Innerhalb weniger Tage sterben drei Frauen, eine in Oberrimbach, eine Obergünzburg, wenige Tage später eine weitere in Nürnberg. Getötet - mutmaßlich - durch ihre (ehemaligen) Partner. Wenn Männer Frauen töten, dann verwenden KriminologInnen und AnalystInnen den Begriff "Femizid".
- Dieser Artikel stammt aus 2020. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier
Was ist ein Femizid?
Dieser Begriff umfasst die "vorsätzliche Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist", wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer international gängigen Definition festhält. (Quelle) Waren Täter und Opfer zuvor in einer Beziehung oder sind es zum Tatzeitpunkt, dann spricht die WHO von "intimate femicide", auf Deutsch in etwa: Femizid unter Vertrauten.
Laut einer Studie der WHO aus dem Jahr 2013 (Quelle: Lancet) sind weltweit über ein Drittel aller Morde an Frauen "intimate femicides". Die Studie zeigt, dass im Gegensatz dazu rund fünf Prozent aller Morde an Männern durch die (Ex-)PartnerInnen begangen werden.
Wie viele Femizide gibt es laut Statistik in Deutschland?
2011 verpflichteten sich Mitgliedsstaaten des Europarates in der sogenannten "Istanbul Konvention", verstärkt gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen. Die Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der in Istanbul unterzeichnet wurde und dessen juristischer Titel "Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" lautet. In der Konvention ist unter anderem festgelegt, dass die Vertragspartner in "regelmäßigen Abständen einschlägige, genau aufgeschlüsselte statistische Daten über Fälle von allen in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt zu sammeln". (Quelle: Originaler Vertragstext)
Das heißt: Fälle von Gewalt gegen Frauen müssen möglichst genau zusammengetragen und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Die Konvention trat 2014 in Kraft. Ab 2015 veröffentlicht das Bundeskriminalamt (BKA) Zahlen zu Tötungen, in denen (Ex)-Partner als Tatverdächtige geführt werden - für das aktuelle Berichtsjahr 2018 (Quelle: BKA) sind darin 122 Tötungen an Frauen aufgeführt (147 im Jahr 2017). Die Tötungen umfassen die Straftaten Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge. Durchschnittlich stirbt in Deutschland also alle drei Tage eine Frau durch ihren (Ex-)Partner. Zusätzlich verzeichnet das BKA 206 Tötungsversuche im Jahr 2018. Die Zahlen für 2019 sind noch nicht veröffentlicht.
Wie viele Femizide gibt es in Bayern?
In Bayern gibt es keine vergleichbaren Zahlen. Zwar gibt das bayerische LKA eine eigene Kriminalstatistik (Quelle: LKA Bayern) heraus, diese enthält jedoch weder die Kategorie “Partnerschaftsgewalt” oder noch die Kategorie “Femizid”. Das LKA in Bayern erfasst die Tatverdächtigen in fünf Kategorien und unterscheidet dabei, wie eng das Verhältnis von Opfern zu den Tatverdächtigen war. So umfasst die erste Kategorie Ehe und Familie, Kategorie zwei beschreibt sogenannten “informelle soziale Beziehungen” - dazu zählen laut LKA auch (Ex-)PartnerInnen. Die anderen Kategorien umfassen lose Bekanntschaften, Fälle, in denen keine sozialen Beziehungen bestand und ungeklärte Fälle.
In Bayern starben laut LKA im Jahr 2019 insgesamt 29 Frauen durch Mord, Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge. Von diesen 29 Frauen gelten in 22 Fällen Personen aus den Kategorien 1 und 2 als tatverdächtig. Sprich: Es waren (Ex-)Partner oder Familienangehörige, die im Verdacht standen, eine Frau getötet zu haben. Neben den Partnerschaftskonstellationen sind jedoch auch Familienkonstellationen (Vater-Tochter, Sohn-Mutter, Bruder-Schwester) in dieser Statistik aufgeführt. Eine eigene Zahl an “intimate femicides” gibt es für Bayern also nicht.
Bei den 122 deutschlandweit getöteten Frauen geht aus den Zahlen des BKA hervor, dass 72 Prozent aller Tatverdächtigen für das Jahr 2018 eine deutsche Staatsbürgerschaft haben, entsprechend haben 28 Prozent der Tatverdächtigen keine deutsche Staatsangehörigkeit. Der Anteil an Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit liegt in Deutschland bei rund 13 Prozent.
Traditionelle Rollenbilder, patriarchisches Weltbild
Die Kriminalpsychologin Gunda Wößner vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg betont, dass die Zahlen der Polizeistatistik keine Aussagen über bestimmte Referenzgruppen zuließen. Auf Basis ihrer Forschungsarbeit berichtet Wößner, dass Maskulinität, also ein extremes Männlichkeitsbild, eine Gemeinsamkeit aller Täter sei - traditionelle Rollenbilder spielten dabei eine Rolle. Dies finde sich sowohl bei Deutschen wie auch in anderen Kulturkreisen.
Tötet ein Mann seine (Ex-)Partnerin, so Wößner, spielen häufig auch weitere Faktoren Rolle:
"Das Risiko steigt, wenn der persönliche Druck wächst. Also wenn beispielsweise Männer, die in klassischen Geschlechterrollen aufgewachsen sind, ihren Beruf verlieren oder generell in schwierigen sozialen Lagen leben, die die männliche Dominanz gefährdet. Weitere Faktoren können Hoffnungslosigkeit, genereller Stress, fehlende soziale Kontakte oder eine angespannte Wohnsituation sein." Gunda Wößner, Kriminalpsycholigin am Max-Planck Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg
Entsprechend sieht Wößner ein gesamtgesellschaftliches Problem, mit einer Häufung in Gruppen, die traditionelle Geschlechterverhältnisse und patriarchale Vorstellungen vertreten.
Zugleich sind die Zahlen von Femiziden in den vergangenen Jahren konstant - konstant hoch, wie Wößner sagt. Die Bundesregierung geht davon aus, dass "Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf historischer und struktureller Ungleichheit von Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern basiert". (Quelle: Antwort auf kleine Anfrage, Frage 5)
Fazit:
Der Begriff Femizid ist international definiert als die “vorsätzliche Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist”. Die Gewalt gegen Frauen geht dabei auffällig häufig von den (Ex-)Partnern der Opfer aus. Für Bayern gibt es keine eindeutigen Zahlen zu dem Thema.
Für KriminologInnen spielen Faktoren wie Maskulinität, Geschlechterrollen und soziale Umstände eine wichtigere Rolle in der Erklärung von Taten als die Staatsangehörigkeit.
In den letzten Wochen hat der BR auch über die gesellschaftlichen Hintergründe von Gewalt gegen Frauen berichtet. Dazu gehört die Podcast-Serie "Der Mörder meiner Cousine", sowie Dok-Thema, B5-Reportage und Zündfunk Generator.
"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!