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Wie salafistische "Gefangenenhelfer" den Ausstieg verhindern

Wie salafistische "Gefangenenhelfer" den Ausstieg verhindern

Die Sicherheitsbehörden warnen. Seit der Fahndungsdruck auf die salafistisch-dschihadistische Szene steigt, reagieren Salafisten-Helfer mit verstärkter Unterstützung für inhaftierte Terrorverdächtige - mit der Botschaft: durchhalten. Auch in Bayern.

Über dieses Thema berichtet: Bayern am .

Der Druck der Ermittler auf die salafistisch-dschihadistische Szene in Deutschland nimmt zu. Gegen immer mehr mutmaßliche Terroristen wird ermittelt. Allein in diesem Jahr zählte die Bundesanwaltschaft 855 Verfahren gegen insgesamt 905 Tatverdächtige, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht.

Die Salafisten-Szene reagiert auf den Fahndungsdruck mit verstärktem Einsatz für Häftlinge, die wegen Terrorverdachts im Gefängnis sitzen. Es geht dabei um die Unterstützung für Personen, die sich Terrorgruppen in Syrien angeschlossen hatten, die als Gefährder Deutschland verlassen mussten oder denen zur Last gelegt wird, dass sie hier in Europa Anschläge verüben wollten.

Geld sammeln für inhaftierte Gefährder und mutmaßliche Terroristen

Die Unterstützter koordinieren ihre Arbeit über Facebook oder den Messengerdienst Telegram - entweder öffentlich sichtbar, mit tausenden Anhängern oder in konspirativ angelegten Chats. Sie sammeln damit Geld für Inhaftierte und deren Angehörige. Sie verkaufen dafür zum Beispiel Gebrauchsgegenstände und Bastelpüppchen. Und sie bringen Kinder dazu, in Propaganda-Videos für solche Spendenaktionen zu werben.

Diese sogenannten "Gefangenenhelfer" gehen auch in Gerichtsverhandlungen gegen Terrorverdächtige, auch in Bayern. Sie pflegen vereinzelt Kontakte zu Anwälten, um sie bei Bedarf an Salafisten zu vermitteln.

Verfassungsschützer: "Gefangenenhilfe vernetzt die Szene"

Für Sicherheitsbehörden und Beratungsstellen, die radikalisierte Männer und Frauen zum Ausstieg aus der Szene bewegen wollen, sind das Solidaritätsaktionen, die verhindern sollen, dass Salafisten in Haft aussteigen oder mit Behörden kooperieren. Diese sogenannte "Gefangenenhilfe" vernetzt die Szene, will ein positives Gemeinschaftsgefühl schaffen. "Dieser Gedanke ist so stark geworden, dass Gefangenenhilfe so etwas wie eine Vernetzung oder eine Scharnierfunktion ist", sagt Burkhard Freier, Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes.

"Gefangenenhelfer" reagieren auf Anfrage mit Facebook-Post

Verfassungsschützer beobachten zum Beispiel Al Asraa (arab. "die Gefangenen") - eines der bekanntesten Gefangenenhelfer-Netzwerke mit mehr als 6.500 "Gefällt mir"-Angaben auf Facebook. Auf Anfrage des Bayerischem Rundfunks und von Deutschlandfunk Kultur reagiert Al Asraa mit einem öffentlichen Post auf der Facebook-Seite: "Egal, welche Fristen gesetzt werden, wir werden auf nichts dergleichen eingehen und kein Interview abgeben. Erfahrungsgemäß ist es ohnehin egal, was gesagt wird."

"Kind, Kegel, Kalifat": Die wichtige Rolle der Frau

Die Arabistin Claudia Dantschke von der Berliner Beratungsstelle Hayat weist darauf hin, dass insbesondere Frauen in Gefangenenhelfer-Netzwerken eine entscheidende Rolle spielen. "Frauen sind wichtig, um sich um die Familie zu kümmern, um die inhaftierten Frauen, aber auch um die inhaftierten Männer - durch Organisieren von Briefen, die geschrieben werden. So hält man halt im Gefängnis die Szene beisammen", so Dantschke Anfang November auf einer Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung in Düsseldorf unter dem Titel "Kind, Kegel, Kalifat. Frauen und Kinder: Blinde Flecken in der Salafismus-Prävention?"

Dabei spielt für Salafisten Geschlechtertrennung eine wichtige Rolle. "Gefangenenhilfe", die vor allem im Internet stattfindet, sei für Frauen eine gute Möglichkeit sich einzubringen, auch für inhaftierte Männer, so das Bundesamt für Verfassungsschutz: "Weil es nicht zum persönlichen Kontakt mit Männern kommt".

Kinder malen Bilder für die Häftlinge

Auch Kinder werden in die Gefangenenhilfe eingebunden. "Frauen erklären dann Kindern zum Beispiel, warum der Vater, der Onkel oder Bekannte in Haft sind. Sie sagen, der ist auf Allahs Weg, aber die Ungläubigen haben ihn inhaftiert", sagt Burkhard Freier, Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. "Dann malen die Kinder Bilder im Auftrag der Mütter, schicken das in das Hafthaus. Für die, die da in Haft sitzen, hat das eine große Bedeutung." Burkhard Freier zufolge vermitteln die Kinderzeichnungen den Inhaftierten die Durchhalte-Botschaft, die Szene stehe noch hinter ihnen: "Das darf man nicht unterschätzen, wenn das so auf einer Gefühlsebene passiert."

Salafistisches Netzwerk auch in Bayern aktiv

Besonders beliebt, bei vielen Frauen aus der Unterstützer-Szene, war das inzwischen geschlossene Netzwerk "Free our sisters" - mit Plattformen auf Facebook und Telegram. Auf Facebook hatte es zuletzt mehr als 2.000 "Gefällt mir"-Angaben.

Laut bayerischem Verfassungsschutz haben Salafisten in Haftanstalten im Freistaat auch Post von "Free our sisters" erhalten. Zu den Administratorinnen des Netzwerks gehörte nach Informationen von BR und Deutschlandfunk Kultur eine Frau aus Niedersachsen. Ihr wird von der Bundesanwaltschaft Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zur Last gelegt: Sie sei für die Terrormiliz IS im Irak als sogenannte "Sittenwächterin" tätig gewesen und bereits 2016 nach Deutschland zurückgekehrt.

Erst im Juni dieses Jahres hatte die Polizei die Frau in Schwaben auf der Durchreise verhaftet. Weil "Free our sisters" inzwischen geschlossen wurde haben die Unterstützer ihre "Gefangenenhilfe" längst in andere Netzwerke verlagert.

Der Gefangenenhelfer Bernhard Falk

Einfluss auf die Szene hat der zum Islam konvertierte Gefangenenhelfer und ehemalige Linksterrorist Bernhard Falk, der regelmäßig in ganz Deutschland Gerichtsverhandlungen besucht. Auch in bayerischen Prozessen ist er immer wieder als Zuschauer dabei. Regelmäßig berichtet er auf seiner Facebook-Seite von seinen Prozess-Besuchen.

Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat beschreibt Falk als einen Unterstützer, der einen guten Draht zu Szene-Anwälten habe. Er habe Frauen, die aus Terrorgruppen aus Syrien und dem Irak zurückgekehrt seien, zu ihm vertrauten Anwälten vermittelt. Straf-Verteidiger, die sich teilweise selbst als "szenekundig" bezeichnen. Das inzwischen geschlossene Netzwerk "Free our sisters" hatte ausdrücklich auf Falk verwiesen - letzten Oktober, als "Free our sisters" vom Netz ging: Er setze sich wirklich ein für Gefangene, an ihn könne man sich wenden.

Im Gespräch sagte Falk, seine Arbeit diene der "moralischen Unterstützung von Gefangenen". Die Behauptung, er würde Leute in der Szene halten wollen, sei "Staatsschutzpropaganda".

Falk besuchte Rückkehrerin in Haft

Zum Beispiel hatte der Gefangenenhelfer nach eigenen Angaben eine 46-jährige Frau vor ihrer Rückkehr nach Deutschland bei der Anwaltssuche beraten. Sie soll sich mit ihrem inzwischen zwölfjährigen Sohn bei der Terrormiliz IS aufgehalten haben und sitzt seit Oktober in Deutschland in Untersuchungshaft.

Zudem hat Falk im Dezember eine mutmaßliche IS-Rückkehrerin in einem Gefängnis in Baden Württemberg besucht. Anschließend echauffierte er sich auf seiner Facebook-Seite, dass diese Frau schon seit Monaten in Haft sitze und von ihren beiden kleinen Kindern getrennt sei.

Die vermehrte Inhaftierung zurückgekehrter Frauen aus dem Kriegsgebiet in den vergangenen Monaten sei eine ziemliche Provokation für die Szene, so Falk: "Diese Frauen haben in keiner Weise selbst gekämpft."

Manch eine Rückkehrerin in Haft teilt Falks Sichtweise. Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat hat da ihre Erfahrungen gemacht. "Fast Null", so schätzt Dantschke die aktuelle Bereitschaft mancher Rückkehrerin ein, sich von der Szene zu distanzieren oder langfristig aus der Szene auszusteigen. Denn: Im Kriegsgebiet, so die Version mancher Frauen, hätten sie sich nur um Kinder und den Haushalt gekümmert.