Bei den Demos gegen die Corona-Auflagen gehen verschiedenste Gruppierungen auf die Straße – Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, die die ganze Welt manipuliert sehen, Menschen, die im Corona-Virus keine Gefahr erkennen und solche, die ihre Grundrechte über Gebühr eingeschränkt sehen. Das zeigen die Plakate und Transparente.
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Und immer wieder wird – bei Reden auf solchen Demos, aber auch in Kommentarspalten – Schweden als positives Beispiel genannt, weil das Land die Freiheiten seiner Bürger*innen in Corona-Zeiten weniger beschneide. Was ist anders in dem skandinavischen Land als in Deutschland? Eine Faktensammlung.
In Schweden blieb das meiste geöffnet
Im Unterschied zu Deutschland wurden in Schweden keine Ausgangsbeschränkungen verhängt. Grundschulen, Vorschulen und Kindergärten blieben geöffnet, ebenso die meisten Geschäfte. Die Menschen konnten auch weiterhin in Restaurants, Cafés und Bars gehen.
In einer am 24. April per Twitter- und Facebook-Livestream übertragenen gemeinsamen Pressekonferenz mit Deutschlands Außenminister Heiko Maas wehrte sich die schwedische Außenministerin Ann Linde allerdings gegen den Eindruck eines allzu liberalen Kurses ihres Landes: "Es ist ein Ammenmärchen, dass sich das Leben nicht geändert hat in Schweden. Das stimmt einfach nicht."
Die Vorschriften in Schweden
Die Auflagen, die in Schweden gelten, werden von den Behörden des Landes auf einer Kriseninformations-Seite veröffentlicht. Mit dem letzten Update vom 4. Mai lauten die zentralen Punkte:
- Seit 1. April gilt ein Besuchsverbot von Seniorenheimen.
- Seit 29. März dürfen an öffentlichen Versammlungen und Veranstaltungen maximal 50 Personen teilnehmen. Sind es mehr, kann die Polizei die Versammlung oder Veranstaltung auflösen. Dies gilt zum Beispiel für Demonstrationen, Lehrveranstaltungen, religiöse Zusammenkünfte, kulturelle Veranstaltungen wie Theater, Kino und Konzerte, Sportveranstaltungen, Volksfeste, Märkte und Messen oder auch Ansammlungen in öffentlichen Verkehrsmitteln.
- In Restaurants, Cafés und Kneipen darf kein Gedränge in Warteschlangen, an Tischen, Buffets oder Bartresen entstehen. Essen und trinken dürfen die Gäste nur an den Tischen und sie sollten in der Lage sein, Abstand zueinander zu wahren.
- Von 19. März bis 15. Mai wurden nicht unbedingt notwendige Reisen nach Schweden von außerhalb der EU gestoppt.
Appell an das freiwillige Verhalten
Neben den behördlich verhängten Verboten, gibt es in Schweden Appelle an das freiwillige Verhalten der Bürgerinnen und Bürger, die wie eine Überschrift über den Maßnahmen stehen. "Jedem wird geraten, unnötige Reisen und gesellschaftliche Veranstaltungen zu vermeiden, Abstand zu anderen zu halten und bei Symptomen zu Hause zu bleiben. Da das Alter ein Risikofaktor ist, wird den über 70-Jährigen empfohlen, soziale Kontakte zu vermeiden", heißt es in den offiziellen Informationen.
Zudem hat Ministerpräsident Stefan Löfven in einer Fernsehansprache die Schweden dazu aufgerufen, möglichst im Homeoffice zu arbeiten.
In Schweden sei es so, erklärte Außenministerin Linde in der Pressekonferenz vom 24. April, "dass wir rechtlich verbindliche Maßnahmen haben und Empfehlungen. Das ist eine Art Mischung. Diese Empfehlungen werden aber als etwas wahrgenommen, was man beachten sollte."
Strengere Maßnahmen in Deutschland
Deutschland hat hingegen "sehr strikte Maßnahmen ergriffen", wie Heiko Maas am 24. April sagte. Dabei verwies der Außenminister auf die unterschiedlichen Gegebenheiten, insbesondere die unterschiedliche Besiedelung in den zwei Ländern.
Schweden hat zehn Millionen Einwohner und eine Bevölkerungsdichte von 25 Einwohnern pro Quadratkilometer. In Deutschland leben 83 Millionen Menschen und die Bevölkerungsdichte liegt bei 237 Einwohnern pro Quadratkilometer – also mehr als neunmal so hoch wie in Schweden.
Deutschland früher, Schweden später
Die Maßnahmen in Deutschland waren aber insgesamt mit dem Lockdown nicht nur strikter, sondern setzten auch früher ein als zum Beispiel das schwedische Besuchsverbot von Seniorenheimen ab 1. April oder die Versammlungsbeschränkung ab 29. März.
In Deutschland trat die bundesweit beschlossene Kontaktsperre ab 23. März in Kraft, davor wurden schon deutschlandweit Großveranstaltungen abgesagt. In Bayern wurde bereits am 13. März der Besuch in Alten- und Pflegeheimen untersagt, am 16. März der Katastrophenfall ausgerufen und ab 21. März galten die Ausgangsbeschränkungen im Freistaat. Restaurants mussten den normalen Betrieb einstellen.
"Es ist nicht so, dass die Maßnahmen in Schweden so gering sind", sagte Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, am 20. April in einem NDR-Podcast. "Man muss aber schon sagen: Schweden hat das langsam hochgefahren, die Erkenntnis hat sich langsam durchgesetzt. Und man sieht jetzt, dass die Todeszahlen wirklich zunehmen."
Relativ hohe Todeszahlen in Schweden
Schweden hat verglichen mit Deutschland relativ viele Todesfälle in der Corona-Pandemie zu beklagen. Nach Angaben, die dem "European Center for Disease Prevention and Control" (ECDC) bis 15. Mai vorlagen, sind in Schweden pro 100.000 Einwohner 34,7 Menschen mit Covid-19 gestorben, in Deutschland hingegen nur 9,4. In absoluten Zahlen heißt das 3.529 Tote in Schweden, 7.824 Tote in Deutschland.
Besonders in die Kritik geraten ist, dass in Schweden viele alte Menschen in Pflegeheimen gestorben sind.
Hohe Covid-19-Rate im skandinavischen Vergleich
Schweden sticht laut der Nachrichtenagentur dpa im Vergleich zum restlichen Skandinavien mit den höchsten Todes- und Infektions-Zahlen heraus. Am Donnerstag zum Beispiel vermeldete Schweden 69 neue Covid-19-Tote und 673 Neuinfektionen, in Dänemark waren es nur vier weitere Todesfälle und 46 bestätigte neue Fälle. Trotzdem halte Schweden an seiner Strategie fest. Die Lage im Land sei stabil, versicherte Staatsepidemiologe Anders Tegnell.
Strategie auch in Schweden selbst umstritten
Der Weg Schwedens in der Pandemie ist umstritten, auch im eigenen Land. "Die gesamte Strategie der schwedischen Gesundheitsbehörde baut auf einem lebensgefährlichen Konzept auf: Bleib' zu Hause, wenn du dich krank fühlst", sagte die Stockholmer Virologin Lena Einhorn Mitte April. Man habe dadurch einen großen Anteil der Infizierten nicht im Blick, was nicht zuletzt für Ältere Lebensgefahr bedeute, so Einhorn.
Andere glauben dagegen weiter fest an den antiautoritären und freiheitlicheren Ansatz und stehen hinter der Linie von Anders Tegnell. Einige tragen schon T-Shirts mit seinem Bild. Medien berichteten sogar von einem Mann aus Stockholm, der sich Tegnells Gesicht auf den Arm tätowieren ließ.
Harte wirtschaftliche Folgen
Wie der rbb darlegt, trifft die Pandemie "die schwedische Wirtschaft genauso hart wie die anderen europäischen Staaten".
Die Arbeitslosigkeit könnte demnach bis Ende des Jahres bis zu 14 Prozent erreichen. Der Tourismus, insbesondere von Kreuzfahrtschiffen, bleibt aus. Viele Fabriken würden still stehen.
Fazit
Schweden verfolgt dasselbe Ziel wie Deutschland und andere Länder: die Ausbreitung des neuen Corona-Virus eindämmen, Menschenleben retten, die Gesundheitssysteme nicht überlasten, die wirtschaftlichen Auswirkungen mildern. Aber es wählt weniger strikte Maßnahmen als Deutschland, setzt mehr auf freiwilliges Einhalten von Regeln und hat erst später behördliche Maßnahmen verhängt. Das skandinavische Land hat pro 100.000 Einwohner beinahe viermal so viele Corona-Tote wie Deutschland zu verzeichnen.
Bei der Bekämpfung der Pandemie hat Schweden mit einer wesentlich geringeren Bevölkerungsdichte andere Voraussetzungen als Deutschland. Der Weg Schwedens ist umstritten, auch im eigenen Land. Die einen stehen hinter dem freiheitlicheren Ansatz, andere beklagen das hohe Todes-Risiko.
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