In sozialen Medien – von Twitter über Facebook bis zu Telegram-Gruppen – ist derzeit ein Bild mit mehreren Polizisten im Umlauf, die nur einen sehr dünnen Mund-Nasen-Schutz aus Netzstoff tragen. Der Screenshot, auf dem das Logo der BR-Sendung "Frankenschau aktuell" zu sehen ist, verbreitete sich bis in die Niederlande und nach Polen.
Corona-Leugner sehen das Bild nun als angeblichen Beleg dafür, dass es in der Coronakrise "nicht um Viren" gehe, wenn selbst Polizisten bloß Netzschals trügen, die nicht vor Viren schützten. Die Recherche des Faktenfuchses zeigt: Das Bild ist schon älter und wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Die Behauptungen, die Corona-Leugner hiermit belegen wollen, sind falsch.
Von wann und wo stammt das Bild?
Das Bild, das sich zurzeit verbreitet, stammt tatsächlich aus einem Fernsehbeitrag des BR – allerdings schon von Montag, dem 11. Mai 2020. Der Beitrag ist in der Mediathek für ein Jahr online abrufbar. Das Bild ist also schon über fünf Monate alt und wird nun aus dem Zusammenhang gerissen. Es wird suggeriert, dass es eine aktuelle Aufnahme wäre. Nutzt man die Bilder-Rückwärtssuche von verschiedenen Suchmaschinen, zeigt sich: Das Bild hat sich erst in den letzten Tagen in Netzwerken verbreitet, ein Verweis auf das Aufnahmedatum findet sich bei keinem der Posts.
Gefilmt wurde die Szene am 9. Mai 2020 bei der Demonstration gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie in Nürnberg. Das belegen das Datum im Originalmaterial des BR sowie die Informationen der Stadt Nürnberg über angemeldete Kundgebungen. Auch die Polizei Mittelfranken bestätigte dem BR, dass sie die Bilder eindeutig dem Einsatz am 9. Mai 2020 zuordnen können.
Die Polizisten tragen das Abzeichen "USK" auf der Uniform. Das Unterstützungskommando zählt zu den Spezialkräften der bayerischen Polizei. Es ist vor allem bei Demonstrationen im Einsatz. Bei einem Blick auf die vollständige Aufnahme wird ersichtlich, dass nicht nur Polizisten aufgenommen wurden, sondern auch Demonstranten. Der Screenshot stammt aus einer Szene, in der ein Demonstrant zuvor handgreiflich gegenüber dem Presseteam wird (zu sehen hier) – er ist auf dem kursierenden Bild abgeschnitten, wie ein direkter Vergleich zeigt:
Die Demonstration am 9. Mai fand rund um die Lorenzkirche in Nürnberg statt. Dass auch das kursierende Bild neben der Lorenzkirche aufgenommen wurde, lässt sich mit einem Vergleich mit Google Street View belegen: Die Polizisten stehen vor der Königinstraße 21, auf beiden Bildern ist klar die Filiale einer Bank sowie am linken Bildrand die Lorenzkirche zu erkennen. Nicht nur der Aufnahmetag des Bildes passt also zu der Demonstration, sondern auch der Ort stimmt überein.
Schützen solche Netzschals vor dem Coronavirus?
Auch wenn das Bild bereits älter ist, stellt sich dennoch die Frage, ob die grundsätzliche Kritik an der Polizei hier gerechtfertigt ist: Warum trägt das Einsatzkommando der Polizei solche dünnen Netzschals? Und können die vor dem Coronavirus schützen?
Auf Anfrage teilt die Polizei Mittelfranken mit: "Die auf den Bildern getragen Masken sind Schlauchschals. Zum damaligen Zeitpunkt wurde diese Form der Mund-Nasen-Bedeckung als ausreichend erachtet." Die Schlauchschals seien später einer "genauen Prüfung" unterzogen worden. Mittlerweile würden sie nicht mehr eingesetzt.
Netzschals, Halstücher, Bandanas: Kaum Schutz
Laut Einschätzung der BR-Wissenschaftsexperten sind solche dünnen Schlauchschals mit Netzstoff nicht ausreichend als Schutz vor dem Coronavirus. Auch eine Studie aus "Science Advances" belegt, dass Halstücher oder Bandanas, die sich manche als Mund-Nasen-Schutz umbinden, "sehr geringen Schutz" bieten. Die genauen Erkenntnisse dazu sind allerdings relativ neu.
Wissenschaftliche Studien zu Alltagsmasken gab es zum Zeitpunkt der Demonstration im Mai noch nicht. Erst im Juni wiesen Forscher nach: Alltagsmasken können vor dem Coronavirus schützen. Das wiederlegt übrigens auch die Falschbehauptung der Coronakritiker im Screenshot (siehe oben), "normale" Masken würden nicht vor dem Virus schützen.
Zweilagige Baumwollmasken schneiden am besten ab
Im August erschien die erste Studie, die verschiedene Alltagsmasken verglich, später folgten weitere Untersuchungen dazu. Zweilagige Baumwollmasken schnitten am besten ab, Halstücher am schlechtesten.
Zum Zeitpunkt der Demonstration gab es diese Studien allerdings noch nicht und man wusste kaum etwas darüber, welche Masken wie gut schützen. Das bayerische Staatsministerium empfahl den Bürgern aber schon im April, für Alltagsmasken am besten Stoffe zu verwenden, die möglichst dicht sind und zu 100 Prozent aus Baumwolle bestehen. Auch vom Robert-Koch-Institut hieß es schon im April, Masken aus eng-gewebten Baumwollstoffen entsprächen am ehesten einem Mund-Nasen-Schutz.
Gab es damals eine Maskenpflicht für die Polizisten?
Die Aufnahmen der Demonstration vom 9. Mai zeigen: Von den Demonstranten trug fast niemand eine Maske, von den Einsatzkräften trugen einige die Schals, andere medizinische Masken, auch die anwesenden Kamerateams trugen einen Mund-Nasen-Schutz.
Als die Demonstration in Nürnberg stattfand, gab es zwar bereits eine Maskenpflicht beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln – allerdings nicht bei Demonstrationen. Zu diesem Zeitpunkt galt die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Unter dem Paragraph 3 zu Versammlungen ist keine Maskenpflicht vorgesehen. Laut Polizei Mittelfranken sei aber in den Auflagen zur Demo meistens empfohlen worden, Masken zu tragen.
Auch für die Bayerische Polizei galt laut eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Demonstration keine generelle Pflicht zum Tragen von Masken im Dienst. "Jedoch erging intern die Empfehlung bei Bürgerkontakt einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen", so die Polizei Mittelfranken.
Fazit:
Der Screenshot aus der Sendung "Frankenschau aktuell", der zurzeit verbreitet wird, ist schon älter und aus dem Zusammenhang gerissen. Die Aufnahme stammt von einer Demonstration in Nürnberg am 9. Mai 2020. Damals galten noch andere Regeln und auch der Wissensstand über Masken hat sich seitdem verändert.
Laut Experten und Studien schützen Schals und Halstücher nicht ausreichend. Allerdings gab es im Mai noch keine Belege, die Studien dazu erschienen erst in den letzten Monaten. Staatsregierung und RKI empfahlen allerdings schon damals, dicht gewebte Baumwollstoffe zu verwenden – und dicht gewebt ist der Netzstoff der Schlauchschals der Polizei augenscheinlich nicht.
Mittlerweile hat die Polizei Mittelfranken laut eigenen Angaben die Schals mit Netzstoff überprüfen lassen und verwendet sie nicht mehr. Die Einsatzkräfte trugen die Mund-Nase-Bedeckungen damals freiwillig, es gab keine Maskenpflicht.
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