Johanna Böhmfeld verlässt mit ihrem Ehemann eine Arztpraxis im Münchner Osten. Eine Ferndiagnose per App – das kann sie sich nicht vorstellen. Doch sie macht den Test. In der ausgewählten App gibt es tausende mögliche Symptome.
Hosentaschen-Doktor
Im Suchfeld tippt die 62-Jährige "Knieschmerzen" ein. Ob Arthritis, Baker-Zyste oder Schleimbeutelentzündung – sofort erscheinen 13 verschiedene Ursachen erscheinen auf dem Display. Johanna Böhmfeld ist überwältigt von dem Angebot – doch es macht ihr auch etwas Angst: "Ich glaube, da macht man sich noch mehr verrückt".
Der Experte gibt ihr Recht. Wolfgang Rechl, Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer, rät von einer Diagnose via Handy ab. Eine Anamnese beim Arzt sei umfassend und sehr gründlich. Ein Laie könne gar nicht von sich aus wissen, welche Nebenaspekte noch relevant seien. Etwa, ob der Betroffene Blutgerinnungsmittel einnehme. "Wenn er das nicht eingibt, kommt die App auf eine falsche Diagnose."
Weg aus der Depression?
Die Gefahr besteht auch bei Apps, die täglich die Stimmung abfragen – und so auf eine Depression aufmerksam machen sollen. Denn eine Depression ist sehr schwer zu diagnostizieren – es gibt kein einheitliches Krankheitsbild. Für Wolfgang Rechl sollten Menschen, die sich auf irgendeine Art und Weise über einen längeren Zeitraum unwohl fühlen – seelisch wie körperlich – deshalb immer sofort einen Arzt aufsuchen. Stimmungs-Apps können seiner Meinung nach höchstens dazu dienlich sein, sich überhaupt über seine Grundstimmung Gedanken zu machen.
Allwissende Apps
Patienten vertrauen außerdem zum Teil extrem persönliche Daten einer App an. Das kann gravierende Folgen haben.
"Ich will nicht konstatieren, dass jede App einen Datenmissbrauch darstellt, aber es ist vorstellbar. Ich kann sogar sagen es ist sehr vorstellbar, dass diese Daten anderweitig genutzt werden." Wolfgang Rechl, Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer
Ob zu hoher Blutdruck oder Diabetes - wenn diese Daten zum Beispiel an eine Krankenkasse weitergegeben würden, könne es sein, dass der Betroffene einen Risikoaufschlag bekomme.
Viele schwarze Schafe
Wie unseriös einige Gesundheits-Apps sind, erkennt man in einigen Fällen auf den ersten Blick. Bei einer App, die mit spezieller Meditationsmusik die Konzentration und Entspannung fördern will, sind allein in einem Satz drei Rechtschreibfehler. Nicht gerade seriös.
Eine andere App wirbt ebenfalls mit Entspannung – durch Zen-Meditation. Öffnet man die App sieht man auch lauter Yogafiguren. Doch Yogaanleitungen sucht man hier umsonst – stattdessen erwartet einen ein Spiel. Mit dem Finger bewegt man einen Ball entlang des mit grellen Farben ausgemalten Körpers und sammelt so Punkte. Beruhigend ist das nicht – sondern eher nervenaufreibend. Mit Zen-Meditation hat das gar nichts zu tun.
Zertifikate für seriöse Apps
Um zumindest in einigen Fällen die Spreu vom Weizen zu trennen, versucht Wolfgang Rechl zusammen mit anderen Ärzten, bei der Bundesärztekammer ein Qualitätssiegel für bestimmte Apps durchzusetzen. Doch das wird dauern – und in der Zwischenzeit wächst der Markt.
"Es ist heute, fast nicht mehr möglich eine Übersicht zu schaffen weil das Angebot zu groß geworden ist, dass sie es nicht mehr übersehen können." Wolfgang Rechl, Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer
Es gibt aber durchaus auch Gesundheits-Apps, mit denen der User wenig falsch machen kann. Gute Einschlaf-Apps etwa: Sanfte Klänge zum Teil in Kombi mit autogenem Training. Zwar sei es Typfrage, sich darauf einzulassen. Doch wer das könne, für den könnten solche Übungen im Einzelfall durchaus sogar Schlafmittel ersetzen, so Wolfgang Rechl. Auch gegen Anti-Stress Apps mit Bewegungsübungen für zwischendrin sowie der Aufforderung kurz das Fenster aufzumachen und tief einzuatmen gibt es in der Regel nichts einzuwenden.