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Jede fünfte Frau in Österreich ist körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt.

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Internationaler Frauentag: Gewalt an Frauen in Österreich

Internationaler Frauentag: Gewalt an Frauen in Österreich

Jede fünfte Frau in Österreich ist körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Diese kann Gewalt ganz unterschiedlich aussehen – von Psychoterror bis hin zum Femizid. Drei Österreicherinnen erzählen ihre Geschichten.

2020 hat gerade erst begonnen. Doch innerhalb der ersten zehn Wochen wurden sechs Frauen gewaltsam getötet. 2019 waren es 34 Morde an Frauen, 2018 41. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 122 bei einer zehnfachen Einwohnerzahl. 2015 war Österreich Rekordhalter an Frauenmorden laut Eurostat. Doch warum gibt es gerade in Österreich eine prozentual an der Einwohnerzahl gemessen hohe Zahl an Gewaltverbrechen an Frauen und ab wann ist Gewalt eigentlich Gewalt?

Abwerten statt Schlagen: Psychoterror ist Gewalt

Bernadette (Name von Redaktion geändert, Anm.) ist 12, als sie und ihre Familie von Wien nach Tirol ziehen. In Wien lebt sie in einem gesunden Umfeld. Sie wird geliebt und gefördert. Der Vater stammt ursprünglich aus Tirol und ist Teil einer mächtigen Familie, die durch Kunst und Politik in der Öffentlichkeit steht. Er selbst ist erfolgreicher Geschäftsmann. Die Mutter ist nach dem Umzug mit acht Kindern allein in einem Dorf ohne Netzwerk, reagiert darauf mit Depressionen und Wutanfällen. Bernadette übernimmt teilweise die Kindererziehung.

"Nach dem Umzug war alles anders. Mein Vater war wieder in seiner familiären Struktur, handelte wieder so, wie es deren (Familie, Anm. der Redaktion) Druck und Mustern entsprach. In Wien war das so nicht möglich gewesen." Bernadette (Name von Redaktion geändert)

In ihren 30ern ist sie ein paar Tage in einem Wochenendhaus der Familie. Allein. Doch eines Nachts stehen unangekündigt einer ihrer Brüder samt Eltern im Haus. Sie fordern Bernadette auf, das Haus zu verlassen. Sie weigert sich – wie so oft in ihrem Leben und widersetzte sich. Die Antwort darauf gipfelt in dieser Nacht nicht nur in Worten.

Kurz vor seinem Tod bittet der Vater um Vergebung

Mittlerweile hat sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. "Zu viel ist passiert." Im Cafe sitzt eine Frau Mitte 40. Hinter ihr liegt ein Leben voller psychischer Gewalt gefolgt von Depressionen. Sie bricht den Kontakt ab – ohne gefühlte Identität und familiären Halt. Ihre Eltern, später auch ihre Geschwister, beschimpfen und diskreditieren sie vor fremden Menschen genauso wie innerhalb der Familie. Sie zerstören ihren Ruf und Glauben an sich selbst. Sie fühlt sich überfordert, wird depressiv. So sehr, dass sie ihr Musikstudium schmeißt. "Es hat System. Aber ich habe mich schon früh geweigert, familiäre Gewalt, Korruption und – auch sexuelle – Übergriffe zu tolerieren."

Mit 30 beginnt sie einen neuen Weg: Zurück nach Wien, Studium, Reisen. Kurz vor seinem Tod bittet der Vater um Vergebung. Bernadette vergibt. "Mit jedem Schritt des Verzichts auf Rache scheinen sich Kreise zu schließen. Es gibt einen Weg aus der Gewalt in die Freiheit."

Gewalt kann unterschiedliche Formen haben

Im Abschlussdokument der Weltfrauenkonferenz 1995 wird Gewalt gegen Frauen und Mädchen definiert als "jede Handlung geschlechtsbezogener Gewalt, die der Frau körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung in der Öffentlichkeit oder im Privatleben". So kann Gewalt physische, psychische oder sexualisierte Formen annehmen.

Bernadette durchlitt primär psychische, dennoch seien die Grenzen oft schwimmend, wie Andrea Brem von dem "Zusammenschluss Österreichischer Frauenhäuser" sagt. Aber typisch sei psychische vor allem in oberen Familien. "Psychische Gewalt geht mit physischer Gewalt immer einher, aber vor allem Männer aus gebildeten Schichten nutzen manchmal nur den Psychoterror, weil Abwertung, Demütigung und Drohungen schwer nachweisbar sind und wenn Frauen ein blaues Auge haben, weiß jeder, dass er sie schlägt."

Fehlgeburt nach Schlägen in den Bauch

Eine Ehe mit Gewalt: So geschehen bei Karin Pfolz. "Am Anfang war alles gut. Ich dachte, ich habe den perfekten Mann bekommen." Charmant, eloquent und freundlich. So beschreibt Karin ihren Ex-Mann. Doch nach der Eheschließung ändert sich alles. "Es fängt an, bevor es anfängt. Zuerst hatte er kein Geld für seine Kreditraten und ich habe ihm geholfen, dann wurden Verabredungen mit meinen Freunden und meiner Familie abgesagt, weil es ja eh viel netter auf der Couch mit mir alleine ist. Seine Freunde trifft er natürlich weiterhin." Nach und nach wird sie durch dieses Verhalten schleichend isoliert – sozial wie auch finanziell.

"Er bestand auf ein gemeinsames Konto, das heißt, ich konnte nicht einmal etwas Sparen ohne, dass er es mitbekommen hätte." Katrin Pfolz

Beim ersten Schlag denkt Karin, es sei ein Versehen. Einmalig. Doch er wird immer brutaler. Am Ende bestimmen die Angriffe und die ständige Angst vor diesen ihr Leben. Durch die Prügel erleidet sie schwere Verletzungen – nicht nur körperlich. "Das Schlimmste heute sind immer noch die seelischen Verletzungen. Die bleiben. Ich denke noch oft, ich sei nicht hübsch oder nichts wert." Eine Aussage, die tief sitzt – nach Beleidigungen, Psychoterror, Prügel und Vergewaltigungen. Selbst eine Fehlgeburt hat sie, wohl durch Schläge in den Unterbauch, nur knapp überlebt. Nach zehn Jahren schafft sie den Absprung: "Wenn er mich geschlagen hat, war das die eine Sache. Aber ich konnte einfach nicht ertragen, dass er unserem Sohn etwas antun könnte."

Nach zehn Jahren zieht sie einen Schlussstrich

Sie kann fliehen. Nachbarn und Freunde helfen ihr und stellen eine Unterkunft. "Wenn man geht, steht man mit dem Nylonsackerl und der Handtasche auf der Straße und das ist alles was man besitzt." Aber gleichzeitig rät sie jeder betroffenen Frau:

"Man muss sehr schnell Konsequenzen ziehen. Falls möglich, mit dem Täter reden. Die Männerberatung vorschlagen, damit er seine Aggressionen in den Griff bekommt. Schafft man das nicht, dann die Flucht gut planen, Hilfe annehmen und wirklich gehen. Es wird nicht besser." Katrin Pfolz

Das Erlebte ist mittlerweile Jahre her, aber frei ist sie erst seit dem Tod ihres Ex-Mannes. Jetzt unterstützt sie den "Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser" und spricht offen in den Medien als Stimme der Opfer häuslicher Gewalt. Ihr Appell: Zivilcourage zeigen, nicht den Fernseher lauter drehen, nachfragen. Ihr Motto: "Macht’s was. Schaut nicht weg."

Jede fünfte Frau in Österreich ist Gewalt ausgesetzt

In Österreich kein Einzelfall: Jede fünfte Frau ist körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Jede dritte wird ab ihrem 15. Lebensjahr sexuell belästigt. Allein 2018 werden 936 Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht. Davon sind 920 Opfer weiblich, 69 männlich. 559 Taten wurden in privaten Wohnungen oder Häusern verübt. Die Täter: 72 Prozent aus dem eigenen Umfeld, sprich Bekannte, Familienangehörige oder Intimpartner.

Trotz Kontrollwahn und Gewalt: Dem Femizid entkommen

Doch manche Täter gehen weiter. Sie hören nicht nach Psychoterror, Schlägen und Vergewaltigungen auf. Sie versuchen ihre Opfer umzubringen. So geschehen bei Sarah (Name durch die Redaktion geändert, Anm.). Sie ist 30, als sie sich in einen späteren Mörder verliebt. "Ich hab ihn über Freunde kennengelernt, Job im Rathaus, sehr charmant."

Doch das ändert sich schnell: "Er war mega eifersüchtig, kontrollsüchtig, hat Kondome abgezogen während des Sex." Dieses Vorgehen nennt sich Stealthing (vom Englischen „stealth“: List Heimlichtuerei). Nach heutigem Recht eine Vergewaltigung. Bei einem Konzert will er einen anderen Mann verprügeln, weil seine Freundin ihn angeblich zu oft ansieht. Gegen Sarah wird er nie handgreiflich. Bis sie nach ein paar Monaten ein Gespräch sucht, um sich zu trennen. "Er ist von Klosterneuburg bis Wien durchzufahren, ohne an einer einzigen roten Kreuzung zu halten. Ich kann die Strecke heute noch kaum fahren."

"Die nächste Frau hat er getötet"

Nach der Fahrt herrscht erstmal Funkstille. "Das nächste Mal, dass ich was gehört habe, war ein Anruf in meiner Arbeitsstätte von der Polizei, ob ich wüsste wo er ist. Die nächste Frau hat er getötet. Er war nach dem Mord auf der Flucht." Die Freundin, mit der er nach Sarah eine Beziehung einging, erwürgte ihr Ex. Sarah fand Unterschlupf über eine Arbeitskollegin. Zwei Tage später fasste die Polizei den Täter. Das war 2004. Laut Bundesministerium für Justiz ist "der Würger" jetzt wieder auf freiem Fuß.

Viele Frauen verwechseln wie Sarah Liebe mit Macht:

"Sein Besitzdenken, dass ich anfangs für Begeisterung für mich hielt. Er hat immer nachgefragt, wo ich bin und mochte dann auch meine Freundinnen nicht. In seinem Freundeskreis war alles gut und er war super stolz auf mich und hat angegeben mit mir." Sarah (Name durch die Redaktion geändert)

Gewalt hat System

Genau diese Diskrepanz wird auch in der Studie "Sexualisierte Gewalt in Paarbeziehungen" vom "Verein Wiener Frauenhäuser" beschrieben: "Gewalt in Paarbeziehungen ist häufig gekoppelt an ausgeprägte männliche Anspruchshaltung, die sich u.a. in der Vorstellung eines sexuellen Verfügungsrechts über die "eigene" Frau äußern."

Die Schweizer Sozialarbeitswissenschaftlerin Silvia Staub-Bernasconi entwickelte dazu unterschiedliche Ausprägungen direkter Gewalt im Bezug auf Macht. So können Täter absichtlich verletzen, entziehen den Opfern die ökonomischen Mittel, zerstören die psychischen Funktionen und versagen das soziale Netz. Geschehen bei Karin, Sarah, Bernadette und Maria. Sie sind allerdings kein Einzelfall, denn Gewalt hat System. Die amerikanische Soziologin Carol Hagemann White erklärt:

"Gewalt gegen Frauen ist etwas anderes als ein Banküberfall. Sie beruht auf einer Jahrhunderte alten Tradition, der zufolge Männer gegenüber Frauen Gewalt ausübten – "ihren" Frauen gegenüber und "ungebundenen" oder "verfügbaren" Frauen gegenüber – und zwar ungestraft." Carol Hagemann White

Sarah fand anfangs nur die Ausdrücke, die er für Frauen am Steuer verwendete, ein absolutes No go. "Leider habe ich nicht darauf gehört."

Darum morden Männer: Mögliche Motive

Ein Mord an Frauen ist nicht immer gleich. Wenn ein Mord an einer Frau auf Grund ihres Geschlechts verübt wird, spricht man von einem Femizid. Diese werden wohl nicht nur wegen einer vorherigen Opfer-Täter-Beziehung begangen, sondern können auch aus geschlechterfeindlichen Motiven verübt werden – ähnlich wie bei Rassismus gegen Ausländerinnen und Ausländern: 2018 wurden 41 Morde an Frauen in Österreich durch die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst.

Wegen der angestiegenen Zahl hat das Bundesinnenministerium das Institut für Strafrecht und Kriminologie gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt beauftragt, Morde und Mordversuche zu untersuchen. Universitätsassistentin Isabel Haider hat daran mitgearbeitet. Das Ergebnis:

"Wir können unsere Informationen nur aus Polizeimaterial ziehen und da fiel uns auf, dass zur Motivlage der Täter eher wenig ermittelt wird. Oberflächliche Motive sind Liebe und Eifersucht, aber es gibt wohl auch tiefer liegende Motive für Gewalteskalationen und -spiralen. Es kann zum Beispiel auch eine generelle Einstellung zu Frauen vorliegen wie zum Beispiel ein ausgeübtes Dominanz-Kontrolle-Verhalten, das bis zum Mordversuch oder vollendeten Mord ausschlaggebend war." Isabel Haider

3.000 amerikanische Studenten befragt

Ist Tätern dieses Verhalten bewusst? 3.000 männliche, amerikanische Studenten wurden auf Grund dieser Frage zur Häufigkeit von erzwungenem Sexualverkehr zwischen Beziehungspartnern befragt. Das Ergebnis: "25 Prozent gaben an, seit dem 14. Lebensjahr irgendeine Form sexueller aggressiver Verhaltens ausgeübt zu haben, 10 Prozent wollten körperliche Nähe durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt bekommen und 5 Prozent bekannten sich zu einer Vergewaltigung." Für Österreich liegen keine Statistiken in diesem Bereich vor. Andrea Brem von dem "Zusammenschluss Österreichischer Frauenhäuser" sagt:

"Psychische Gewalt geht mit physischer Gewalt immer einher, aber vor allem Männer aus gebildeten Schichten nutzen manchmal nur den Psychoterror, weil Abwertung, Demütigung und Drohungen schwer nachweisbar sind und wenn Frauen ein blaues Auge haben, weiß jeder, dass er sie schlägt. Täter wissen, dass sie Täter sind. Jeder Erwachsene hat die Chance selbstständig zu handeln und ganz klar anders zu handeln." Andrea Brem

Dunkelziffer von Gewalttaten ist hoch

Insgesamt ist die Datenerfassung und das Vergleichen statistischer Zahlen in Europa schwierig: Tabuisierung, unpassende Begriffe und eine große Dunkelziffer von nicht erfassten Fällen bei Gewalttaten machen das Bewerten komplex. Dennoch: Österreich hatte 41 Femizide in 2018 und 32 männliche Mordopfer. Frauen sind zwar überproportional von Gewalt betroffen, aber das läge an gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Strukturen, so Haider.

Auch der jährliche Gender Equality Index bestätigt das. "Der von der Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) entwickelte Index zur Gleichstellung der Geschlechter ist ein Instrument zur Messung des Fortschritts der Gleichstellung der Geschlechter in der EU." Üblicherweise bewegen sich Männer häufiger als Frauen in einem kriminellen Umfeld. Deshalb überrascht die Anzahl an Femiziden in Österreich: "Es ist ungewöhnlich, dass bei den vollendeten Morden so ein großer Anteil bei Frauen ist."

Frauen ist teilweise nicht bewusst, dass sie Opfer sind

Der Verein Wiener Frauenhäuser dazu: "Nicht alle gewaltbetroffenen Frauen wenden sich an offizielle Stellen oder Beratungseinrichtungen, aus Scham, Angst, aber auch weil sich viele Frauen gar nicht bewusst sind, Opfer von Gewalt zu sein – vor allem dann, wenn es sich um rein psychische Gewalt handelt." Die französische Psychotherapeutin Marie-France Hirigoyen schreibt dazu:

"Ich habe lange Zeit geglaubt, das Thema Gewalt in der Ehe würde mich nicht betreffen, weil mein Mann mich ja nicht schlug. Dabei war ich in Wirklichkeit so unterwürfig, dass er mich nicht zu prügeln brauchte, damit ich seinen Launen nachgab." Marie-France Hirigoyen
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Gender Equality Index 2017

Lösung, die Leben rettet: Flucht in ein Frauenhaus

Auch Maria (Name durch die Redaktion geändert, Anm.) aus Russland lebte in einer Gewaltehe. Anfangs ist alles ganz normal. Sie zieht in seine Wohnung ein. Hochzeit nach sechs Monaten. Das erste Kind kommt zur Welt. Danach ändert sich alles: Drogen, Gewalt, Isolation. Wegen fehlender Sprachkenntnisse ist sie abhängig von ihm. Doch sie bricht aus, lernt Deutsch, sucht sich einen Job und kümmert sich alleine ums Kind.

"Er wollte immer Geld von mir. Am Anfang gab ich ihm auch was. Aber ich glaube, er hat es für Drogen ausgegeben. Danach war er immer aggressiv und unberechenbar." Maria (Name durch die Redaktion geändert)

In solchen Situationen bringt sie den eigenen Sohn zu den Schwiegereltern nebenan, damit wenigstens er in Sicherheit ist. Oft überlegt sie: "Soll ich ihn anzeigen oder nicht? Was passiert dann mit mir und vor allem mit unserem Sohn?" Doch an einem Abend kann Maria nicht mehr anders: "Er wollte wieder Geld, 50 Euro. Ich meinte: Ich arbeite nicht für dich, du arbeitest doch auch!" Dann packt er sie, schlägt zu, mehrfach mit der Faust auf ihren Kopf. Danach legt Maria 50 Euro auf die Kommode und schließt sich ins Schlafzimmer ein. Ihre Sicherheitsstrategie: “Nach einer halben Stunde beruhigte er sich in der Regel.” Doch dieses Mal nicht.

Marias letzter Ausweg: ein Frauenhaus

Sie geht zur Polizei. Selbst auf dem Weg dorthin plagen sie Zweifel, denn ihr Sohn ist noch immer in der Wohnung. Bei der Polizei angekommen, werden sofort Beamten zur Wohnung geschickt und ein zweiwöchiges Betretungsverbot erlassen. Ein Mittel der Polizei bei Gewaltverbrechen. Anschließend kann es durch ein Gericht auf sechs Monate ausgeweitet werden. Er hält sich nicht daran. Kommt zur gemeinsamen Wohnung, bedroht sie, will einbrechen. Maria packt ihre Sachen und flüchtet mit dem Sohn in ein Frauenhaus. Erst da kann sie frei atmen.

"Ich hatte sehr viel Glück. Ich war sechs Monate in einem Frauenhaus und jetzt lebe ich seit einem Jahr in einer eigenen Wohnung." Maria (Name durch die Redaktion geändert)

Der Verein Wiener Frauenhäusern hat insgesamt 4 Häuser und 54 Wohnungen. Das fünfte Haus ist im Bau. Dann werden es in Wien 225 Plätze für Frauen und Kinder sein. Auch ihr Chef weiß Bescheid. Maria arbeitet jetzt immer von 8-15 Uhr, damit sie ihren Sohn vom Kindergarten abholen kann. Trotz gemeinsamen Sorgerechts kümmert sich ihr mittlerweile Ex-Mann gar nicht um den Sohn. Nach einem Vorfall darf er seinen Sohn nur mehr alle zwei Wochen unter Aufsicht sehen. Selbst dort erscheint er nur sporadisch. Für die Mutter ein Unding. Sie zerreißt sich: Arbeit, Gerichtstermine für das alleinige Sorgerecht, Haushalt, Kind.

"Im Nachhinein ist man immer klüger"

Sie bereut, nach den Schlägen nicht zum Arzt gegangen zu sein, um die Gewalt protokollieren zu lassen und bei Gericht nicht zur Gewalt ausgesagt zu haben. Um den Mann zu schonen. Jetzt steht Aussage gegen Aussage bei der Verhandlung um das Sorgerecht für den Sohn. Außerdem: "Ich hätte früher weggehen sollen, aber im Nachhinein ist man immer klüger."

Beispiele wie dieses zeigen, wie wichtig Frauenhäuser sind. Sie können über Leben und Tod entscheiden. Trotzdem wurde die Finanzierung der Frauenhäuser immer nur für ein Jahr genehmigt. Jetzt sollen in Salzburg Leistungsverträge ausgeschrieben werden. Die Verwaltung würde dann über die Aufnahme, Aufenthaltsdauer und Betreuungsumfang entscheiden und nicht die fachliche geschulten Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern vor Ort. "Das wäre das Ende der Autonomie und der Anonymität der Kinder und Frauen im Frauenhaus", so Birgit Thaler-Haag Leiterin des Frauenhaus Salzburg.

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2018 gingen 8.581 Anrufe bei der Frauenhelpline ein.

Warum gerade Österreich? Machtanspruch von Männern

Österreich gehört mit zu den reichsten Ländern der Welt. Warum ist die Gewalt gegenüber Frauen überproportional hoch? Meinungsumfragen bringen das Denken zum Vorschein: 42 Prozent der unter 45-jährigen ÖsterreicherInnen sehen eine arbeitende Mutter von kleinen Kindern kritisch. Zum Vergleich: Norwegen steht bei elf Prozent.

Die österreichische Soziologin der Uni Wien Laura Wiesböck beschäftigt sich mit Geschlechterungleichheit. Sie schreibt in einem Kommentar im Standard:

"Dass Frauen in Österreich in vielen Bereichen benachteiligt sind, ist unbestritten: Sie verdienen weniger und sind häufiger von Armut betroffen als Männer, sie leisten mehr häusliche Sorge- und Pflegearbeit, sie sind privat und beruflich von Männergewalt betroffen und stoßen auf gläserne Decken in Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Liste lässt sich fortsetzen." Laura Wiesböck

Oft herrsche das Bild vor, dass Frauen selbst daran schuld seien. "Folgt man dem aktuellen politischen Diskurs, so scheinen Frauen für ihre benachteiligte gesellschaftliche Stellung selbst verantwortlich zu sein. Weniger Gehalt? Ihr müsst härter verhandeln! Opfer von Gewalt? Ihr müsst besser auf euch aufpassen!"

"Männliche Herrschaft ist nicht überwunden"

Das Patriarchat sei weder ein Randphänomen noch durch Zuwanderung "importiert". "Unsere Gesellschaft ist patriarchal strukturiert, männliche Herrschaft ist nicht überwunden." Damit einhergehend ist auch das Thema Gewalt. In einer Rede vor dem Gleichstellungsausschuss im Nationalrat am 12. März 2019 erklärt sie:

"Gewalttaten passieren de facto nicht meist im Schutz der Dunkelheit, wie es (der damalige, Anm. durch die Redaktion) FPÖ-Klubchef Gudenus formuliert, sondern im Schutz der vertrauten Beziehung. Die Gefahr, als Frau verprügelt, vergewaltigt oder ermordet zu werden, lauert nicht überwiegend in den dunklen Ecken von Parks, sondern sitzt mit Anspruchsberechtigung in ihrem eigenen Wohnzimmer." Laura Wiesböck

Zum vorherrschenden Männlichkeitsbild gehört ein Anspruchsdenken

Männer hätten laut Wiesböck ein Anspruchsdenken auf Grund des vorherrschenden Männlichkeitsbildes. Dazu zählen "Dinge wie finanzieller Erfolg, Zugang zu Macht oder Frauen".

"Ist man in diesem Bereich nicht "erfolgreich", kann es zu schweren Kränkungen kommen. Und ohne andere Umgangsformen gelernt zu haben, um derlei Kränkung auszudrücken, greifen einige Männer auf unterschiedliche Formen von Gewalt zurück. Es geht also um eine Anspruchsberechtigung, die Männer auf Frauen zu haben glauben, auf Flirten, auf Beziehung, auf Sexualität. Daraus wird das Recht abgeleitet, diesen Anspruch auch mit Gewalt wieder herzustellen, sobald er gefährdet ist." Laura Wiesböck

Werbung vermittelt falsches Bild

Das gleiche Prinzip stelle sie in der Werbung fest: "Die Frau als sexuell verfügbares Objekt, das man mit dem Kauf einer bestimmten Biersorte oder einem Parfum automatisch dazu bekommt. Bilder wie diese schaffen ein Klima, in dem Frauen als Dinge gesehen werden. und einen Menschen als ein Ding zu betrachten, ist fast immer der erste Schritt dafür, Gewalt zu rechtfertigen."

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Der Index zur Gleichstellung der Geschlechter ist ein Instrument zur Messung des Fortschritts der Gleichstellung der Geschlechter in der EU

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Österreich schneidet unterdurchschnittlich im europäischen Vergleich ab.

Appelle allein reichen nicht: Vorbeugen kostet Geld

Andrea Brem vom "Verein Wiener Frauenhäusern" war selbst lange Jahre Sozialarbeiterin, bevor sie Geschäftsführerin wurde: "Unsere Arbeit ist Krisenarbeit. Frauenhäuser sind Hochsicherheitstrakte. Nicht immer ist ein Frauenhaus der erste Weg. Wenn man selbst von Gewalt betroffen ist und sich nur einmal informieren will, kann man sich an eine spezialisierte Beratungsstelle wenden, dort kann man sich auch anonym beraten lassen."

Sie fordert für die Zukunft langfristig eine verpflichtende Täterarbeit auf der einen und auf der anderen Seite mehr Prävention, gerade bei jungen Leuten.

"Gewalt gegen Frauen kann präventiv verhindert werden"

Auch Haider von der Uni Wien fordert Schritte: "Die gewonnen Ergebnisse aus der Wissenschaft sollten auf Polizeiarbeit und Politik Einfluss nehmen, weil es enormes Potential bietet, damit Gewalt gegen Frauen präventiv verhindert werden kann und ein besseres Verständnis bei der Polizei zu bekommen."

Trotz wissenschaftlicher Forschung, jahrzehntelanger Erfahrung durch Frauenhäuser und soziologischen Einschätzungen, werden diese Vorschläge nicht umgesetzt. Im Gegenteil: Gelder werden gekürzt. Für Wiesböck fatal.

Finanzielle Mittel werden gekürzt

Die Mittel der Familienberatung wurden im Millionenbereich gekürzt, das BNI stoppte das Projekt "Gewaltschutz". Die Regierung strich eine Million Euro bei Beratungsstellen, obwohl 2018 allein 8.581 Anrufe bei der Frauenhelpline eingingen – 81 Prozent davon waren Frauen und Mädchen. Auch wird an den regelmäßigen Hochrisiko-Schulungen oder an Workshops gespart, die von Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern abgehalten werden, um die Polizistinnen und Polizisten zu sensibilisieren. Diese finanzieren jetzt quasi die NGOs, wie Frau Brem von den Frauenhäusern erzählt:

"Die NGOs machen jetzt die Schulungen für die Polizei halt kostenlos. Dies ist notwendig, damit wir weiterhin in der Praxis mit der Polizei gut zusammenarbeiten können. Wenn ein Gewalttäter von der Polizei weggewiesen wird, melden sich die Gewaltschutzzentren proaktiv am nächsten Tag beim Opfer, um dieses zu unterstützen." Andrea Brem

Forderungen nach Aufstockung des Budgets

Jetzt fordert "Allianz GewaltFREI leben", ein Zusammenschluss von 40 Opferschutzeinrichtungen, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Gewaltschutzexpertinnen und Gewaltschutzexperten, eine Aufstockung des Gewaltschutz-Budgets auf 210 Millionen Euro im Jahr. Derzeit sind es 12,5 Millionen: ein Defizit von 197,5 Millionen Euro. Koordinatorin der "Allianz GewaltFREI leben" Sophie Hansal begründet die hohe Summe mit den volkswirtschaftlichen Folgekosten von jährlich 3,7 Milliarden Euro, die durch Gewalt an Frauen verursacht werden, sprich im Gesundheitswesen, bei Polizei und Gerichten und für betroffene Frauen.

"Mit 210 Millionen Euro mehr für Gewaltschutz und Prävention ließe sich nicht nur ein Teil dieser Kosten, sondern auch Leid von Frauen vermindern", sagt Hansal. Und: "Das sollte es uns wert sein." Sophie Hansal

Deshalb veröffentlichten auch der Verein "Autonome Österreichische Frauenhäuser" gemeinsam mit der "Türkischen Kulturgemeinde in Österreich" einen offenen Brief am 4. März an die Regierungsmitglieder und Justizministerin Alma Zadic, um mehr Budget, lückenlose Ermittlungen und bestmöglichsten Schutz für Frauen zu fordern.

Frauenministerin will mehr Polizistinnen

Frauenministerin Susanne Raab meint in einem Interview, dass sie sich dafür stark gemacht habe, das Frauenbudget zu erhöhen: "Das Frauenbudget wird um 2 Millionen Euro erhöht, zusätzlich werden wir über den Integrationsfonds 2 Millionen Euro in den Gewaltschutz bei kulturell bedingter Gewalt investieren." Auch Frauen sollen vermehrt Polizistinnen werden, "dass jede von Gewalt bedrohte Frau auch einen Zufluchtsort hat, weil Frauen in diesem sensiblen Bereich auch Frauen als Ansprechpartner brauchen."

Aus Wiesböcks Sicht sähe man aber Werte an Handlungen: "Werte manifestieren sich dadurch, was man macht, nicht dadurch, was man von sich behauptet. Die Einsparungen bei von Gewalt betroffenen Frauen im Millionenbereich zeigen allerdings deutlich, dass deren Schutz und körperliche Unversehrtheit keine Anliegen sind."

Betroffene müssen ein Leben lang mit den Folgen klar kommen

Bernadette, Sarah, Maria und Karin: Die von Gewalt betroffenen Frauen müssen mit den Folgen ein Leben lang leben. Sie werden unterschiedlich damit fertig: Religion, Kinder oder Arbeit. Das gibt ihnen einen gewissen Halt und die Möglichkeit, nicht als Opfer wahrgenommen zu werden. Karin Pfolz will Mut machen. Sie schreibt Bücher, um das Erlebte zu verarbeiten. Ihr Appell: "Eine Frau, die sowas mitgemacht hat, hat so viel Kraft – eine innere Kraft. Egal ob ein Picknick, Reden oder ein gutes Buch – all das kann helfen." Sarah weigert sich, in Angst zu leben: "Niemand kann in andere Menschen reinschauen. Frauen sollen auf ihr Bauchgefühl hören." Trotz der gemachten Erfahrung, sei es trotzdem möglich, sich zu öffnen für wunderbare Beziehungen.

Auch Bernadette – mittlerweile fertige Elementarpädagogin – möchte andere Frauen ermutigen: “Es gibt einen Weg aus der Gewalt in die Freiheit. Der Fokus soll nur in Richtung eines geheilten, freien und frohen Herzens liegen.“

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