Der Volkskongress ist das oberste Gesetzgebungsorgan Chinas. Aus westlicher demokratischer Sicht nur ein "Scheinparlament", da es vollkommen unter der Kontrolle der kommunistischen Partei Chinas steht. Die Reden von Staats- und Parteichef Xi Jinping und seinen Ministern hier sowie die gefassten Beschlüsse sind jedoch zumeist unumstößliche Vorgaben für die innen- wie auch außenpolitische Strategie des Landes.
So war die internationale Aufmerksamkeit groß, als am Rande des Kongresses Außenminister Wang Yi am Montag auf einer extra angesetzten internationalen Pressekonferenz das Verhältnis Chinas zu Russland mehr als deutlich klärte: "Egal, wie tückisch der internationale Sturm ist, China und Russland werden ihre strategische Entschlossenheit aufrechterhalten und die umfassende kooperative Partnerschaft in der neuen Ära vorantreiben".
Das Verhältnis zu Russland gehöre "zu den wichtigsten bilateralen Beziehungen in der Welt" und trage bei zu "Frieden und Stabilität", so Wang Yi. "Die Freundschaft zwischen beiden Völkern ist felsenfest." Ein Statement, das unmissverständlicher nicht sein kann.
China: Beunruhigung über Krieg - Kritik an Sanktionen
Nur einen Tag später trafen sich bei einem virtuellen Gipfel Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Man sei zutiefst beunruhigt über den Ausbruch eines weiteren Krieges auf dem europäischen Kontinent, so Xi. Er kritisierte gleichzeitig aber die Sanktionen gegen Russland wegen ihrer "negativen Auswirkungen auf die Finanz- Energiemärkte und Lieferketten".
Die Hoffnungen von Macron und Scholz, China als Vermittler im Ukraine-Krieg zu gewinnen, teilt Noah Barkin, Analyst für Chinesisch-Europäische Beziehungen bei der "Rhodium Group" nicht. "Im besten Fall könnte man erwarten, dass Peking Druck auf Russland ausübt, die Feindseligkeiten einzustellen, wenn es feststellt, dass dieser Krieg seinen eigenen Interessen schadet".
"China First" - die Prämissen chinesischer Politik
Um Chinas Verhalten und Position im Ukraine-Krieg zu verstehen, sollte man auf die zentralen Prämissen chinesischer Politik schauen, wie sie sich seit Jahren zeigen und auch auf dem Nationalen Volkskongress 2022 diskutiert werden.
Wachsender Wohlstand für die Bürger und sichere Arbeitsplätze - das ist das wichtigste Versprechen von Xi Jinping. Daran wird er gemessen und das Erreichen dieser Ziele hat ihn in den letzten zehn Jahren so mächtig gemacht. Im Herbst auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei will er sich seine Machtausübung in Staat und Partei verlängern lassen – und zwar auf unbestimmte Zeit. Ein Novum in der Geschichte Chinas.
Wirtschaftliche Stabilität, national wie international, die sichere Versorgung mit Rohstoffen (u.a. Ausbau der "Neuen Seidenstraße"), ein stetiger geostrategischer Machtzuwachs (auch durch Aufrüstung und Zurückdrängen von USA und Nato), Brechen der Dominanz des demokratischen Westens in internationalen Institutionen und ihrer Einflusssphären ("Kampf der Systeme") – all dass sind die weiteren zentralen Ziele wie Bausteine für Kommunistische Partei und Xi Jinping.
Auf dem Volkskongress musste Xi nun sein Milliardenvolk auf größere wirtschaftliche Unsicherheiten einstimmen. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde stehe unter dreifachem Druck: schrumpfende Nachfrage, gestörte Lieferketten und sich abschwächendes Wachstum. Entsprechend senkten Partei und Staat ihre Wachstumsvorgabe auf 5,5 Prozent - der niedrigste Wert seit drei Jahrzehnten.
Zusätzliches Risiko: Der Ukraine-Krieg
Der Krieg in der Ukraine war auf dem Volkskongress zunächst kein Thema, doch droht er Chinas nationale Interessen zu gefährden. "Die drastischen Engpässe und Preisexplosionen in der globalen Energie- und Nahrungsmittelversorgung müssen China zutiefst beunruhigen wie auch die Aussicht auf einen abrupten Absturz der globalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit insgesamt", analysiert Sebastian Heilmann, Direktor des Berliner China-Think-Tanks MERICS.
Die Ukraine wie auch Russland sind mit die wichtigsten Getreidelieferanten Chinas, sichern also die preisgünstige Nahrungsmittelversorgung des riesigen Landes.
Schulterschluss von China mit Russland zu Olympia
Anlässlich der Eröffnung der 24. Olympischen Winterspiele in Peking Anfang Februar, also nur wenige Wochen vor der russischen Invasion in die Ukraine, veröffentlichten Russlands Präsident Wladimir Putin und der chinesische Staatschef Xi Jining eine gemeinsame Erklärung zur bilateralen Partnerschaft und zu den Prinzipien internationaler Beziehungen. Ein diplomatischer Coup für Putin und ein russisch-chinesischer Schulterschluss im Geiste wie auch geostrategisch.
So wird in der Erklärung die Demokratie als "universeller Wert" bezeichnet, Einmischungen in die inneren Angelegenheiten anderer Länder kritisiert. Auch unterstützt China die Kritik Russlands an der Nato-Erweiterung. Die Nato wird aufgefordert, ihre "ideologisierten Kalter-Krieg-Ansätze aufzugeben". Die "neuen" Beziehungen zwischen Russland und China seien der politischen und militärischen Allianz des Kalten Krieges überlegen, heißt es.
Beim Treffen am Tage der Eröffnung der Olympischen Winterspiele vereinbarten die beiden Länder zudem, dass Russland China Öl und Gas im Volumen von umgerechnet gut 100 Milliarden Euro liefern wird. Schon jetzt ist Russland drittgrößter Gaslieferant des weltgrößten Energieverbrauchers.
China und Russland wollen "neue Weltordnung"
Historisch gesehen standen sich China und Russland oft misstrauisch gegenüber. Doch jetzt, wo sich beide Staaten durch die sicherheitspolitischen Initiativen von USA und auch Nato militärisch bedrängt zeigen, wird das Verhältnis enger. Putin hadert mit der Osterweiterung der Nato, China sieht die Präsenz der USA vor "ihrer Haustür" im Indopazifik als Bedrohung. Letztlich suchen beide eine neue Weltordnung, gleichbedeutend mit der Schwächung der "Dominanz des Westens".
Dabei hofft China auf russische Unterstützung bei den Territorialstreitigkeiten mit Nachbarn im Süd- und Ostchinesischen Meer wie auch der angestrebten "Übernahme" des freiheitlichen Taiwan. Moskau wiederum, das angesichts der weltweiten Sanktionen vor dem wirtschaftlichen Kollaps steht, kann darauf hoffen, dank China den Zusammenbruch zu verhindern und mittelfristig mit Hilfe von Pekings Finanzsektor die Wirtschaft wiederaufzubauen und die Versorgung der russischen Bevölkerung zu gewährleisten.
Der Zwang zum Balanceakt
China ist in diesen Tagen bemüht, in seinen diplomatischen Botschaften Russlands militärisches Vorgehen in der Ukraine nicht zu kritisieren – gleichzeitig zeigt Peking Verständnis für Putins geostrategische Positionen, so beschreibt es Helena Legarda, Lead Analyst beim Think-Tank MERICS.
Auf der anderen Seite bemühe sich Xi Jinping, die Beziehungen zu Europa und den USA nicht weiter zu beschädigen. Das alles werde "immer schlimmer, je weiter die Situation eskaliert". Für die chinesische Führung gehe es dabei nicht nur um die Zukunft der Ukraine. "Es geht auch um die Frage, welche globalen Ambitionen China hat und wie es sich – jetzt und auf lange Sicht – gegenüber dem Westen und Russland positioniert", glaubt China-Expertin Legarda.
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