist zwar nicht mehr Außenminister, aber immer noch gefragter Redner und Interviewpartner, ein überzeugter Sozialdemokrat und Europäer, der in der Lage ist, andere zu überzeugen. Geplant war auch ein Austausch mit Jugendvertretern aus unterschiedlichen Spektren, von den Jusos bis zur katholischen Landjugendbewegung.
Kleiner Stuhlkreis statt voller Saal
Doch als Jean Asselborn den Veranstaltungssaal in einem Münchner Hotel betritt, da erwarten ihn keine erwartungsvollen jungen Menschen, sondern Leere. Deshalb schleppt die bayerische SPD-Spitzenkandidatin für Europa, Maria Noichl, Stühle durch den Saal, um aus der Reihenbestuhlung für gut 60 Menschen einen kleinen Stuhlkreis zu bauen.
Nur ein paar ältere Frauen und Männer sind gekommen. Eine von ihnen findet, das sei doch klar, dass nachmittags um 16 Uhr keine jungen Leute kämen, das sei "nur was für Rentner". Maria Noichl selbst lässt sich ihre Enttäuschung nicht anmerken, sagt, das sei "der Kurzfristigkeit geschuldet".
Was will die Jugend von Europa?
Fast der einzige Unter-30-Jährige im Raum - ohne Juso- oder SPD-Mitgliedschaft - ist Cedric Dorrer. Gerade erst hat er seinen Bachelor in Politikwissenschaften abgeschlossen, macht jetzt ein Praktikum bei der Landtags-SPD. Er ist wegen Asselborn gekommen. Ihn interessiert, "welche Vision wir noch für Europa haben, damit man die Leute auch wieder für Europa begeistern kann".
Asselborn: Frieden in Europa ist nicht selbstverständlich
Seine Begeisterung für Europa hat Asselborn auch als Polit-Rentner jedenfalls nicht verloren. Er lässt sich nicht demotivieren davon, dass er, der große Europäer, der bei Regierungen weltweit ein- und ausgegangen ist, in München vor nicht einmal 20 Menschen spricht: "Junge Menschen müssen wissen, dass nichts ein Perpetuum mobile ist – zum Beispiel der Frieden."
Und ganz konkrete, pragmatische Argumente, die die Jugend doch von der EU überzeugen müssten, seien das Studierendenprogramm "Erasmus Plus", aber auch der Schengenraum. "Wo sonst gibt es so etwas, genau das wollen doch die jungen Menschen", sagt Asselborn.
EU ein "außenpolitischer Zwerg"
Gleichwohl schlägt der Sozialdemokrat mahnende Töne an. Die Europäische Union sei in außenpolitischer Hinsicht "ein Zwerg".
Und dann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, auch die Unsicherheit, wer im November die US-Wahlen gewinnen wird. Wer würde Europa bei einem Sieg Trumps vor Russland schützen? Ist die EU selbst dazu in der Lage? Alles Fragen, die Asselborn selbst voller Sorge aufwirft. Seine Antwort: volle Unterstützung für die Ukraine, und eine gemeinsame Perspektive, "wie wir uns als Europäische Union verteidigen könnten".
Warnung an CSU: Keine gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen
Maria Noichl, die bayerische SPD-Spitzenkandidatin, warnt bei der Veranstaltung vor einem Rechtsrutsch in Europa. Und geht dabei auch die CSU und deren Spitzenkandidaten Manfred Weber an. Sie findet, "dass 20 oder 30 Prozent Rechtsextreme zwar unangenehm" seien. Die Gefährlichkeit liege aber darin, "wenn die EVP, die CDU/CSU-Gruppe ihnen die Türen öffnet".
Noichl spielt auf einstige Einladungen der CSU an Ungarns Regierungschef Viktor Orban an - und ganz aktuell auf die Bemühungen von CDU/CSU um Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Ein Beispiel: Der bevorstehende Besuch von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei Italiens Regierungschefin. Ein anderes: das einst sogar von Söder kritisierten Umwerben Melonis von EVP-Mann Weber. "Ja, die Politik von Weber ist eine ganz Gefährliche", sagt auch Asselborn und fordert von seinen Sozialdemokraten eine klare Distanzierung von der EVP-Fraktion, sollte diese sich Mehrheiten mithilfe von Parteien am rechten Rand beschaffen.
Grandseigneur Europas hofft auf die Jugend
Und wo ist nun die Vision für Europa, nach der der 23-jährige Cedric Dorrer sucht? Asselborn glaubt, die Jugend selbst habe es in der Hand, Europa in eine neue - aus seiner Sicht bessere Zukunft zu führen. Seine Vision: Wenn die EU es schaffe, bis 2050 klimaneutral zu sein, "dass wir das auch hinbekommen, mit einer föderalen EU, zu einem Europa der Vereinten Nationen". Und zwar auf Druck der Jugend, die beim Klima-Thema ja auch die politischen Entscheider unter Druck gesetzt habe.
So richtig ist Cedric Dorrers Frage nach der Zukunft der EU dennoch nicht beantwortet. "Es ist kompliziert", so sein Fazit. Dennoch hofft er, dass sich noch mehr Menschen erreichen und begeistern lassen von Europa als bei dieser Veranstaltung. Für ihn geht es um was bei Europa "und da muss man schauen, dass man mit den Leuten ins Gespräch kommt". Da seien die Politiker in der Verantwortung "aber auch jeder andere, der der EU positiv gegenüber" stehe. Er selbst will bei Familie, Freunden und Bekannten dafür werben, dass sie zumindest zur Wahl gehen.
Noichl: Schulbesuche, um Jugend zu erreichen
Und die SPD? Bei einer Anschlussveranstaltung am Abend für alle Bürgerinnen und Bürger im Kolpinghaus in der Innenstadt, sind die Reihen etwas besser gefüllt. Jugend ist aber auch hier: Fehlanzeige.
Noichls glaub trotzdem, dass sie die Erst- oder Zweitwähler erreichen kann: Sie ist im Wahlkampf auch an vielen Schulen unterwegs. Wenn man zur Jugend hingehe, dann, ist sie überzeugt, könne man sie auch für Europa interessieren.
- Zum Artikel: Populismus: "Volksparteien mit Repräsentationslücke"
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