Im Impfzentrum, in der Apotheke oder beim Hausarzt: Der Corona-Impfstoff wird mit einer Spritze in den Arm injiziert, im Anschluss kleben die Impfenden noch ein kleines Pflaster auf die Einstichstelle. So haben viele Menschen in Deutschland ihre Corona-Impfung erlebt. Seit Februar 2022 gibt es eine kleine Änderung, eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), die diesen Ablauf verändern kann. Denn in der 18. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, veröffentlicht am 17. Februar 2022, bezeichnet die Stiko die sogenannte Aspiration bei Corona-Impfungen als "sinnvoll" um die "Impfstoffsicherheit" zu erhöhen.
Mehrere Anfragen zum Thema erreichten den #Faktenfuchs seit dieser Stiko-Empfehlung. Eine Leserin fühlt sich nicht gut über die Neuerung informiert und fragt sich, ob alle Impfenden die Technik der Aspiration beherrschen, und ob die Aspiration in der Praxis wirklich durchgeführt wird. Diese Fragen, was man unter der Aspiration versteht und wie es überhaupt zu der Veränderung kam, klärt dieser BR24-#Faktenfuchs.
So funktioniert die Aspiration
Als Aspiration bezeichnet man im Zusammenhang mit der Corona-Impfung ein Ansaugen und Zurückziehen mit der Spritze vor der eigentlichen Impfung. Der Infektiologe Christoph Spinner vom Münchner Klinikum Rechts der Isar erklärt in einem BR-Podcast, der Spritzenkolben werde zurückgezogen, um versehentliche Einstiche mit der Kanüle in Gefäße zu erkennen. Die Corona-Impfung werde intramuskulär, also in den Muskel, verabreicht. Lande die Nadel beim Einstechen versehentlich in einem Blutgefäß, könne man dies durch die Aspiration, also das vorherige Ansaugen, feststellen, so Christoph Spinner – dann werde Blut angesaugt. Bei einem Einstich in die Muskulatur – wie vorgesehen – lande beim Aspirieren hingegen kein Blut in der Spritze, dazu seien die Blutgefäße im Muskel zu klein. Durch die Aspiration soll also sichergestellt werden, dass auch wirklich in den Muskel geimpft wird.
Der ärztliche Leiter des Impfzentrums Regensburg, Richard Leberle, erläutert in einer Mail an den #Faktenfuchs, dass bei Injektionen in den Muskel bis vor 20 Jahren grundsätzlich aspiriert wurde. Man habe dies jedoch aufgrund fehlenden Nutzens abgeschafft. Im Jahr 2017 wies die Stiko darauf hin, dass "eine Aspiration vor der Injektion nicht notwendig ist und bei intramuskulären Injektionen vermieden werden soll, um Schmerzen zu reduzieren." Generell rät die Stiko also von der Aspiration ab. Diese Einschätzung bleibe auch weiterhin bestehen, schreibt das bayerische Gesundheitsministerium dem #Faktenfuchs auf Anfrage: "Diese empfohlene Vorsichtsmaßnahme bei COVID-19-Impfungen stellt eine Ausnahme dar." Doch was sind die Beweggründe für diese Ausnahme bei der Corona-Impfung?
So kam es zur Stiko-Empfehlung
In der 18. Aktualisierung der Covid-19-Impfempfehlung von Februar 2022 heißt es, bei Tiermodellversuchen sei es nach direkter Injektion des Corona-Impfstoffs in Blutgefäße zum "Auftreten von Perimyokarditis" gekommen. Bei Perimyokarditis handelt es sich um eine Herzmuskel- und Herzbeutelentzündung. Die Studie aus dem August 2021 beobachtete bei Mäusen, denen der mRNA-Impfstoff ins Blutgefäß gespritzt wurde, das Auftreten von Herzmuskelentzündungen.
Bei der Injektion des Impfstoffes in den Muskel dieser Mäuse wurde kein Zusammenhang mit der Erkrankung festgestellt. Richard Leberle, der ärztliche Leiter des Impfzentrums Regensburg, macht in einer E-Mail an den #Faktenfuchs darauf aufmerksam, dass es bis dato nicht bewiesen sei, ob dies auch beim Menschen der Fall ist. Es gebe bislang auch keine Erklärung dafür, dass eine Herzmuskelentzündung bei einer Corona-Erkrankung "um ein bis zu 10faches häufiger auftreten kann, als bei einer Impfreaktion."
Auch wenn laut Stiko versehentliche Injektionen des Corona-Impfstoffes in ein Blutgefäß "nur selten auftreten", empfiehlt sie aufgrund der Tierstudie seit Februar 2022 die Aspiration.
Wird vor der Corona-Impfung aspiriert?
Wie sieht es mit der Aspiration nun in der Praxis aus? Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat lediglich eine Empfehlung für diese Vorsichtsmaßnahme ausgesprochen. Ein Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands antwortet dem #Faktenfuchs schriftlich, es liege grundsätzlich im Ermessen der Hausärztin bzw. des Hausarztes, ob aspiriert wird: "Die Empfehlungen der Stiko stellen jedoch selbstverständlich eine wichtige Orientierung dar."
Auch das bayerische Gesundheitsministerium schreibt, der jeweilige Arzt sei nicht verpflichtet, "eine Methode (...) anzuwenden, wenn er sie im konkreten Fall für medizinisch nicht geboten hält." Fachlich müsse jedem Arzt oder Ärztin die "Aspiration bei Injektion bekannt sein". Eine spezielle Schulung benötige es daher nicht.
Richard Leberle, Leiter des Impfzentrums Regensburg, erklärt, die Aspiration sei "leicht zu erlernen und erfordert wie das Impfen eine gewisse Fingerfertigkeit". Viel wichtiger sei jedoch, den Impfstoff kontinuierlich mit wenig Druck zu verabreichen, "sodass die doch recht empfindliche mRNA nicht beschädigt wird." Auch auf die richtige Impfposition sei zu achten: "Der Impfbereich am Oberarm (...) ist besonders gut geeignet, da es dort wenig Gefäßverläufe im Muskel gibt."
Aspiration vor der Corona-Impfung in der Praxis
Der #Faktenfuchs hat stichprobenhaft einige Stellen angeschrieben, die nach wie vor Corona-Impfungen anbieten. Das Münchner Gesundheitsreferat antwortete, dass seit der Stiko-Empfehlung vom 17. Februar "in allen Impfstellen und bei allen mobilen Impfaktionen des Impfzentrums der Landeshauptstadt München standardmäßig eine Aspiration vor der Covid-19-Impfung durchgeführt" werde. Auch im Regensburger Impfzentrum wird laut eigener Aussage seit der Stiko-Empfehlung die Aspiration standardmäßig durchgeführt.
Ein Orthopäde aus Nürnberg schrieb dem #Faktenfuchs, dass dort schon seit März 2021– also lange vor der offiziellen Stiko-Empfehlung – vor der Corona-Impfung aspiriert wird: "Die Aspiration ist bei allen unseren Impfungen Standard. Eine Abweichung davon gibt es bei uns nicht. Sollte bei der Aspiration Blut in der Spritze zurückkommen, wird die komplette Spritze verworfen und mit einer neuen Spritze an anderer Stelle geimpft."
In seiner Praxis seien bislang mehrere tausend Impfdosen verabreicht worden: "In mindestens 100 Fällen kam es bei der Aspiration zu einem Blutrückfluss." In diesen Fällen sei daraufhin an anderer Stelle geimpft worden. Auch Apotheken dürfen seit Anfang des Jahres gegen das Coronavirus impfen. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) empfiehlt ihren Mitgliedern dabei - angelehnt an die Stiko-Empfehlung - die Aspiration. Um Impfungen durchführen zu dürfen, müssten Apothekerinnen und Apotheker eine Fortbildung absolvieren, schreibt eine Sprecherin. Dazu gehöre auch eine praktische Schulung.
Fazit
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt seit Februar 2022 eine Aspiration vor der Corona-Impfung. Um sicherzustellen, dass der Corona-Impfstoff in den Muskel geimpft wird, wird dabei unmittelbar vor der Impfung mit der Spritze leicht angesaugt. So soll vermieden werden, dass der Impfstoff versehentlich in ein Blutgefäß gespritzt wird. Grund für diese Stiko-Empfehlung ist eine Tierstudie, bei der ein Zusammenhang zwischen der Corona-Impfung in Blutgefäße und Herzmuskelentzündungen bei Mäusen beobachtet wurde.
Bei Menschen ist dieser Zusammenhang bislang nicht nachgewiesen. Da es sich bei der Neuerung um eine Empfehlung handelt, liegt es im Ermessen des Impfenden, ob vor der Impfung aspiriert wird. Die vom #Faktenfuchs angefragten Impfstellen, darunter Impfzentren, Hausärzte und Apotheken, führen die Aspiration nach eigenen Angaben seit der Empfehlung standardmäßig durch.
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