Ein riesiges Hakenkreuz, geschmiert an die Wand eines Seniorenheims. Briefe, in ganz Bayern verteilt mit holocaustleugnenden Zeilen. Ein Security-Mitarbeiter, der auf einer Sport-Großveranstaltung in München einen Hitlergruß macht.
Es sind Fälle wie diese, die Staatsminister Georg Eisenreich zeigen, dass es den neuen zentralen Antisemitismus-Beauftragten der bayerischen Justiz, Andreas Franck, braucht. "Solche Angriffe dulden wir in Bayern nicht, wir haben eine besondere Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden", bekräftigt Eisenreich.
Durchschnittlich mehr als zwei antisemitische Vorfälle pro Werktag
Andreas Franck kümmert sich seit einem Jahr speziell um judenfeindliche Straftaten. Er ist kein Unbekannter in der Münchner Justiz, war zuvor Leiter der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft München I. Jetzt ist Franck, neben einigen regionalen Antisemitismusbeauftragten, der zentrale Ansprechpartner bei antisemitischen Vorfällen in Bayern. Seit Oktober 2021 hat er bayernweit in mehr als 650 Fällen Ermittlungen eingeleitet, das sind durchschnittlich mehr als zwei Fälle pro Werktag.
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"Gerade die antisemitischen Vorfälle in Zeiten der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie schnell Menschen in Denkmuster und Motive des Mittelalters zurückfallen", sagt Franck. Hinter seiner Arbeit stecke deshalb immer auch die Botschaft, "dass ein jüdischer Geschädigter merkt, dass wir das, was von der Justiz oder Politik formuliert wurde, ernst meinen. Dass ein Opfer von Antisemitismus den Eindruck hat: Hier will man meine Anzeige wirklich."
Nur jedes fünfte Opfer erstattet Anzeige
Deswegen empfindet er steigende Anzeige- und Verfahrenszahlen auch nicht unbedingt als schlecht, sondern auch als Zeichen dafür, dass das riesige Dunkelfeld aufgehellt wird und sich mehr Menschen trauen zur Polizei zu gehen. Trotzdem erstatten Franck zufolge Opfer von Antisemitismus immer noch viel zu selten Anzeige: Nur jeder fünfte – die große Mehrheit tut das also nicht. Oft, weil das Vertrauen in die Behörden fehlt, vermutet Oberstaatsanwalt Franck. Das will er mit seiner Arbeit zurückgewinnen.
Polizisten und Lehrer sollen weiter sensibilisiert werden
Das Vertrauen in die Behörden soll auch dadurch wachsen, dass Polizisten stärker für das Thema Antisemitismus sensibilisiert werden. Die sind meistens der erste Kontakt jüdischer Menschen nach einer Straftat. Auch Lehrer will Franck weiter fortbilden. Denn sie erhaschen auf den Handys ihrer Schüler immer wieder mal antisemitische Inhalte – Fotos und animierte Bilder, die in Nachrichtenchats kursieren und die zum Beispiel Witze über das Vergasen von Menschen machen.
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"Wenn Lehrer so etwas sehen, dann wissen sie oft nicht, wie sie sich verhalten sollen, ob das strafbar ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir in den Schulen präsent sind. Die Lehrer müssen erkennen, wann ein Bild nicht nur ein misslungener Spaß, sondern möglicherweise sogar eine Straftat ist", sagt Franck. "Die Schüler, die so was verbreiten, sind ja keine Antisemiten. Sie finden es lustig so etwas weiterzuleiten, aber auch sie müssen lernen: Es ist kein Spaß."
Der Großteil des antisemitischen Fälle ist rechtsextrem motiviert
Im Jahr 2021 waren über 90 Prozent der angezeigten antisemitischen Straffälle rechtsextrem motiviert. Andere Motivationen, wie Antisemitismus von links oder islamistischer Antisemitismus, sind kaum unter den Anzeigen. Zwar gebe es auch Steigerungen beim islamistischem Antisemitismus durch Zugewanderte, aber auf einem sehr geringen Niveau. "Das ist tatsächlich interessant, denn wenn man Umfragen liest, wird von Jüdinnen und Juden der islamistische Antisemitismus als das drängendste Problem wahrgenommen", sagt Antisemitismusbeauftragter Franck. "Wir können mit unseren Statistiken nicht abbilden, woran das liegt. Es mag an einer geringeren Anzeigebereitschaft liegen, es kann natürlich auch daran liegen, dass es sich um Vorfälle handelt, die die Schwelle zum Strafrecht noch nicht überschritten haben."
Islamistischen Antisemitismus halten Juden selbst für bedrohlicher
Dass für jüdische Menschen der islamistisch motivierte Antisemitismus als bedrohlicher empfunden wird, erklärt Florian Ritter von der SPD-Landtagsfraktion, Sprecher im Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, so: "Für die in Deutschland lebenden Juden können Parolen auf propalästinensischen Demos oft viel verletzender sein, als historische Relativierungen. Denn hier zielen die Parolen direkt auf sie, auf die aktuell in Deutschland lebenden Juden – nicht auf die geschichtliche Dimension.“
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So wie Justizminister Eisenreich bewerten auch Ritter und die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag die Einrichtung des Amtes des zentralen Antisemitismus-Beauftragten als ausgesprochen positiv. "Man kriegt durch die Stelle ein Gefühl für die Dimension des Antisemitismus", so Ritter.
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