Koffer, Rucksäcke, Fahrräder und jede Menge Reisende - an bayerischen Bahnsteigen und Bushaltestellen ist es voll, seit es das 9-Euro-Ticket gibt. 20 bis 30 Prozent mehr Auslastung melden die Verkehrsbetriebe seit Mai.
Unterschiedliche Nutzung des 9-Euro-Tickets
Wer sich umhört, wie das 9-Euro-Ticket genutzt wird, bekommt sehr unterschiedliche Dinge zu hören. Viele fahren damit nicht in einen längeren Urlaub, aber sehr wohl zu einer Tagestour. Andere nutzen als Berufstätige das Ticket für eine gelegentliche Tagestour. Etliche geben an, sie würden öfter mit dem Zug fahren, wenn das Ticket immer so billig wäre: "Günstiger kann man nicht reisen. Das 9-Euro-Ticket sollte weitergeführt werden", sagt einer von ihnen.
1.000 Studien-Teilnehmer per Smartphone-App
Genau um diese Frage geht es in der laufenden Studie der Technischen Universität (TU) München: Was hat das 9-Euro-Ticket gebracht? Aufmerksamkeit - in jedem Fall: "Es ist klasse, dass der öffentliche Verkehr durch so eine Maßnahme ins Zentrum der öffentlichen Diskussion rückt", freut sich Klaus Bogenberger. Er ist Professor für Verkehrstechnik an der TUM und Projektleiter der Untersuchung "Mobilität.Leben". Für die Studie hat er 1.000 Teilnehmende mit Smartphone-Apps ausgestattet. Von Mai bis September zeichnet die App Bewegungsprofile auf, also vor, während und nach der 9-Euro-Ticket-Phase. Zusätzlich füllen die Probandinnen und Probanden Onlinefragebögen aus zu ihrer Energienutzung und ihrem Konsumverhalten.
Leichter Rückgang im Straßenverkehr
Jetzt zieht Bogenberger eine erste Zwischenbilanz: "Wir konzentrieren uns sehr auf München, das ist Bestandteil unseres Studiendesigns, dass wir Leute anschauen möchten, die Wahloptionen haben, wo man tatsächlich im täglichen Rhythmus sein Mobilitätsverhalten ändern kann und wir sehen einen leichten Rückgang im Straßenverkehr."
Der liege bei etwa drei Prozent im Vergleich zu 2019 und sei wohl nicht alleine dem 9-Euro-Ticket geschuldet, gibt Bogenberger zu. Ferien, Feiertage und Corona-Nachholeffekte spielen sicher auch eine Rolle. Dennoch: Vor allem Autobesitzer haben laut Studie in den Pfingstferien die 9-Euro-Option genutzt, besonders für Kurztrips mit der Bahn. 35 Prozent der Befragten wählen nun öfter öffentliche Verkehrsmittel.
Viele steigen um auf öffentliche Verkehrsmittel
22 Prozent sind neu auf die öffentlichen Verkehrsmittel umgestiegen, ein Viertel davon fährt nun mindestens drei Tage die Woche mit Bus, Bahn oder Tram.
"Die Studie ist schon sehr interessant, vor allem, weil sie halt eine Vorher-, eine Mittendrin- und eine Nachherbefragung machen", urteilt Wulf-Holger Arndt vom Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin: "Und ich bin sehr gespannt auf die Nachherbefragung, weil die ist ja noch nicht abgeschlossen, das 9-Euro-Ticket läuft ja noch bis Ende August. Wichtig ist aber, dass das erst mal nur so ein Ersteffekt wahrscheinlich ist." Dass die Menschen also ausprobieren wollen, glaubt Arndt, wie es ist, mal günstig und einfach öffentlich von A nach B zu kommen. Denn der Zugang zum ÖPNV ist durch Tarif-Wirrawarr und hohe Preise tatsächlich auch mit Barrieren versehen. Und das zu reduzieren, ist eine wichtige Aufgabe. Der Ausbau des ÖPNV ist die andere wichtige Aufgabe. Uns nützt nichts, wenn wir vielleicht sogar einen Nulltarif haben, aber kein Bus fährt.
Allround-Ticket könnte auch 69 Euro kosten
Die Münchner Studie zum 9-Euro-Ticket könnte wesentliche Ansätze liefern, wie man diese Aufgaben bewältigt, meint Arndt. Ebenso weitere Untersuchungen, die aktuell an mehreren Hochschulen zu genau diesem Thema laufen. Die TU Dresden hat beispielsweise festgestellt: Für ein günstiges Allround-Ticket wären Kunden auch bereit, mehr als neun Euro zu bezahlen – zwischen 39 bis 69 Euro.
Sogar Menschen in mittel- bis dünnbesiedelten Regionen, die bisher nicht wirklich profitieren vom aktuellen 9-Euro-Ticket. Eine Erhebung der Uni Kassel bestätigt: Manche kaufen das 9-Euro-Ticket als politisches Statement. Angela Francke ist Professorin für Radverkehr und Nahmobilität in Kassel: "So gab es wirklich einige Personen, die erzählten, dass das Ticket nur eine symbolische Bedarfsbestimmung ist und sie das in ihrer Region gerade nicht nutzen können, aber es zeigt, dass sie wollen, dass dieser ÖPNV kommt und dass wirklich eine Nachfrage da ist nach einem kostengünstigen und flächendeckenden Angebot."
Bislang 2.300 Befragte - Ergebnisse im Herbst
2.300 Teilnehmende hat Francke vor und während der 9-Euro-Ticket-Phase befragt, jetzt sollen Daten erhoben werden für die Zeit nach 9-Euro. Besonders geht es dabei um größer gedachte Mobilitätskonzepte: "Wir sehen, dass Menschen die Strecke zum ÖPNV auch mit dem Fahrrad oder Pedelec oder E-Scooter zurücklegen könnten und dass diese Wegeketten sehr wichtig sind."
Nach solchen integrierten Konzepten sucht auch Klaus Bogenberger von der TU München. Im weiteren Verlauf seiner Studie will er herausfinden, was idealerweise nach dem 9-Euro-Ticket kommen könnte. Ergebnisse erwartet Bogenberger im Herbst.
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