Darum geht's:
- Ein Youtuber behauptet fälschlicherweise, Frankreichs Präsident Macron habe die Pandemie für beendet erklärt. Das Video wird mehr als 93.000 Mal geklickt.
- Doch für eine derartige Aussage Macrons gibt es keinen Beleg. Die Falschinformation geht zurück auf die zugespitzte Headline eines "Zeit Online"-Artikels.
- Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet die weltweite Ausbreitung des Coronavirus weiterhin als Pandemie und ordnet diese noch immer als internationalen Gesundheitsnotstand ein.
Keine Maskenpflicht mehr in öffentlichen Verkehrsmitteln, kein Vorzeigen mehr von digitalen Impfnachweisen bei Sport- und Kulturveranstaltungen, und auch für die Einreise ist an der französischen Grenze kein Impfnachweis mehr erforderlich: Am 31. Juli 2022 endete in Frankreich der sogenannte Gesundheitsnotstand, ohne Verlängerung. Teile der französischen Regierung hätten gerne einige Präventivmaßnahmen gegen das Coronavirus aufrechterhalten, doch die Opposition stimmte in der Nationalversammlung dagegen. Ohne Beschluss im Parlament kann die Regierung künftig keine der genannten Corona-Maßnahmen mehr einführen.
- Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier.
Nein, Macron hat die Pandemie nicht für beendet erklärt
Wenige Wochen nach dem Ende der Corona-Maßnahmen in Frankreich verbreitet sich ein vermeintliches Zitat Macrons in deutschen Medien und Social Timelines. "Es ist unglaublich, aber Präsident Macron hat heute Morgen die 'Pandemie' für 'Beendet' (sic) erklärt", heißt es etwa in der Beschreibung eines mehr als 93.000 Mal angesehenen Youtube-Videos vom 29. August 2022. Der Youtuber, ein mutmaßlich rechter Blogger und Gegner der Corona-Maßnahmen, nennt im Video als Quelle seiner Behauptung: "Zeit Online meldet vor drei Stunden, dass Präsident Macron, unser kleiner Napoleon, hat (sic) in Frankreich die Pandemie beendet."
Headline suggeriert wörtliches Zitat des französischen Präsidenten
Tatsächlich erschien am 29. August 2022 bei "Zeit Online" ein Artikel über Frankreichs Corona-Politik. Der Text trägt den Titel "Macron hat die Pandemie für beendet erklärt". In der Überschrift stehen keine Anführungszeichen. Die Wortwahl suggeriert allerdings zwei Dinge, die sich nicht mit den Fakten decken: Erstens: Macron habe ein Statement abgegeben mit dem Inhalt, er beende die Pandemie oder sehe die pandemische Lage in Frankreich als beendet an. Nach Recherchen des #Faktenfuchs gibt es keine Belege dafür, dass Macron eine entsprechende wörtliche oder sinngemäße Aussage getroffen hat. Und zweitens wird suggeriert: Ein Staatschef könne eine Pandemie für beendet erklären. Auch das ist nicht der Fall.
Die Redaktion von "Zeit Online" erklärt in einer Mail-Antwort an den #Faktenfuchs, der Artikel sei als Analyse zu verstehen. "Bei dem Satz im Text und in der Überschrift handelt es sich deshalb um eine Einordnung der Autorin (nicht etwa um eine 'breaking news'), die in ihrer Zuspitzung im journalistischen Genre der Analyse üblich und zulässig ist", schreibt Markus Horeld, stellvertretender Chefredakteur von "Zeit Online", dem #Faktenfuchs.
"Wenn es so ist, dass Macron das niemals weder in der Substanz noch wörtlich so behauptet hat, dann ist das eigentlich eine faktische Fehlinformation", sagt Thomas Hanitzsch im Interview mit dem #Faktenfuchs. Hanitzsch ist Professor am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Journalismusforschung gehört zu seinem Fachgebiet. Er findet, die Headline lege einen falschen Schluss nahe.
Olaf Hoffjann, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Bamberg sieht das ähnlich. Zuspitzungen in der Überschrift seien möglich. In diesem Fall werde jedoch der "Eindruck erweckt, dass sie auf ein wörtliches Zitat zurückgeht. Und das ist in der Tat an der Stelle sicherlich eine unzulässige Verkürzung".
Meinung und Fakten müssen klar getrennt und gekennzeichnet sein
Laut Hanitzsch gibt es keine klare Definition einer Analyse als journalistisches Darstellungsformat. Semantisch suggeriere der Begriff Analyse, dass darin eine Tatsachen-orientierte Darstellung mit einer Analyse und Bewertung zusammenfließe, so Hanitzsch. "Dann müsste man das irgendwie kenntlich machen. In dem Beitrag ist für mich nicht ganz klar geworden, wo jetzt die Darstellung von Tatsachen endet und wir bereits in eine Analyse einsteigen."
Die klare Trennung und Kennzeichnung von Fakten und Tatsachen einerseits und Einordnung und Analyse andererseits sei in journalistischen Texten wichtig, sagt Hanitzsch, denn: "Es geht ja praktisch darum, dass man den Leser, die Leserin, in die Lage versetzt, sich eigenständig ein Bild von der Realität zu verschaffen."
Dass gerade ein mutmaßlich rechter Blog die Überschrift als vermeintlich wörtliches Zitat Macrons aufgreift und als Falschinformation reproduziert, hat laut Hanitzsch einen Grund. Menschen seien geneigt, Tatsachen oder Informationen dann besser aufzunehmen und als plausibel anzusehen, wenn sie zu ihrem Weltbild passen. Ein psychologischer Mechanismus, der die Gefahr birgt, in die sogenannte Bestätigungsfalle zu tappen.
Dass der mutmaßlich rechte Youtuber das vermeintliche Zitat für seine Zwecke instrumentalisiert, nämlich um die Corona-Maßnahmen in Deutschland zu delegitimieren, ist allerdings auch als sogenannte Rosinenpickerei einzuordnen. Informationen werden lückenhaft ausgewählt, so dass sie - ohne Kontext betrachtet - die eigene Position scheinbar stützen.
Der #Faktenfuchs hat immer wieder stark verbreitete Beispiele für diese Falschinformations-Methode aufgegriffen, zum Beispiel hier, hier und hier.
Falschinformationen sind häufig geprägt von Scheinargumenten. Wie man diese erkennen kann, hat der #Faktenfuchs hier zusammengefasst:
Wortwahl verbreitet sich in Medien und Timelines
Auch andere deutsche Medien haben die Wortwahl der "Zeit Online"-Überschrift aufgegriffen, teils ohne klar herauszustellen, dass dieser kein wörtliches oder sinngemäßes Zitat Macrons zugrunde liegt. "Für diesen Staatschef ist die Pandemie beendet", titelte etwa auch "Newszone", die Nachrichtenseite des jungen SWR-Angebots "Das Ding". Dieser Artikel wurde inzwischen gelöscht. Grund dafür ist laut Angaben der Redaktion, dass der Artikel nicht mehr aktuell genug sei, um in der News-App ausgespielt zu werden.
Der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Hanitzsch sagt zu den Medienberichten, von Journalisten, die ihren Beruf professionell ausübten und eine entsprechende Ausbildung genossen hätten, könne man erwarten, eine Information vor Veröffentlichung kritischer zu überprüfen. Allerdings sei die "Zeit" als verlässliche Quelle bekannt. Dies erklärt für Hanitzsch, "dass man da vielleicht jetzt nicht noch mal genauer hinguckt, weil man sagt: 'Naja, die Zeit wird es ja schon gecheckt haben'".
Auch ein Politiker, ein FDP-Bundestagsabgeordneter, der wiederholt Lockerungen und einen "Freedom Day" gefordert hatte, greift auf Twitter die Behauptung auf. Auch andere Twitter-Userinnen und -User fragen, wann Deutschland nachziehe.
Aber wann endet die Pandemie - beziehungsweise wer erklärt sie für beendet?
WHO klassifiziert Corona-Pandemie weiterhin als internationalen Gesundheitsnotstand
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. Sie beobachtet unter anderem globale Gesundheitsrisiken und ordnet diese ein, sie erklärt eine Pandemie zur solchen - und erklärt sie gegebenenfalls wieder für beendet. Im Zusammenhang der globalen Ausbreitung des Coronavirus sprach die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im März 2020 erstmals von einer Pandemie - und sie tut dies bis heute.
Im Juli 2022 ordnete die WHO die Ausbreitung von SARS-CoV-2 erneut als "Public Health Emergency of International Concern (PHEIC)" ein, also als einen internationalen Gesundheitsnotstand. Dies ist - so schreibt eine WHO-Sprecherin dem #Faktenfuchs - "our highest level of concern", also die höchste Stufe der "Besorgnis".
Die WHO hat die Corona-Pandemie also noch nicht für beendet erklärt. Zum Vergleich: Im Fall der Schweinegrippe verkündete die WHO im August 2010 nach rund einem Jahr das Ende jener Pandemie. Ob und wann das im Fall der Corona-Pandemie passieren wird, ist unklar.
Virusvarianten breiten sich aus
Denn es kursieren sogenannte "variants of concern", also besorgniserregende Virusvarianten wie die Omikron-Subvarianten BA.1, BA.4 und BA.5. Sie sind ansteckender und die bislang verfügbaren Corona-Vakzine - also die vor Auslieferung der neuen Impfstoffe gegen BA.1 - waren gegen die Varianten weniger wirksam.
Laut Weltgesundheitsorganisation sollten alle Länder das Virusgeschehen daher weiterhin beobachten. Das Corona-Dashboard der WHO gibt einen weltweiten Überblick über gemeldete Fälle, Impfquoten und Todesfälle.
WHO: Drei Szenarien für Entwicklung der Pandemie
Laut dem "Strategischen Plan für Vorbereitung, Bereitschaft und Reaktion der WHO zur Beendigung des weltweiten Covd-19-Notstands im Jahr 2022" geht die WHO von drei möglichen Szenarien für die weitere Entwicklung der Pandemie aus.
- Am wahrscheinlichsten sei es demnach, dass das Virus sich weiter entwickle, die Schwere der verursachten Krankheiten im Laufe der Zeit aber abnehme, da die Immunität aufgrund von Impfungen und Infektionen in der Gesamtbevölkerung zunehme. Da die Immunität beim einzelnen Menschen über die Zeit abnehme, könnte es periodisch zu einem Anstieg der Krankheits- und Todesfälle kommen. Für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen könnte daher eine regelmäßige Auffrischungsimpfung erforderlich sein.
- In einem "best case"-Szenario könnten weniger schwerwiegende Varianten auftreten. Auffrischungsimpfungen oder Anpassungen der Impfstoffe wären nicht erforderlich.
- Im schlimmsten Szenario kann laut WHO eine noch aggressivere und hochgradig übertragbare Variante auftauchen. Angesichts einer derartigen neuen Bedrohung nähme der Schutz der Menschen vor schwerer Krankheit und Tod, entweder durch vorherige Impfung oder durch Infektion, rasch ab. Um dieser Situation zu begegnen, müssten dann die derzeitigen Impfstoffe erheblich verändert werden. Außerdem müsste sichergestellt werden, dass sie die Menschen erreichen, die am stärksten von schweren Erkrankungen bedroht sind.
WHO: Überwachung, Impfen, Therapie
Um die akute Phase der Pandemie noch in diesem Jahr zu beenden, müssten laut WHO alle Länder weltweit investieren: "Wir fordern weiterhin alle Länder auf, Test- und Sequenzierungsdienste aufrechtzuerhalten, damit wir uns ein klareres Bild davon machen können, wo sich das Virus ausbreitet und wie es sich weiterentwickelt." Außerdem müsse die Forschung gefördert, die klinische Versorgung für COVID-19-Patienten ausgebaut und widerstandsfähige Gesundheitssysteme geschaffen werden.
"Wenn wir lernen, mit COVID-19 zu leben, bedeutet das nicht, dass wir so tun, als ob es nicht da wäre. Es bedeutet, dass wir die Werkzeuge nutzen, die wir haben, um uns selbst und andere zu schützen", schreibt die WHO-Sprecherin in einer Mail-Antwort an den #Faktenfuchs.
Übergang in endemische Phase
Das Robert Koch-Institut (RKI) sieht Deutschland bereits auf dem Weg hin zu einer endemischen Phase. Auf der Webseite des RKI heißt es: "Die durch SARS-CoV-2 hervorgerufene COVID-19-Pandemie war von heftigen Infektions- und Krankheitswellen geprägt und geht allmählich in ein endemisch-wellenförmiges Geschehen über."
Als Endemie definiert das RKI eine "in einer Gegend heimische Krankheit, von der ein größerer Teil der Bevölkerung regelmäßig erfasst wird".
Endemisch bedeutet nicht ungefährlich
Der Übergang kann laut RKI jedoch nicht eindeutig anhand eines bestimmten Schwellenwertes festgelegt werden und finde global auch nicht überall gleichzeitig statt. Zudem bedeute "endemisch" nicht, dass SARS-CoV-2 harmlos werde.
"Ähnlich wie bei der Grippe wird es höchstwahrscheinlich auch weiterhin zu regionalen oder überregionalen Ausbrüchen und saisonalen Erkrankungswellen (insbesondere im Herbst und Winter) kommen, die auch mit schweren Verläufen und Todesfällen einhergehen", so das RKI. Vor allem in der älteren Bevölkerung und bei Menschen mit bestimmten Grund- und Vorerkrankungen ist laut RKI auch in Zukunft mit schweren Verläufen zu rechnen.
Fazit:
Es gibt laut #Faktenfuchs-Recherchen keinen Beleg dafür, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wörtlich oder sinngemäß das Ende der Pandemie erklärt hat.
Die Falschinformation verbreitet sich in deutschen Medien und Timelines und geht auf eine zugespitzte Artikel-Überschrift bei "Zeit Online" zurück. Diese ist laut Medienwissenschaftlern als Fehlinformation und unzulässige Verkürzung einzuschätzen.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Corona-Pandemie noch immer als internationalen Gesundheitsnotstand ein. Besorgniserregende Virus-Varianten, gegen die die bisher verfügbaren Impfstoffe weniger gut wirkten, breiteten sich aus.
Die WHO hat mehrere Szenarien für die weitere Entwicklung entworfen. Am wahrscheinlichsten sei es demnach, dass das Virus sich weiter entwickle, die Schwere der verursachten Krankheiten im Laufe der Zeit aber abnehme, da die Immunität aufgrund von Impfungen und Infektionen zunehme.
Das Robert Koch-Institut (RKI) sieht Deutschland in einer Übergangsphase hin zur Endemie. Dies bedeute jedoch nicht, dass SARS-CoV-2 harmlos werde. Vor allem Risikogruppen seien auch in Zukunft von schweren Verläufen bedroht.
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