Kinder erlitten einen Hirnschaden, weil sie während der Geburt mit zu wenig Sauerstoff versorgt wurden, in seltenen Fällen kam es zu Gebärmutterrissen oder gar Todesfällen von Mutter oder Baby: Recherchen von BR und SZ zeigen, dass es nach der Gabe der Tablette Cytotec zur Geburtseinleitung zu schweren Komplikationen kommen kann. Das geht aus Gutachten, Fallstudien, Klageschriften und Gerichtsurteilen hervor, die BR und SZ vorliegen.
Der zuständigen Überwachungsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, ist das Ausmaß der Probleme nicht bekannt. Dort ist nur einer von mehreren Todesfällen dokumentiert; von schweren Gehirnschäden, die Kinder im Zusammenhang mit Cytotec erlitten haben, hat die Behörde nach BR- und SZ-Recherchen keine Kenntnis.
Mangelnde Dokumentation von Behandlungsfehlern
Jeder Verkehrsunfall werde dokumentiert, schwere Behandlungsfehler oder gravierende Komplikationen in der Medizin dagegen nicht, kritisiert Max Skorning vom Medizinischen Dienst des Krankenkassen-Spitzenverbandes. Er fordert eine Meldepflicht, zumindest für schwerwiegende und sicher vermeidbare Fälle, damit andere daraus lernen könnten: "Da tun wir nicht das Bestmögliche für die Patientensicherheit in Deutschland", sagt Skorning.
Ein nationales Register, in dem Komplikationen dokumentiert werden, gerade in der Geburtsmedizin – dafür plädiert auch Kirsten Kappert-Gonther, Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag, auf BR-Anfrage: "Wir müssen wissen, wie viele Schäden von Kindern es unter der Geburt gibt, wir müssen wissen, was dafür die Ursachen sind, damit man aus den Fehlern für die Zukunft für nachfolgende Frauen und Kinder lernen kann."
Gesetzliche Meldepflicht für Komplikationen gefordert
Das setze eine gesetzliche Meldepflicht voraus, sagt die Politikerin und Ärztin Kirsten Kappert-Gonther. Die gibt es bislang aber nicht. Pharmahersteller sind gesetzlich verpflichtet, Komplikationen, Risiken oder Nebenwirkungen an die Überwachungsbehörde zu melden, Ärzte hingegen nicht.
Viele Fehler wären vermeidbar, wenn die Datenlage besser wäre. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des Instituts für Qualität und Patientensicherheit zu den Ursachen von Geburtsschäden. Es wurde im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellt und 2018 veröffentlicht. Laut Gutachten haben vor allem folgende Faktoren Einfluss auf die Entstehung von Geburtsfehlern: Befunde würden falsch interpretiert; es dauere zu lange, bis ein Arzt hinzugezogen werde und es fehle an Personal.
"Konsequente Erfassung um Risiken zu identifizieren"
Um wirklich zu wissen, wie und warum Geburtsschäden entstehen, sei die Datenlage aber nicht ausreichend, so das Gutachten: "Eine konsequente und kontinuierliche Erfassung aller Geburten unter Berücksichtigung der genannten systemischen und individuellen Umstände, wäre in der Lage, Risiken nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu quantifizieren."
Eine Nachfrage von BR und SZ, ob eine gesetzliche Meldepflicht von Komplikationen nötig sei, ließ das Bundesgesundheitsministerium unbeantwortet.
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