Bettler gehören zum Straßenbild deutscher Großstädte. Verboten ist Betteln grundsätzlich nicht: Sogenanntes "stummes Betteln" ist erlaubt. Doch viele Passanten beschleicht angesichts der meist aus Osteuropa stammenden Menschen am Straßenrand ein ungutes Gefühl: Werden sie ausgebeutet? Geht das gesammelte Geld gar nicht in ihre eigene Tasche? Das Gerücht von einer Bettelmafia geistert schon lange herum.
Mafia oder Familien?
Tatsächlich kennen sich viele der Bettler. Das liegt aber daran, dass sie oft aus der gleichen Familie stammen. Oder zumindest aus demselben Ort. Häufig sind es Roma. Die Bevölkerungsgruppe der Roma, immerhin die größte ethnische Minderheit der EU, ist immer noch deutlich benachteiligt: Etwa 80 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze ihres Landes, jeder Dritte hat in seiner Unterkunft nicht mal fließendes Wasser. Arbeit gibt es für die Roma in Rumänien wenig. Und wenn, dann ist sie sehr schlecht bezahlt.
Betteln ist lukrativer als Arbeit
Betteln im Ausland ist da lukrativer. Häufig gehen die Mütter und Väter der Großfamilien für einige Wochen in die europäischen Großstädte. Sie sitzen dort so lange auf den Straßen, bis sie den Lebensunterhalt für ihre Familien für die nächste Zeit erbettelt haben. Zurück bleiben die Kinder. Viele Kinder.
Liviu Oprescu-Klein, von der rumänische Hilfsorganisation "Somebody Cares", spricht von 80.000 Kindern in Rumänien, bei denen mindestens ein Elternteil im Ausland arbeite. Bei 20.000 Kindern arbeiteten beide im Ausland. "Der Effekt davon, dass Kinder ohne ihre Eltern aufwachsen, ist katastrophal, das ist sehr schlecht. Da liegt unser Fokus, denn wenn den Kindern jetzt niemand hilft, sehen wir die Folgen nach zehn Jahren", erklärt Oprescu-Klein.
Die zurückgelassenen Kinder sind oft in großen Gruppen fremduntergebracht – nicht selten sind sie dabei mehr oder weniger sich selbst überlassen.
Mit Bildung heraus aus der Armut
Die Folge: Die Hälfte der Roma im Alter zwischen sechs und 24 Jahren besuchen keine Schule. Dabei wäre Bildung der Schlüssel heraus aus der Armut – da ist sich zumindest Oprescu-Klein, ein gebürtiger Rumäne, der viele Jahre in Deutschland gelebt hat, sicher. Die Hilfsorganisation "Somebody Cares" gründete er gemeinsam mit seinem Bruder. Dort nimmt man sich der Kinder an, betreut und verpflegt sie. Und sie fahren die Lehrerinnen mit dem Auto zum Unterricht in abgeschiedene Dörfer.
Bettelei entlastet die Kommunen
Eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass viele Roma-Siedlungen über keinerlei Infrastruktur verfügen. Es gibt nicht einmal befestigte Straßen, die dorthin führen. Die zuständige Kommune sieht sich außer Stande, daran etwas zu ändern: Es ist schlicht kein Geld da. Die Freizügigkeit, die der EU-Beitritt Rumäniens 2007 gebracht hat, wird von vielen für Bettelreisen genutzt. Für die lokalen Behörden ist das zumindest finanziell entlastend.
"Bevor die Grenzen offen waren, hatten wir 460 Personen, die Sozialhilfe bekommen haben. Jetzt, nachdem sie in euer Land gekommen sind – vielleicht habt ihr ein größeres Herz, weil ihr so viel gebt – haben wir nur noch 100 Sozialhilfefälle übrig." Florian Bucalie, Bürgermeister von Tufano in Rumänien
Keine Anzeichen für Ausbeutung und Menschenhandel
Aber was ist dran an dem Gerücht von der Bettlermafia, dem organisierten Verbrechen, den Schleusern und Menschenhändlern? Vor Ort in Rumänien deutet nichts darauf hin. Die Bettler selbst erklären, dass sie das Geld komplett behalten dürfen. Auch die Polizei in Deutschland geht nicht von einem kriminellen Hintergrund aus. Bisher sind keine Anzeigen von Bettlern oder Bettlerinnen eingegangen, die gegen ihren Willen betteln müssen – das wäre das zentrale Kriterium für Menschenhandel.
Laut Werner Kraus, vom Polizeipräsidium München, handelt es sich bei den Bettlern auch nach Erkenntnissen der Beamten um organisierte Familien, die nach Deutschland kommen, weil sie hier eher an Geld kommen als in ihrem Heimatland.
Organisiertes "Betteln" stellt in Deutschland keinen Straftatbestand dar, solange keine Ausbeutung vorliegt. "Ausbeutung bei der Ausübung der Bettelei" ist dann gegeben, wenn Personen zum Betteln und zur Abgabe ihrer Einkünfte gezwungen werden.
Was tut die EU?
Die Bettler dürfen sich legal in Deutschland aufhalten. Damit sie nicht, wie in anderen Städten, in Elendsquartieren draußen schlafen müssen, hat die Stadt München ein fünf Millionen Euro teures Pilotprojekt ins Leben gerufen. Das Sozialreferat stellt Schlafplätze zur Verfügung, und zwar nicht nur im Winter, sondern das ganze Jahr über.
Trotzdem sieht Sozialreferentin Dorothee Schiwy auch die EU in der Pflicht. "Wir doktern nur an den Symptomen herum", so Schiwy. Die Ursachen aber müssten auf EU-Ebene bekämpft werden. "Das wäre vor allem die Notwendigkeit, einen europaweiten Mindestlohn einzuführen. Es wäre die Notwendigkeit, gerade Minderheiten wie diese Personengruppe, die ja in ihren Heimatländern meist in sehr ärmlichen Verhältnissen als ethnische Minderheit lebt, zu fördern."