Israels Regierung hat einer mehrtägigen Feuerpause im Gaza-Krieg im Gegenzug für die Freilassung von israelischen Geiseln zugestimmt. Das israelische Kabinett billigte in der Nacht auf Mittwoch eine entsprechende Vereinbarung mit der islamistischen Hamas, wie ein Regierungssprecher mitteilte. Die Hamas hatte zuvor einer Freilassung der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Häftlinge zugestimmt. Nach ihren Angaben sollen 150 Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freikommen.
50 Frauen und Kinder sollen freigelassen werden
Dem israelischen Regierungssprecher zufolge sollen mindestens 50 Frauen und Kinder, die in den Gazastreifen entführt wurden, im Gegenzug für eine viertägige Feuerpause freigelassen werden. Israelischen Medien zufolge soll es sich um 30 Kinder, acht Mütter sowie zwölf ältere Frauen handeln. Informationen der "Times of Israel" zufolge sollen die freizulassenden palästinensischen Häftlinge in die jeweilige Stadt oder Ortschaft zurückkehren, "in der sie vor ihrer Inhaftierung lebten, einschließlich im Westjordanland und in Ost-Jerusalem".
Die Hamas hatte zuvor mitgeteilt, ihre Zustimmung an die Vermittler in Ägypten und Katar übermittelt zu haben. Das Abkommen sieht den Medienberichten zufolge vor, dass weitere Hilfsgüter, darunter Treibstoff, in den Gazastreifen gebracht werden. Die Hamas teilte mit, Hunderte Lastwagen mit Hilfsgütern dürften in den Gazastreifen einfahren. Nach Angaben des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu soll das Rote Kreuz zudem Zugang zu den restlichen Geiseln bekommen. Wann genau die Kampfpause beginne, solle in den nächsten 24 Stunden verkündet werden.
Erste Geiseln könnten am Donnerstag freikommen
Angehörige von Terroropfern können innerhalb von 24 Stunden Einspruch beim Obersten Gericht gegen die Freilassung von Häftlingen einreichen. Es wird nicht erwartet, dass das Oberste Gericht gegen die Entscheidung der Regierung vorgehen wird. Medienberichten zufolge sollen keine Häftlinge freigelassen werden, die wegen Mordes verurteilt wurden. Das israelische Justizministerium veröffentlichte am Mittwoch eine Liste derer, die im Rahmen des Abkommens freigelassen werden können. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Jugendliche, die im vergangenen Jahr wegen Steinwürfen und anderen geringfügigen Vergehen festgenommen wurden.
In Israel wird erwartet, dass die schrittweise Freilassung der 50 Geiseln bereits am Donnerstag beginnen könnte. Auch aus den USA, die ebenfalls in die Verhandlungen eingebunden waren, hieß es, dass die Geiselfreilassungen etwa 24 Stunden nach der Zustimmung aller Akteure beginnen würden. Wie ein hochrangiger Beamter des Weißen Hauses erklärte, befinden sich unter den Geiseln drei US-Staatsbürger, darunter ein dreijähriges Kind. Der Beamte erklärte zudem, er rechne mit einer Kampfpause an der israelisch-libanesischen Grenze, wo seit Kriegsbeginn die Kämpfe zwischen der pro-iranischen, mit der Hamas verbündeten Hisbollah-Miliz und Israel zugenommen haben.
An jedem Tag der Kampfpause sollen zwischen zehn und 13 Geiseln frei kommen. Über sechs Stunden täglich soll zudem die Luftüberwachung des Militärs über dem Gazastreifen eingestellt werden. Der Fernsehsender Channel 12 berichtete, israelische Krankenhäuser seien auf die Ankunft der Entführten vorbereitet worden. Sie sollen demnach aus dem Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten und von dort mit Hubschraubern nach Israel gebracht werden. Die Vereinbarung soll auch eine mögliche Verlängerung der Feuerpause vorsehen. Pro Tag müsste die Hamas dann jeweils zehn weitere Geiseln freilassen. Israel geht davon aus, dass so insgesamt 80 Geiseln freikommen könnten.
Netanjahu: Krieg "bis wir alle unsere Ziele erreicht haben"
Regierungschef Netanjahu betonte jedoch, dass der Krieg auch nach der Umsetzung des Abkommens fortgeführt werde, "bis wir alle unsere Ziele erreicht haben". Auch während der Feuerpause werde man weiter geheimdienstliche Erkenntnisse sammeln, damit sich die Streitkräfte auf die nächsten Kriegsphasen vorbereiten könnten, erklärte Netanjahu. Hardlinern im Kabinett versicherte er, dass die Kampfpause rein taktisch sei.
Terroristen der Hamas und anderer Gruppierungen hatten vor rund sechs Wochen im Süden Israels beispiellose Massaker verübt, rund 1.200 Menschen getötet und die etwa 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israels Militär flog als Reaktion darauf zahlreiche Luftangriffe auf den Gazastreifen und rückte mit Bodentruppen in die abgeriegelte Region ein. Mehr als 13.000 Menschen wurden seither nach Angaben der Hamas im Gazastreifen getötet. Den Vereinten Nationen zufolge wurden 1,7 Millionen Menschen durch die militärische Eskalation vertrieben. Wegen der zivilen Opfer wächst international die Kritik am israelischen Vorgehen. Israels Militär wirft der Hamas wiederum vor, Wohngebiete und Krankenhäuser für militärische Zwecke und Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Vier weibliche Geiseln wurden seit Kriegsbeginn bislang von der Hamas freigelassen. Eine junge Soldatin konnte vom Militär befreit werden. Die Armee fand zudem die Leichen zweier Frauen. Unter den Entführten sind zahlreiche Ausländer oder Doppelstaatsbürger, darunter mehrere Deutsche. Wie viele noch am Leben sind, ist unklar.
Erleichterung weltweit nach Geisel-Abkommen
Israels Staatspräsident Isaac Herzog unterstützte die Vereinbarung mit der Hamas. "Die Vorbehalte sind verständlich, schmerzlich und schwierig, aber in Anbetracht der Umstände unterstütze ich die Entscheidung des Ministerpräsidenten und der Regierung, das Abkommen zur Freilassung der Geiseln voranzutreiben", erklärte er. Die Palästinenserbehörde hat nach Angaben eines ranghohen Vertreters die vereinbarte Waffenruhe begrüßt. "Präsident Mahmud Abbas und die Führung begrüßen das Abkommen über einen humanitären Waffenstillstand", schrieb Hussein al-Scheich im Online-Dienst X.
International ist das Abkommen mit großer Erleichterung aufgenommen worden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die Einigung auf "X" einen "Durchbruch" und forderte, die damit verbundene Waffenruhe für humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen zu nutzen. US-Präsident Joe Biden erklärte, er sei "außerordentlich erfreut" über die Einigung.
Auch die EU-Kommission, Frankreich, China und Russland begrüßten die Einigung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, sie begrüße die Einigung zur Geiselfreilassung "von ganzem Herzen". Die EU werde "alles tun", um die im Gegenzug vereinbarte Feuerpause für die Lieferung humanitärer Hilfe in den Gazastreifen zu nutzen.
Mit Informationen von dpa, AP und AFP
Im Video: Israel stimmt Geisel-Deal und Feuerpause zu
Karte: Die militärische Lage im Gazastreifen
Hinweis: Diese Informationen sind nicht vollständig unabhängig überprüfbar. Sie werden vom ISW, einem gemeinnützigen, überparteilichen Politikforschungsinstitut mit Sitz in den USA, einmal pro Tag zur Verfügung gestellt. Dadurch kann es zu Verzögerungen im Vergleich zum aktuellen Geschehen kommen.
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