Kinder haben in einem Kindergarten farbige Abdrücke ihrer Hände auf einem Fenster hinterlassen.
Bildrechte: dpa-Bildfunk / Michael Reichel

In Krailling hat Großteil der verzweifelten Familien kurzfristig doch noch eine Zusage für den Hort gekriegt.

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Schuljahresbeginn – Ganztagsbetreuungsplätze verzweifelt gesucht

Am Dienstag startet Bayern in ein neues Schuljahr. Doch viele Familien sind verzweifelt, denn sie haben keinen Platz für die Ganztagsbetreuung für ihr Kind bekommen. Wo hakt es? Und: Was hat sich in den vergangenen Monaten überhaupt getan?

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Es hat sich tatsächlich etwas getan in Krailling im Landkreis Starnberg: Drei Teilzeitkräfte konnten noch eingestellt werden für den Hort. Das heißt: Ein Großteil der bisher 21 verzweifelten Familien ohne Platz für die Ganztagsbetreuung hat kurzfristig doch noch eine Zusage für den Hort bekommen.

Unter ihnen ist Florian Stöckl, der heilfroh ist, seine Tochter auch nach der Schule gut betreut zu wissen. Der Platz im Hort erleichtere der gesamten Familie den Alltag erheblich, erzählt er. Für ihn habe die Zusage aber einen negativen Beigeschmack. Denn leider hätten nicht alle Familien in der Gemeinde so viel Glück gehabt wie seine.

Ohne Ganztagsbetreuung: Familie ist auf sich allein gestellt

Nathalia Mieth gehört zu einer davon. Sie wartet immer noch auf einen Betreuungsplatz für ihren Sohn, der am Dienstag in die Schule starten wird. Die Familie ist auf sich allein gestellt. Daheim bleiben kann die Mutter nicht, da sie erstens selbst eine gefragte Fachkraft in der Apotheke ist und an ihrem Arbeitsplatz dringend gebraucht wird. Zweitens läuft ihre Elternzeit bald aus, und drittens benötigt die Familie das zweite Einkommen, um unter anderem den hart erkämpften und dringend nötigen Krippenplatz für den jüngeren Sohn zu finanzieren. "Das ist ein Integrationsplatz, er bekommt da Frühförderung durch die Heilpädagogin", erzählt Nathalina Mieth.

Kinderbetreuung während der Arbeitszeit

Also heißt es für diese Familie: Sie müssen ihren Erstklässler selbst betreuen, wenn er zwischen 11 und 12 Uhr von der Schule heimkommt. Während der Arbeitszeit. Entweder muss der Sechsjährige sich allein ruhig beschäftigen, wenn sein Papa im Homeoffice arbeitet. Oder, an Tagen, an denen der Vater nicht von zu Hause aus arbeiten kann, muss Nathalia Mieth Pause in der Apotheke machen, um ihren Sohn von der Schule abzuholen. Dann wird der Erstklässler im Pausenraum der Apotheke warten, bis seine Mutter fertig ist mit der Arbeit. Mehrere Stunden sind das. Denn Nathalia Mieth hat frühestens um 14 Uhr aus.

Misere durch bildungspolitische Fehler

Jan Lang ist Kreisgeschäftsführer des BRK Starnberg. Das Bayerische Rote Kreuz betreibt unter anderem den Hort in Krailling. Für ihn ist die Misere im Bereich der Kinderbetreuung keine Überraschung. Es seien jahrelang bildungspolitische Fehler gemacht worden, die sich noch eine Zeitlang zeigen und auswirken werden. Am Markt habe sich nichts Grundlegendes verändert. Obwohl es in Krailling und auch in anderen Einrichtungen gelungen sei, Personal zu gewinnen, "haben wir nicht die Personaldecke, die wir bräuchten, um die ganzen Einrichtungen voll auszulasten", so Lang.

Sozialministerium verweist auf Kommunen

Offizielle Zahlen, wie viele Plätze in der Ganztagsbetreuung derzeit fehlen, gibt es weder vom Kultus- noch vom Sozialministerium. Krailling ist nur ein exemplarisches Beispiel für viele in ganz Bayern. Fest steht: Ab 2026 soll es in Bayern einen stufenweisen Rechtsanspruch geben auf einen Platz in der Ganztagsbetreuung. Doch Kommunen und Träger der Einrichtungen sehen schwarz.

Laut Bayerischem Sozialministerium werde alles dafür getan, mehr Personal zu gewinnen. So sei unter anderem die Erzieherausbildung umfassend modernisiert worden, der Meisterbonus mit jetzt 3.000 statt 2.000 Euro gelte auch für Erzieherinnen, eine Reform der Kinderpflegeausbildung wurde eingeleitet – und das, obwohl der Freistaat eigentlich gar nicht für die Kindertagesbetreuung zuständig sei. Denn das, betonen Sprecher des Ministeriums immer wieder, seien in erster Linie die Kommunen und Träger.

Kommunen fühlen sich im Stich gelassen

Die sind jedoch enttäuscht vom Freistaat, wie Kraillings Bürgermeister Rudolph Haux schon im Mai erklärt hat: Der Gemeinde mit rund 8.000 Einwohnern koste die Kinderbetreuung jährlich über zwei Millionen Euro. Das seien Gelder, so Haux, die fehlten, um die Pflichtaufgaben erfüllen zu können. Die Kosten würden auf die Kommunen abgewälzt, ärgert sich der Bürgermeister. Wieder einmal gehe es um eine Frage der gerechten Kostenverteilung zwischen Kommunen und Staat.

BRK Starnberg: "Es gibt Perspektiven!"

Der Druck vor Ort ist groß. Doch: Es tut sich was. Das BRK Starnberg hat beispielsweise mit den Gemeinden Krailling und Gauting Pilotprojekte entwickelt. Unter anderem eine Kombination von Mini- und regulärer Kita, sowie eine Akademie, um Quereinsteiger auszubilden. Der erste Kurs beginnt im Herbst, mehr als zehn Teilnehmerinnen sind schon angemeldet. Sie könnten zum nächsten Schuljahr bereits eingestellt werden – was den Kreisgeschäftsführer sehr freut, wie er sagt. "Weil es uns zeigt, dass es eine Perspektive gibt."

Gerade hat das Starnberger BRK zudem noch eine Ergänzungskraft gefunden, deren Qualifikationen vom Landratsamt anerkannt wurden. Das heißt: Es können demnächst noch mehr Kinder im Hort aufgenommen werden.

Vertrauen ins System verloren

Für Nathalia Mieth ist das keine Option mehr. Ihr Vertrauen in die öffentlichen Einrichtungen sei weg, sagt die junge Mutter, die ihren Erstklässler nachmittags selbst betreuen wird – während der Arbeitszeit. Mit Blick auf das neue Schuljahr frage sich die Familie schon: Schaffen wir das? Doch es gebe nur die eine Antwort: "Es muss jetzt einfach funktionieren, da bleibt uns nichts anderes übrig."

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