Was würde aus der Europäischen Union, sollte Marine Le Pen wirklich Präsidentin werden? Obwohl die extrem rechte Politikerin sich weitaus zurückhaltender zum Staatenverbund mit seinen 27 Mitgliedern äußert als noch vor fünf Jahren, bleibt Le Pen im Élysée-Palast ein Schreckensszenario für Anhänger der EU. Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Premierminister Spaniens und Portugals schrieben nun einen Gastbeitrag für die französische Tageszeitung "Le Monde", in dem sie sich zwar nicht namentlich für Macron aussprachen, jedoch indirekt deutlich machten, dass sie eine Wahl Marine Le Pens in dieser Zeit für keine gute Idee halten.
Le Pens Verbindungen zu Putin machen Sorgen
Die drei Regierungschefs verweisen auf die Ereignisse in der Ukraine und schreiben, Wladimir Putin bekämpfe mit seinem Angriffskrieg die Werte, für die Frankreich und die Europäische Union stünden: Demokratie, Souveränität, Freiheit und Rechtsstaat.Die Verbindungen von Marine Le Pen zum russischen Präsidenten sind kein Geheimnis. 2017 besuchte sie Putin kurz vor der Stichwahl. Dieses Jahr druckte ihre Partei, der Rassemblement National, sogar Wahlkampf-Flyer mit einem Bild Le Pens neben Putin. Dieser Prospekt wurde nach Ausbruch des Krieges nicht mehr mit so großem Stolz präsentiert wie zuvor. Ihre Partei schuldet außerdem immer noch russischen Gläubigern Geld. Macron wagte diesbezüglich im TV-Duell am Mittwoch seinen schärfsten Angriff: Wenn sie mit Putin spreche, rede sie mit ihrem Banker und nicht einem Staatschef.
Rasche Wiederannäherung an Russland geplant
Sollte Marine Le Pen gewählt werden, so wären mit großer Wahrscheinlichkeit weitere harte Sanktionen gegen Russland sehr schnell vom Tisch. Le Pen ist strikt gegen ein Embargo von russischem Gas, Öl und Kohle. Sie möchte wieder "ein Verhältnis mit Russland aufbauen", wenn der Krieg beendet sei, egal ob Putin Präsident bleibe oder nicht. Russland sei ein so großes und wichtiges Land, das weiterhin ein Nachbar bleiben werde, sagt Le Pen.
Das Ende des deutsch-französischen "Tandems"
Deutliche Auswirkungen hätte eine Wahl Le Pens auf das deutsch-französische Verhältnis. "Sie möchte den deutsch-französischen Motor zum Erliegen bringen", sagt der Politikwissenschaftler Paul Maurice vom Ifri-Institut. Speziell Industrieprojekte wie eine gemeinsame Batteriefertigung für Elektroautos, die Zusammenarbeit bei der Künstlichen Intelligenz oder auch das Kampfflugzeugprojekt FCAS wären wohl schnell beendet. Statt eines deutsch-französischen Motors möchte sie Absprachen im "Weimarer Dreieck" treffen, also Polen hinzuziehen.
Au revoir Multilateralismus
Le Pen hatte auch in diesem Wahlkampf bis zuletzt keine Hemmungen, ihrer Abneigung gegenüber Deutschland und der Europäischen Union Ausdruck zu verleihen. Sie betonte zwar immer wieder, dass sie nicht aus der EU austreten wolle. 2017 hatte sie noch angekündigt, Frankreich aus dem Euro zu führen und hatte auch deshalb deutlich verloren. Wie eine EU-Mitgliedschaft allerdings mit ihren Vorstellungen eines "Europas der Nationen" vereinbar sei, erläutert Len Pen nicht. In einer Pressekonferenz, in der sie sich speziell der Außenpolitik widmete, sprach Le Pen vom "Konzert der Nationen", einem Begriff aus dem 19. Jahrhundert. Frankreich würde dann wohl deutlich mehr Zeit aufwenden, um bilaterale Abkommen auszuhandeln. Der Multilateralismus wäre Vergangenheit.
Verteidigung und Finanzierung: Vieles bleibt unklar
Während Amtsinhaber Macron dauernd von der "strategischen Autonomie" Europas spricht, also einer stärkeren Eigenständigkeit der EU und einer kleiner werdenden Abhängigkeit von der Nato, bleibt Le Pen auch in Verteidigungsfragen sehr unklar. Sie möchte mehr Souveränität, aus der Kommandostruktur der Nato aussteigen und sagt Nein zu einer europäischen Armee. Wie diese französische Eigenständigkeit im Detail aussehen soll, dabei bleibt sie vage. Auch ist unklar, was aus den französischen Einflusssphären in Nordafrika und im Indopazifik werden soll.
Kritiker monieren populistische Versprechen
Wirtschaftsfachleute fürchten unter einer Präsidentin Le Pen außerdem eine explodierende Staatsverschuldung. Diese liegt jetzt schon bei über 98 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Doch Le Pen möchte etwa die Unter-30-Jährigen von der Einkommensteuer befreien, die Mehrwertsteuer auf Energie senken und viele weitere Sozialleistungen einführen, wofür sie bisher noch kein Programm zur Gegenfinanzierung vorgestellt hat. Mit einer Ausnahme: Die Zahlungen an die EU sollen um fünf Milliarden Euro gekürzt werden.
"Macron hat viel gelernt"
Französisches Recht sollte dem europäischen Recht vorgezogen werden. Allein diese Forderung ist mit den EU-Verträgen nicht vereinbar. Sollte eine Präsidentin Le Pen hier ernst machen wollen, stünde die Europäische Union vor einer existenziellen Krise.
Le Pen liegt nach neuesten Umfragen wieder deutlicher hinter Emmanuel Macron. Das Institut Ipsos veröffentlichte am Morgen folgende Werte: 42,5 zu 57,5 Prozent. Bei einer Wiederwahl des Präsidenten käme es wohl nicht zu großen Umwälzungen innerhalb der Union. Jedoch hat Macron in den vergangenen Jahren viel gelernt, sagt Paul Maurice vom Ifri-Institut: "Er weiß, dass er nicht allein mit der Bundesregierung sprechen sollte, sondern sich zuerst mit anderen Ländern wie Italien und Polen abstimmen müsse, um dann auf Deutschland zuzugehen."Macron konnte in den vergangenen Jahren zwar nicht alles erreichen, was er sich vorgenommen hatte, jedoch gelang ihm mit dem Corona-Wiederaufbaufonds über 750 Milliarden ein Coup. Damals rang er nämlich Deutschland zum ersten Mal das Zugeständnis ab, dass die Europäische Union gemeinsam Schulden aufnimmt.
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