Flüchtlingskind auf Samos
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Flüchtlinge in Griechenland - vergessen im Paradies?

Flüchtlinge in Griechenland - vergessen im Paradies?

Die Insel Samos - für Touristen ein Paradies, für Geflüchtete ein Ort ohne Zukunft. Viele leben hier in menschenunwürdigen Zuständen. Während die EU neue Lager baut, sind es oft ehrenamtliche Helfer, die versuchen die Not der Menschen zu lindern.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Knapp 2.000 Flüchtlinge leben aktuell auf der griechischen Insel Samos. Das offizielle Camp, betrieben vom UN-Flüchtlingswerk, ist allerdings nur für 650 Menschen ausgelegt. Weil nicht genug Platz ist, leben viele Flüchtlinge in Zelten außerhalb des umzäunten Containercamps. Die Flüchtlinge nennen es: "den Dschungel". Eine Reporterin des BR-Politikmagazins Kontrovers war vor Ort, um die Zustände auf Samos zu dokumentieren.

"Der Dschungel"

Während sich Urlauber am Strand erholen, leben die Geflüchteten an einem Hang am Rande der Inselhauptstadt Vathy in oftmals menschenunwürdigen Zuständen. Auch der 42-jährige Palästinenser Omar (Name von der Redaktion geändert) lebt selbst seit knapp zwei Jahren hier.

"Nachts sind hier überall Ratten, tagsüber Schlangen und Skorpione. Es gibt keinen Strom, es gibt kaum Wasser. Man muss sehr weit laufen, um an Wasser zu bekommen." Omar (Name geändert)

Das Überraschende: Omar ist ein anerkannter Flüchtling. Das heißt, er hat Asyl in Griechenland bekommen.

Schöne Theorie, bittere Praxis für anerkannte Asylberechtigte

So wie Omar geht es vielen Geflüchteten. Mit der Anerkennung des Asylantrags müssen sie aus dem offiziellen Camp ausziehen. Die Verpflegung fällt weg, ebenso das Taschengeld des UN-Flüchtlingswerks. Verantwortlich ist nun Griechenland, doch das Land ist wirtschaftlich angeschlagen. Die bürokratischen Hürden an Unterstützung zu kommen sind hoch. Auch Arbeit gibt es kaum. Für viele ist "der Dschungel" die einzige Option.

Nach ihrer Anerkennung können Geflüchtete Hilfe beim Finanzprogramm Helios beantragen. Die EU finanziert dieses. Neben Integrationshilfen gibt es auch die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung für eine Wohnung. Soweit die Theorie - in der Praxis sieht es jedoch oft anders aus. Um an die finanzielle Unterstützung für eine Wohnung über Helios zu kommen, benötigt man unter anderem eine Steuernummer, ein Bankkonto, einen Mietvertrag im eigenen Namen und einen Kontoauszug mit der bezahlten Miete als Nachweis. Viele Vermieter wollen aber nicht an Flüchtlinge vermieten - und wenn, möchten sie die Miete oft bar, ohne offiziellen Mietvertrag - um die Steuer zu sparen.

"Mama Uschi": Eine Wohnung ist wie ein Lottogewinn

An eine Wohnung zu kommen, gleiche deshalb einem Lottogewinn. Das erzählt die Schweizerin Ursula "Uschi" Wohlgefahrt. Die Rentnerin ist schon lange in der Flüchtlingshilfe aktiv und letztes Jahr nach Samos gezogen. Die Lage vor Ort brachte sie auf die Idee, Wohnungen anzumieten, um vor allem Familien aus den miserablen Zuständen im "Dschungel" zu holen und ihnen damit zumindest eine würdige Zwischenlösung zu bieten. Die ersten Wohnungen finanzierte sie noch aus der eigenen Tasche, inzwischen übernimmt der Regensburger Verein "Space-Eye e.V." die Miete. 140 Menschen haben bereits von Uschis Wohnungen profitiert, die Hälfte davon sind Kinder.

Bei den Geflüchteten ist Ursula Wohlgefahrt als "Mama Uschi" bekannt - viele möchten eine ihrer Wohnungen, doch Uschi kann nicht allen helfen. Sherine (Name von der Redaktion geändert) und ihre beiden Töchter (fünf und sechs Jahre alt) hatten Glück. Die kleine Familie floh aus Syrien und kam vor über einem Jahr nach Samos. Dort lebten sie zunächst monatelang in einem Zelt im "Dschungel" - im offiziellen Lager war kein Platz. Doch für die alleinerziehende Mutter war die Situation dort schwierig. Ursula Wohlgefahrt und Space-Eye konnten sie rausholen. Seit Januar lebt die Familie in einem kleinen Studio. Die beiden Mädchen gehen dank Uschis Einsatz sogar seit Kurzem in die Schule.

"Im Camp wurde ich schlecht behandelt, weil ich mit meinen Töchtern ohne einen Mann hier bin. Wir hatten große Probleme im Dschungel. Ich war so glücklich, als wir in 'Mama Uschis' Programm ziehen durften. Sie hat uns einen Ort zum Schlafen und zum Waschen gegeben. Einen Ort, an dem ich mich wieder lebendig fühle." Sherine (Name geändert)

Scharfe Kritik an der EU

Ursula Wohlgefahrt macht die EU für die aussichtslose Lage der anerkannten Flüchtlinge verantwortlich: "Ich mache der EU folgenden Vorwurf: Dass wir hier mit Gesetzen Menschen aufnehmen, sie dann aber im Regen stehen lassen." Mit den Vorwürfen ist sie nicht alleine. Auch der Bürgermeister von Vathy, Georgios Stantzos, sieht die Schuld bei der EU. Die Prozesse müssten beschleunigt werden, anerkannte Flüchtlinge sollten die Insel schnell verlassen können und dorthin reisen können, wo sie hinwollen. Andere EU-Länder könnten laut Stantzos Flugzeuge schicken und die Menschen von der Insel holen. Doch es gebe einen Mangel an europäischer Solidarität.

Verantwortlich für den Asylprozess ist laut der Dublin-Verordnung jedoch Griechenland. Die Verordnung regelt, welches Land für die Prüfung eines Asylantrags verantwortlich ist – im Regelfall ist das das erste EU-Land, in das der Asylbewerber einreist. Länder wie Griechenland, Italien oder Spanien an der europäischen Außengrenze sind daher besonders betroffen.

Manfred Weber: Es versagt nicht die EU, sondern der nationale Egoismus

Der EU-Politiker und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), versteht den Frust vor Ort. Ihn störe jedoch, dass die EU dafür verantwortlich gemacht wird. Es versage nicht die EU, sondern der nationale Egoismus, sagt er dem BR-Politikmagazin Kontrovers.

"Wenn wir Europa hätten, wenn Parlament und Kommission entscheiden könnten, dann hätten wir schon lange Lösungen, auch im guten Sinne." Manfred Weber (CSU), EU-Politiker und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei

Das Dublin-System habe über Jahre hinweg vergleichsweise gut funktioniert. 2015 habe dann jedoch gezeigt, dass das System an seine Grenzen kommt. Daher brauche es nun eine Reform. Weber befürwortet einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus in Europa. Es müsse sichergestellt werden, dass jedes Land seinen Beitrag leiste: "Das Thema Migration ist kein griechisches Problem, das ist kein spanisches Problem, sondern ein europäisches."

Die Arbeit von engagierten Ehrenamtlichen wie Ursula Wohlgefahrt und des Regensburger Vereins Space-Eye lasse sich durch nichts kompensieren. Wichtig sei allerdings auch, dass diese sich unterstützt fühlen und nicht behindert. Förderprogramme müssten sich unbürokratisch umsetzen lassen, so Weber: "Wenn es daran hakt, muss die EU auch nachsteuern." Im Klartext: Die europäische Politik verlässt sich weiter auf ehrenamtliche Helfer. So schnell wird sich daran nichts ändern: Eine solidarische europäische Lösung ist nicht in Sicht.

EU finanziert neue, größere Flüchtlingslager

Das offizielle Flüchtlingslager in Vathy und der angrenzende "Dschungel" sollen schon bald der Vergangenheit angehören. Etwa 15 Autominuten von der Stadt entfernt, weit weg von den Inselbewohnern, wird gerade mit EU-Geldern ein neues, größeres Lager gebaut. Dieses soll laut einer Sprecherin der EU-Kommission auch geschlossene Strukturen beherbergen. Einige NGOs befürchten, dass sie zukünftig möglicherweise keinen Zugang zum Camp mehr erhalten und eine Art "Flüchtlings-Haftanstalt" errichtet wird.

Die meisten Flüchtlinge wollen Samos auch deshalb vorher verlassen. Tausende sind bereits ans Festland gereist. Viele wollen weiterreisen, nach Zentraleuropa. Sie sehen keine Zukunft in Griechenland. Auch Omar träumt von seiner Weiterreise, dazu braucht er jedoch einen Pass. Auf diesen wartet er seit knapp acht Monaten. Anerkannte Flüchtlinge können mit einem Flüchtlingspass legal in andere europäische Länder reisen. Dauerhaft bleiben dürfen sie dort allerdings nicht. Denn Asyl haben sie in Griechenland. So regelt es die Dublin-Verordnung.

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