Erst die Pläne der Bundesregierung für die Cannabis-Legalisierung in Deutschland, nun Änderungen des Grenzwertes im Straßenverkehr? Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), unterstützt im Interview mit dem Deutschlandfunk das Vorhaben der Bundesregierung, Cannabis zu legalisieren – und spricht sich für eine Anpassung des Grenzwertes im Straßenverkehr aus.
Es sei gut, dass Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) jetzt die Cannabis-Grenzwerte für Autofahrer neu festlegen wolle, sagte er im Deutschlandfunk. So sollen Menschen nicht kriminalisiert werden, die eigentlich fahrtüchtig sind, weil der Konsum bereits länger zurückliege, jedoch noch nachweisbar sei.
Grenzwert derzeit bei einem Nanogramm pro Milliliter Blutserum
Derzeit liegt der Grenzwert, bis zu welchem man ein Fahrzeug im Straßenverkehr bewegen darf, bei einem Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC), dem Wirkstoff von Cannabis, pro Milliliter Blutserum. Diesen Wert hat die Politik vor einigen Jahren festgelegt, gestützt auf die wissenschaftlichen Kenntnisse der Grenzwertkommission, einer Arbeitsgruppe mit Mitgliedern unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachgruppen.
Er bemisst sich an Tests, die belegen, dass eine Person mit einer Konzentration unter diesem Wert als "fahrsicher" angesehen werden kann. Alle gemessenen Werte, die darüber lägen, würden eine Gefährdung im Straßenverkehr darstellen, so die Grenzwertkommission.
Blienert: Hochsetzung des Grenzwertes "äußerst sinnvoll"
Im Zuge der geplanten Legalisierung von Cannabis in Deutschland spricht sich der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert für eine erneute Überprüfung eben jenes Grenzwertes aus und hält eine Hochsetzung des Grenzwertes für "äußerst sinnvoll". Denn Cannabis sei häufig noch nachweisbar, auch wenn keine Wirkung mehr gegeben sei. So würden Menschen nicht mehr kriminalisiert, bei denen der Konsum bereits einige Tage zurückliege, die jedoch fahrtüchtig seien.
Im Straßenverkehr sollte man sich natürlich nicht unter Drogeneinfluss bewegen, so Blienert. Ganz allgemein bezeichnete er die Pläne der Bundesregierung für eine Legalisierung von Cannabis im Interview mit dem Deutschlandfunk als positiven "Paradigmenwechsel in der Drogenpolitik". Reine Verbotspolitik habe zu mehr Konsum geführt, der Jugendschutz werde durch eine Legalisierung gefördert und der Schwarzmarkt eingebremst, so Blienert. Er gesteht jedoch auch ein, dass mehr Mittel für Prävention notwendig seien. So müsste es beispielsweise an Schulen mehr Aufklärungsarbeit geben.
Erhöhung des Grenzwertes "überhaupt nicht nachvollziehbar"
Professor Frank Mußhoff, Geschäftsführer des Forensisch Toxikologischen Centrums in München, ist Mitglied der Grenzwertkommission und spricht sich klar gegen eine Erhöhung des Grenzwertes aus. Es sei aus wissenschaftlich-toxikologischer Sicht "überhaupt nicht nachvollziehbar", warum der Grenzwert angehoben werden solle.
Was die Politik sich wünsche, sei ein verlässlicher Wert, welcher adäquat zur 0,5 Promille Grenze bei Alkohol gelten kann. Noch im letzten Jahr habe die Grenzwertkommission nach Aufforderung der Politik nochmals neue Forschungen betrieben, so Mußhoff – jedoch ohne neue wissenschaftliche Ergebnisse liefern zu können als die bereits bekannten.
Grundsätzlich ist laut Professor Mußhoff das Problem bei der Festlegung eines Grenzwertes, dass THC sehr unterschiedliche Auswirkungen auf ein Individuum habe. Wissenschaftlich spricht man hierbei von der "Konzentrations-Wirkungsbeziehung", die bei Cannabis nicht klar gegeben sei: "Selbst wenn zwei Personen den gleichen Joint rauchen, ist die Wirkung individuell unterschiedlich". Während bei Alkohol eine gewisse Menge grundsätzlich bei jeder Person zu einer ähnlichen Promillezahl führe, sei dies bei THC eben genau nicht der Fall.
Mußhoff: Gelegenheitskonsumenten stellen Gefahr dar
Und es gibt laut Professor Mußhoff ein weiteres Problem in der gesamten Diskussion: "Die grundsätzliche Frage, die sich dabei stellt, ist, an wem sich der Grenzwert orientieren soll? An dem Gelegenheitskonsumenten oder an jemandem, der regelmäßig Cannabis konsumiert? Definitiv stellt der Gelegenheitskonsument eine größere Gefahr dar, da er stärker auf den Konsum von Cannabis reagiert", erklärt Mußhoff.
Kurz gesagt: Raucht jemand ab und an einen Joint, ist er schneller nicht mehr "fahrsicher" und hat auch schneller eine höhere Konzentration THC im Blut. Im Gegensatz dazu steht eine Person, die regelmäßig konsumiert, da sich eine hohe Konzentration THC dabei auch über längere Zeit festsetzen kann. Dieser ist zwar aufgrund des Gewöhnungseffektes eventuell noch fahrsicher, hat jedoch einen deutlich erhöhten THC-Wert.
Würde sich der Grenzwert auf die momentan möglicherweise angedachten 3 bis 3,5 Nanogramm erhöhen, würde der Gelegenheitskonsument, der eigentlich bereits bei einem Nanogramm nicht mehr fahrsicher ist, nicht mehr belangt werden können. Er wäre dann aber aus wissenschaftlicher Sicht ziemlich sicher nicht mehr imstande, ein Fahrzeug zu führen, da die Wirkung des THC zu markant wäre.
"Bereits nach EU-Recht sind Personen, die regelmäßig Drogen konsumieren, von der Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen. Warum sollten wir also einen Grenzwert gemessen an dieser Personengruppe anheben?", gibt Professor Mußhoff zu bedenken.
Polizei: Legalisierung als "unausgegorenes Vorhaben"
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, äußert ebenfalls Kritik an den Plänen zur Legalisierung: "Der gesamte Gesetzentwurf der Bundesregierung ist nicht zufriedenstellend. Der Straßenverkehr ist dabei nur ein Teil des insgesamt unausgegorenen Vorhabens."
Kopelke: Grenzwerte sollten eher abgesenkt als erhöht werden
Ein veränderter Grenzwert könne bedeuten, dass sich Menschen, die Cannabis konsumiert haben, guten Gewissens, trotz Auf- und Ausfallerscheinungen, eher hinter das Steuer setzten und berauscht am Straßenverkehr teilnehmen würden, so Kopelke. "Die berauschende Wirkung von Cannabis hat negative Folgen für die Fahrsicherheit. Also ist eine breite, bundesweite Kampagne notwendig, die nachhaltig verdeutlicht, dass sich Kiffen und die Teilnahme am Straßenverkehr gegenseitig ausschließen", erklärt der Gewerkschaftsvorsitzende.
Denn unabhängig von Grenzwertbestimmungen zeige laut Kopelke polizeiliches Erfahrungswissen, wie oft Menschen sich selbst nach dem Konsum von Drogen oder Alkohol falsch einschätzten. Zusätzlich zu der Sorge um mangelndes Wissen über die Wirkung von Cannabis, geht der Bundesvorsitzende der GdP sogar noch weiter: "Generell sollte sich die Diskussion jedoch dahin entwickeln, über eine Absenkung aller Grenzwerte zu diskutieren". Er plädiert dafür, die Sicherheit im Straßenverkehr nicht zu vergessen: "Wir fordern den Gesetzgeber auf, auch der Verkehrssicherheit Priorität einzuräumen. Ein möglichst niedriger Grenzwert würde dabei helfen, das Bewusstsein für ein berauschtes Fahren zu schärfen", sagt Bundesvorsitzender Kopelke.
Kritik: Zu wenig Personal, zu wenig Aufklärung, keine Gelder
Die Gewerkschaft der Polizei sieht vor allem Probleme in der personellen Besetzung und in dem Willen der Bundesregierung, Gelder zur Verfügung zu stellen. Voraussetzung für die Umsetzung seien eine flächendeckend funktionierende polizeiliche Verkehrsüberwachung und sehr hohe Bußgelder. Das "Entdeckungsrisiko" müsse entsprechend hoch sein. Dazu seien ausreichend Personal und eine zeitgemäße technische Ausstattung unabdingbar.
Wie aber kann der Konsum überhaupt kontrolliert werden? Kopelke zeigt sich auch hier eher enttäuscht von den gegenwärtigen Maßnahmen der Politik: "Standardisierte, moderne Drogentests könnten im Einsatz die Fahrt zur Dienststelle und eine Blutentnahme entbehrlich machen. Weniger Aufwand für uns Polizisten, aber auch hierzu hat die Bundesregierung keine Aussage getroffen", so Kopelke.
ADAC: Erhöhung des Grenzwertes Risiko für Verkehrssicherheit
Auch der ADAC sieht eine Erhöhung des Grenzwertes als Gefahr an, vor allem Neu- und Gelegenheitskonsumenten würden ein Risiko darstellen: "Der Konsum von Drogen kann die Wahrnehmung verändern und u. a. das Reaktionsvermögen negativ beeinflussen. Insbesondere Personen, die im Zuge einer Legalisierung Cannabis ausprobieren wollen und sich vorab nicht mit der Thematik auseinandergesetzt haben, sind sich gegebenenfalls der Gefahren nicht ausreichend bewusst." Konsumierende könnten die mit dem Konsum einhergehende beeinträchtigende Wirkung nicht realistisch abschätzen, so der ADAC in der schriftlichen Stellungnahme, die BR24 vorliegt.
Der ADAC fordert darin weiterhin, dass der neue Grenzwert so definiert sein müsse, dass "eine Verschlechterung der Verkehrssicherheit tatsächlich zu erwarten und nicht nur theoretisch möglich ist".
Heftige Kritik an Legalisierungs-Plänen der Bundesregierung
Die Union fordert unterdessen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf, die geplante Teillegalisierung des Cannabis-Anbaus und -Konsums zu stoppen. Die Bundesregierung dürfe die breite Kritik von Ärzten, dem Deutschen Richterbund und der Gewerkschaft der Polizei nicht länger ignorieren, forderte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Mittwoch: "Wenn Lauterbach immer noch nicht zur Vernunft kommt, muss Bundeskanzler Scholz die Notbremse ziehen und den aberwitzigen Legalisierungs-Kurs stoppen."
Dem am Mittwoch vorgestellten Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zufolge sollen ab dem Alter von 18 Jahren Kauf und Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis straffrei sein. Der Bezug soll über sogenannte Cannabis-Clubs ermöglicht werden. Im Eigenanbau zu Hause sollen zudem bis zu drei Pflanzen erlaubt sein.
Mit Informationen von Reuters.
Im Audio: Jochen Kopelke, der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP, im Interview.
Dieser Artikel ist erstmals am 18. August 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!