Das chinesische Staatsfernsehen berichtet weiter über Übungen in dem Meeresgebiet. Ursprünglich sollten sie am Sonntag zu Ende gehen. Das chinesische Militär teilte nun aber mit, die Manöver rund um Taiwan würden fortgesetzt. Als Auslöser der militärischen Drohgebärden gilt der Besuch der Vorsitzenden des amerikanischen Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taipeh. Peking kritisierte Pelosis Reise harsch. Denn solche hochrangigen offiziellen Besuche wertet die chinesische Führung als diplomatische Aufwertung Taiwans.
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Doch grundsätzlich könne ein großes Militärmanöver nicht von einem Tag auf den anderen stattfinden, gibt die Expertin für Internationale Politik und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt Asien-Pazifik Saskia Hieber von der Akademie für politische Bildung in Tutzing zu bedenken. "Erst recht nicht in China."
In der Volksrepublik müsse alles mit verschiedenen Gremien abgestimmt werden. So ein Großmanöver müsse lange vorbereitet worden sein. "Der Pelosi-Besuch in Taiwan kam quasi dazwischen. Das Manöver wurde also nicht als Antwort auf Pelosi in Taiwan durchgeführt", erklärt Hieber auf Anfrage von BR24. Die Fortführung des Militärmanövers um Taiwan stehe aber durchaus im Zusammenhang mit dem Pelosi-Besuch.
Was bedeutet es, dass China seine Militärmanöver fortführt?
Dieses Manöver habe eine starke innenpolitische Dimension: Die Unzufriedenheit der Bürger wegen der strikten Covid-Maßnahmen, der wirtschaftlichen Unsicherheiten und der Verwerfungen auf dem Immobilienmarkt steige, fügt Hieber hinzu. "Die politische und Parteiführung steht unter Druck."
"Die chinesische Führung muss sowohl für das Publikum im Inland als auch nach außen Stärke demonstrieren", erläutert der Asien-Experte Johannes Plagemann vom GIGA-Institut (German Institute for Global and Area Studies mit Sitz in Hamburg) auf Anfrage von BR24. "Medienberichten zufolge galten die bisherigen Übungen im Inland vielen als Zeichen von Schwäche – manche Social-Media-User hatten gar darauf gedrängt, den Besuch von Pelosi militärisch zu verhindern." Möglicherweise sei die Fortführung der Übungen also nur der Versuch, diese radikaleren Stimmen im Inland zu besänftigen, fügt Plagemann hinzu.
Ist das eine neue Eskalation?
Saskia Hieber von der Akademie für politische Bildung sieht in den Manövern eine neue Eskalationsstufe und erläutert: "Normalerweise wird die Vorbereitung von Manövern kommuniziert, Beobachter eingeladen." Die Volksrepublik China aber betone nicht den Übungscharakter und die Grenzen, sondern demonstriere offensiv Militärmacht. "Noch dazu werden die politischen Bedingungen betont: Taiwan sei ein Teil der Volksrepublik, die Erreichung der Nationalen Einheit ist ein zentrales politisches Ziel."
Hinzu komme, so Hieber, dass zwar seit einigen Jahren regelmäßig die taiwanesische Luftraumüberwachungszone verletzt worden sei, "doch Raketenbeschuss beziehungsweise Raketenüberflug über Taiwan in Meeresgebiete östlich und nördlich von Taiwan ist eine neue Dimension militärischer Eskalation. Es ist sogar eine recht hohe Eskalationsstufe, da es beispielsweise nicht nur um eine Seeblockade geht, also um das Abdrängen oder Aufhalten von Handelsschiffen, sondern um militärische Maßnahmen, die den bisherigen Übungscharakter verlassen."
"Die eigentliche Lage hat sich ja nicht geändert", schätzt Plagemann vom GIGA-Institut die Situation ein. "Eine gewisse Eskalation durch die Regierung in Reaktion auf den Besuch von Pelosi war von allen Seiten erwartet worden. Ich würde auch die Fortführung der Übungen also zunächst mal als weitere Drohgebärde werten – auch gegenüber Taiwan, das ja Sorgen haben muss, durch die Chinesen vom Ausland abgeschnitten zu werden."
Wie ernst ist die Lage?
"Die Lage ist durchaus ernst", resümiert Plagemann. Innenpolitisch stehe der chinesische Staatspräsident Xi Jinping unter Druck – durch die wirtschaftliche Eintrübung, durch die Corona-Pandemie und durch den anstehenden Parteitag. Der 69-jährige Xi will sich auf einem Parteitag im Herbst für eine beispiellose dritte Amtszeit bestätigen lassen.
Xi habe so explizit wie keiner seiner Vorgänger gemacht, dass die "Wiedervereinigung" stattfinden müsse und nicht an die nächste Generation weitergegeben werden dürfe, erläutert Plagemann gegenüber BR24. "Damit hat er sich selbst unter Druck gesetzt. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir auch fahrlässig, die Lage durch rein symbolische Gesten – wie den Besuch von Pelosi – zusätzlich zu verschärfen."
"Solange andere Akteure nicht eskalieren, geht es", sagt Hieber. Allerdings bedrohe diese Situation Taiwans Sicherheitsbedürfnis, Stabilität und Wirtschaftsentwicklung, wie auch den Welthandel mit Chips/Halbleitern. "Die USA werden weiterhin Taiwan mit Militärmaterial und Training versorgen. Biden hat betont, Taiwans Status quo, seine gesellschaftliche Situation - Freiheit, Demokratie - zu verteidigen." Ein Problem daran laut Hieber: Ein Zusammenstoß zwischen China und den USA über Taiwan zöge das nahegelegene Japan mit hinein.
Wie geht es weiter?
"Ein Protest bei den UN über die Dimension und mangelnde Informationen über das chinesische Manöver, das sich auf die rein professionelle, militärische Ebene bezieht, wäre eine Maßnahme", sagt Hieber. Denn es seien nicht die USA, sondern China, das Sicherheit und Stabilität in der Region gefährde. "Wichtig ist: Die USA und ihre Verbündeten wie Japan sollten Bedenken ausdrücken, aber nicht selbst zu Maßnahmen greifen."
"Ich halte einen Krieg weiterhin für unwahrscheinlich, auch weil er so kurz vor dem Parteitag mit enormen politischen und wirtschaftlichen Risiken behaftet ist", sagt Plagemann. "Allerdings können wir von außen nur bedingt einschätzen, was im chinesischen Regierungsapparat und in Xi selbst vorgeht." Putins Invasion in der Ukraine habe das gerade noch einmal bestätigt.
"Auf Worst-Case-Szenarien vorbereiten"
"Wir sollten uns also auf Worst-Case-Szenarien vorbereiten", fügt Plagemann hinzu. Aber wie könnte so ein Worst-Case-Szenario aussehen und wie wahrscheinlich ist es? "Das Worst-Case-Szenario wäre ein Angriff Chinas auf Taiwan, den ich derzeit für nicht sehr wahrscheinlich halte, aber wie andere ExpertInnen auch nicht ausschließen kann", erläutert Plagemann.
"Ich meine daher, dass man sich in Politik und Wirtschaft damit beschäftigen muss, was ein Angriff Chinas auf Taiwan bedeuten würde – für unsere eigene Haltung zu diesem Konflikt, für unsere wirtschaftliche Verflechtung mit der Region, für etwaige Lieferketten, sensible Industrien etc. Als Vorbereitung für den Ernstfall, der hoffentlich nicht eintritt. Also das, was man im Falle Russlands versäumt hat", ergänzt der Politik-Experte.
Experten-Empfehlung: Kommunikationskanäle offen halten
Wichtig ist nach Einschätzung Hiebers nun, die Kommunikationskanäle offenzuhalten - zwischen den USA und China, auch alle diplomatischen Kanäle. "Dass Peking alles absagt - Klimagespräche, Militärkommunikation - ist innenpolitischem Druck geschuldet." Die Empfehlung Hiebers in dieser Situation: "Dranbleiben, weitermachen, weiterhin Dialog und Gesprächstermine anbieten. Peking nicht verteufeln, das spielt nur chinesischen Nationalisten in die Hände." China habe "ähnlich wie Russland auch ein Syndrom einer gekränkten Großmacht, die sich nicht ernst genommen fühlt."
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