Eine Frau macht ein Kreuz auf einem Wahlzettel.
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Bundestagswahl: Braucht es die Fünf-Prozent-Hürde noch? 

Bundestagswahl: Braucht es die Fünf-Prozent-Hürde noch? 

Rund einen Monat vor der Bundestagswahl zittern gleich drei Parteien davor, knapp an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern: FDP, Linke und BSW. Warum gibt es diese Sperrklausel? Und welche Gründe sprechen gegen sie?

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 1 am Nachmittag am .

Bei Bundestagswahlen gilt die sogenannte Sperrklausel: Bekommt eine Partei bei den Zweitstimmen weniger als fünf Prozent, zieht sie nicht in den Bundestag ein. Eine Ausnahme gibt es: Holt eine Partei über die Erststimmen drei Direktmandate, also gewinnt drei Wahlkreise, zieht sie mit Abgeordneten gemäß ihrem Zweitstimmenergebnis ins Parlament ein. Zuletzt ist das bei der vergangenen Bundestagswahl passiert: Die Linke holte nur 4,9 Prozent, gewann aber drei Direktmandate und stellte deswegen Abgeordnete im Bundestag.

Im aktuellen Deutschlandtrend liegt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei 5 Prozent, FDP und Linke jeweils bei vier. Hoffnungen auf drei Direktmandate, die ebenfalls einen Einzug in den Bundestag bedeuten würden, kann sich wohl nur die Linke machen. Das Szenario, dass alle drei Parteien an der Sperrklausel scheitern, ist durchaus möglich.

Warum gibt es die Fünf-Prozent-Hürde?

"Man versucht mit der Fünf-Prozent-Hürde zu verhindern, dass es zu einer starken Zersplitterung der Präsentation im Parlament kommt, was dann große Konsequenzen für die Koalitionsbildung hat", erklärt Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder im Gespräch mit BR24. Die Sperrklausel sorge für ein hohes Maß an Stabilität.

Es gibt allerdings auch Gründe gegen die Hürde. "Wenn man eine Sperrklausel einführt, dann ist die einzelne Stimme für Parteien, die nicht ins Parlament kommen, vergeben", so Schroeder. Chancen und Wahlfreiheit seien dadurch stark eingeschränkt.

Seit wann gibt es die Fünf-Prozent-Hürde?

Die Fünf-Prozent-Hürde ist auch eine Lehre aus der Weimarer Republik, in der es die Klausel nicht gab. "Man hatte sehr viele Parteien und damit große Probleme, Mehrheitsregierungen stabiler Art zu bilden", erklärt Wolfgang Schroeder von der Uni Kassel. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 galt die Hürde noch getrennt für jedes Bundesland. Die Folge: Zehn Parteien zogen in den Bundestag ein.

1953 verschärfte man die Klausel dann: Die Fünf-Prozent-Hürde galt fortan für das bundesweite Zweitstimmenergebnis. Die Konsequenz war, dass es bis Anfang der 1980er-Jahre quasi ein Drei-Parteien-System gab - bestehend aus Union, SPD und FDP. In den 80ern kamen die Grünen dazu, in den 90ern die Linken-Vorgängerpartei PDS und seit 2017 sitzt mit der AfD eine sechste Partei im Bundestag.

Bundestagswahl 2013 mit Rekord-Wert

Die Fünf-Prozent-Hürde hat zur Folge, dass die Stimmen vieler Menschen nicht im Parlament repräsentiert werden. Nie war deren Anteil höher als bei der Bundestagswahl 2013: 15,7 Prozent der Zweitstimmen gingen an Parteien, die den Einzug nicht in den Bundestag schafften – was zum größten Teil an FDP und AfD lag, die knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten.

Spätestens seit dieser Wahl mehrten sich die Stimmen, die eine Streichung oder zumindest eine Absenkung der Sperrklausel fordern. Der Verein "Mehr Demokratie" setzt sich beispielsweise seit Jahren dafür ein. Deren Sprecher Ralf-Uwe Beck erklärte vergangenes Jahr: "Es verlieren die Wählerinnen und Wähler, deren Stimmen einfach unter den Tisch fallen. Und damit verliert die Demokratie." Der Staatsrechtler Christoph Degenhart sagte nach der Wahl 2013: "Unsere parlamentarische Demokratie ist [...] jetzt so gefestigt, dass so weitgehende Einschränkungen nicht mehr erforderlich sind."

Was für eine Beibehaltung der Fünf-Prozent-Hürde spricht

Politikwissenschaftler Schroeder von der Uni Kassel tritt in der Diskussion auf die Bremse: "Unter den Bedingungen von extremer Unsicherheit und Volatilitäten sollten wir bemüht sein, dem Argument der Stabilität die höhere Bedeutung beizumessen."

Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2024, dass eine Sperrklausel grundsätzlich rechtens ist – dass aber eine Ausgestaltung ohne Grundmandatsklausel, wie es die Ampel-Regierung geplant hatte, verfassungswidrig ist. Karlsruhe gab an, dass der Gesetzgeber die Sperrklausel reformieren, also auch absenken könne. Er ist dazu aber nicht verpflichtet. Sollten es FDP, Linke und BSW nicht in den Bundestag schaffen, könnte die Debatte aber weiter an Fahrt aufnehmen – auch wenn eine Absenkung oder Streichung der Sperrklausel kaum im Interesse der großen Parteien sein dürfte.

Andere Regeln bei anderen Wahlen

Für kommunale und die Europawahlen gilt (inzwischen) keine Sperrklausel, bei der Bundestagswahl sieht Politikwissenschaftler Schroeder dies aber mit der "besonderen Bedeutung der zentralstaatlichen Ebene" begründet. Schroeder warnt vor einer Reform der Sperrklausel: "Die Bundesrepublik ist das größte, stärkste und bedeutendste Land in der EU. Insofern sollten wir alles dafür tun, dass dieses Land nicht wie manch andere Länder in Europa aus den Fugen gerät, sondern weiterhin ein Stabilitätsanker in Europa sein kann."

"Die Sperrklausel hat sich bei Bundestags- und Landtagswahlen bewährt", erklärte auch FDP-Chef Christian Lindner im Jahr 2014 – nur kurz nachdem die Liberalen aus dem Bundestag geflogen waren.

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