Marken wie Otto oder Ikea haben schon vor Jahren damit aufgehört, Kataloge zu drucken. Auch Obi hat diesen Juni Schluss gemacht - aus Nachhaltigkeitsgründen. Und jetzt zieht mit REWE der erste Lebensmittelhändler nach.
28 Milliarden Werbeprospekte jährlich
Allein REWE verteilt jährlich 25 Millionen Werbeprospekte. Zusammen mit all den anderen Marken kommen wir deutschlandweit auf 28 Milliarden. Eine gigantische Papierflut.
Aber werden die Blättchen bei dieser Informationsüberlastung überhaupt noch genutzt? Verbraucher vor einem Supermarkt in Gilching im Landkreis Starnberg sind da durchaus geteilter Meinung: "Ich habe die Bring-App. Da werden mir die Prospekte auch angezeigt. Die Prospekte in gedruckter Form landen bei mir gleich im Papiermüll", sagt ein Vater, der gerade mit seinen zwei Kindern vom Einkaufen kommt. "Meine Devise ist, ich kaufe was ich brauche, und nicht das, was im Angebot ist," antwortet eine junge Frau. Nur ein Radl-Fahrer, der kurz in den Laden springt, meint: "Ich habe auch die Rewe-App, aber wir nutzen tatsächlich immer die Prospekte, die in diesen kleinen Blättchen drin sind und gucken da auch tatsächlich rein."
Veränderungen auf dem Werbemarkt lassen Print-Produkte alt aussehen
Fakt ist: Der Werbemarkt ist im Wandel. Neben den gedruckten Prospekten bieten alle Lebensmittelhändler mittlerweile auch Handy-Apps an, auf denen sie ihre wöchentlichen Angebote bewerben.
Dass REWE jetzt als erster Lebensmittelhändler ganz auf die gedruckten Prospekte verzichtet, begründet der Konzern mit seinem Engagement im Umweltschutz. Und schreibt auf BR-Anfrage: "Die Umstellung spart mehr als 73.000 Tonnen Papier, 70.000 Tonnen CO2, 1,1 Millionen Tonnen Wasser und 380 Millionen kWh Energie pro Jahr ein." Eine ähnliche Begründung für den Verzicht auf Papierprospekte liefert die Baumarktkette Obi.
Umweltschutz als alleiniger Grund? Nicht nur, sagt Prof. Florian Becker, Wirtschaftspsychologe an der Technischen Hochschule Rosenheim. "Wenn man in einem Unternehmen oder in der Politik eine Entscheidung trifft, dann ist es meistens so: Man trifft die Entscheidung aus bestimmten Gründen und der zweite Punkt auf der Tagesordnung ist, sich zu überlegen, wie verkaufen wir diese Entscheidung. Das heißt, Nachhaltigkeit ist natürlich ein Trend und Menschen achten darauf. Es macht sich gut, wenn wir sagen, wir stellen den Prospekt ein, weil wir nachhaltig sein wollen. Der zweite Grund ist, das Papier hat sich verteuert. Wir reden also nicht von 10 oder 20 Prozent. Wir reden von Hunderten Prozent."
Gestiegene Kosten bei weniger Werbe-Wirkung
Dazu kommen die gestiegenen Energiepreise, außerdem fehlen Zustellerinnen und Zusteller. So wird der Werbeprospekt immer teurer - sticht in der Masse an Werbeheftchen, die wir wöchentlich in unseren Briefkästen haben, aber kaum noch heraus. Die Werbe-Wirkung lässt also nach. Dabei war der Prospekt jahrzehntelang das Werbemittel Nummer eins, erklärt Prof. Florian Becker: "Es geht dabei nicht nur darum, ein Produkt zu zeigen und zu verkaufen, sondern einfach auch zu erinnern: Es gibt uns! Das nennt man in der Psychologie den "Mere-Exposure-Effekt". Je öfter wir eine Marke sehen, desto sympathischer wird sie uns.“
Werbung per App bietet Konzernen mehr Möglichkeiten der Kundenbindung
Dieser "Mere-Exposure-Effekt" jedoch kann auch auf andere Werbe-Mittel übertragen werden. Die Werbe-Etats der Lebensmittelhändler gehen mittlerweile zu über 50% in digitale Werbung, erklärt Wirtschaftspsychologe Becker. Die Strategie dahinter: "Bei der digitalen Plattform kannst du verschiedenen Nutzern auch ganz andere Preise geben, kannst viel mehr verdienen. Du gibst jedem die Werbung, von der du weißt, dass es diese Person interessiert. Du nervst niemanden und der Kunde kann in der Werbung gleich kaufen."
Marken-Erlebnis und Wieder-Erkennungs-Effekt einer Handelskette landen mit dem Verzicht auf Prospekte also nicht in der Tonne, sondern werden strategisch ausgebaut.
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