Einige Esoteriker verbreiten Falschinformationen zu Corona
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Einige Esoteriker verbreiten Falschinformationen zu Corona

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Irrglaube: Wie Esoteriker Falschinformationen verbreiten

Irrglaube: Wie Esoteriker Falschinformationen verbreiten

Verschwörungstheorien und teils gefährliche, falsche Behauptungen zum Thema Corona kursieren, seit die Pandemie ausgebrochen ist. Auch Glaubensvertreter mischen bei ihrer Verbreitung mit. In Teil 2 der Reihe "Glauben und Corona: Esoteriker.

Eigentlich hätte das Coronavirus schon am 5. April 2020 besiegt sein sollen – wenn es nach Vertretern der Esoterikerszene gegangen wäre. Für diesen Tag riefen sie zum weltweiten, transzendentalen Meditationsevent zur "endgültigen Auslöschung des Coronavirus" auf, auch die Gesundheitssprecherin der Grazer FPÖ teilte den Aufruf. Eine Millionen Menschen hätten teilnehmen müssen für den angeblichen "antiviralen Effekt". Medizinisch ist das Unsinn.

"Es ist die Stunde der Verschwörungstheoretiker"

Die Corona-Krise schafft für alle Glaubensrichtungen und Weltanschauungen einen Deutungsdruck. Wie christliche Glaubensgemeinschaften damit umgehen, untersuchten wir im ersten Teil unserer Serie "Glauben und Corona".

Auch esoterische Perspektiven lieferten ihre Deutungsangebote zur Pandemie – und verbreiten teilweise Falschinformationen. Zwar kann man diese in ihrer Bedeutung nicht auf eine Stufe mit denen der verfassten Kirchen stellen, aber dennoch gewinnen sie derzeit an Relevanz und Aufmerksamkeit, so Matthias Pöhlmann, dem Beauftragten für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern: "Es ist derzeit mehr die Stunde der Verschwörungstheoretiker, der Einzelgänger und individualisierten Formen von Glauben als von etablierten Kirchengemeinschaften", sagt er.

Esoterik als Krisensymptom

Die moderne Esoterik sei in unserer Gesellschaft ein "Alltagsphänomen", so Pöhlmann. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich 20 bis 25 Milliarden Euro in Deutschland damit umgesetzt werden. Zugleich sieht Pöhlmann sie als Krisensymptom: Seit Jahren beobachtet er mehrere Wellen der Esoterik, in ihrer Rhetorik jeweils angepasst an aktuelle Geschehnisse. Nach einer "Krise der Ernährung", einer "Krise der Medizin" und einer "Krise der Pädagogik" sei nun das politische Feld in den Fokus von Esoterikern geraten.

Corona als Karma

Individuelle Akteure der Esoteriker-Szene bieten oft vermeintliche Lösungen, um mit der Pandemie umzugehen. So erzählen sie, man erkranke nur, wenn der "Gesamtorganismus" das auch wolle, etwa wegen einer "karmischen Schuld". Dabei berufen sie sich entweder auf angeblich höheres, nicht nachprüfbares Wissen – zum Beispiel Informationen von "Engeln" – oder auf klar verschwörungsideologische Quellen.

"Dass unser Leid selbstverschuldet ist, weil man beispielsweise keine höhere Schwingungsfrequenz hat, ist eine typisch esoterische Krankheitsdeutung", sagt Religionswissenschaftler Andreas Grünschloß, der sich ausführlich mit dem religiösen und esoterischen Umgang mit der Corona-Pandemie beschäftigt. Gefährlich ist es, wenn Anhänger glauben, kein Mensch müsse sich mit dem Coronavirus anstecken, weil man das durch seine eigenen Schwingungen steuern könne – wer "vergeistlicht" genug sei, dem könne das Virus nichts anhaben. Das kann unter anderem zu unvorsichtigem Verhalten führen, wenn man sich aus dieser Überzeugung heraus beispielsweise nicht mehr an Hygienevorschriften hält.

Magische Zahl soll vor Corona schützen

Manche der Tipps gehen sogar auf einen verurteilten Betrüger zurück, so wie eine bestimmte Zahlenfolge, die derzeit besonders oft in den Telegram- und YouTube-Channels von EsoterikerInnen auftaucht. Die sogenannte "magische Zahl" soll vor dem Coronavirus schützen. Die wissenschaftlich nicht haltbare Behauptung des "Heilens mit Zahlen" berufe sich auf einen "ganz schlichten magischen Mechanismus", für den nicht einmal Argumente oder Erklärungen geliefert würden, sagt Grünschloß.

Die Zahlenreihen stammen von Grigori Grabowoi, einen angeblichen "Geistheiler". Grabowoi ist ein mehrfach wegen Betrugs verurteilter Anführer einer religiösen Bewegung. Unter anderem versprach er Eltern, ihre verstorbenen Kinder wieder auferstehen zu lassen und ließ sich dafür mit bis zu 1.300 Euro bezahlen. Grabowoi beruft sich auf "Schwingungsmedizin" und "Quantenphysik" – ein beliebtes Allheilmittel von Esoterikern, die in der Regel Wissenschaft skeptisch gegenüberstehen. Unter Physikern ruft es großes Unverständnis hervor, wie Esoteriker Quantenphysik für ihre Zwecke missbrauchen wollen. Wissenschaftlich betrachtet können Zahlenkombinationen weder Atemwegserkrankungen noch andere Leiden heilen.

Esoterik und rechte Verschwörungstheoretiker

Besondere Sorge bereitet Experten aber, wie sich esoterisches, antidemokratisches und antisemitisches Gedankengut sowie Verschwörungsmythen zunehmend mischen. Manche EsoterikerInnen nehmen die Verschwörungserzählungen rund um 5G oder eine angebliche Zwangsimpfung auf, andere vermuten eine angebliche "neue Weltordnung" hinter der Krise (siehe dazu Teil 1 der Reihe).

Die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Esoterikern, Verschwörungsideologen bis hin in die Reichsbürgerszene sei ein Phänomen, das schon vor Corona feststellbar war, sagt Pöhlmann. "Doch die Krisenzeit hat das nochmals verstärkt." Krisenzeiten seien Hochphasen für Verschwörungstheoretiker und neue Propheten. Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren oder hilflos zu sein, begünstige solche Vorstellungen. Was die Anhänger verschiedener Vorstellungen eint, ist das "Misstrauen und der Generalverdacht gegenüber größeren Institutionen" und die Überzeugung, dass man die Feinde identifiziert habe, so Pöhlmann. "Wir müssen aufpassen, was sich da zusammenbraut." Er beobachtet in der Szene ein enormes Frust- und Wutpotenzial.

Auch Grünschloß beobachtet Allianzen von Gruppen und Netzwerken, die bisher nichts miteinander zu tun hatten. In diesem neuen Pool seien nicht alle "rechtsaffin", aber das gemeinsame Unbehagen in der Gesellschaft könne offenbar sehr unterschiedliche Personenkreise gegen einen gemeinsamen Feind - nämlich Politik und Medien - vereinen.

Esoterik und die völkische Bewegung

Die Verbindung aus Esoterik und brauner Philosophie hat eine lange Geschichte: Schon im frühen 20. Jahrhundert prägten esoterische und okkultistische Vorstellungen die völkische Bewegung in Deutschland und stützten rassistische Ideen. In den 1990ern wurde die Verbindung wiederbelebt: Esoterische Symbole und Theorien verbreiteten sich verstärkt in der rechtsextremen Szene. Und nun erlebt sie womöglich einen erneuten Hype.

Die rechtsesoterische Szene ist stark vernetzt

Grünschloß beobachtet, dass die rechten Esoteriker sich netzwerkartiger organisieren als früher. Die Szene sei "sehr referentiell", sagt Pöhlmann: Sie verweisen sehr viel aufeinander und erschaffen sich so Diskursmacht und hausgemachte angebliche Beweise, abgekoppelt vom Rest der Öffentlichkeit.

Zur rechtsesoterischen Szene zählen zum Beispiel Robert Stein mit seinem Kanal NuoViso.TV, Jo Conrad mit Bewusst.TV sowie Heiko Schrang, der sich als Buddhist und "spirituellen Navigator" bezeichnet – und in seinen YouTube-Videos Verschwörungsideologen wie Attila Hildmann und den Identitären Martin Sellner als Gäste einlädt. Sie verbreiten in der Corona-Krise Falschinformationen und die Verschwörungstheorie der "Neuen Weltordnung". Schrang äußert sich immer wieder antisemitisch und ruft zum Widerstand gegen die "Diktatur" auf, in der er sich wähnt. Er betreibe rechte Propaganda getarnt als Esoterik, sagen Experten. Schrangs YouTube-Kanal hat mehr als 150.000 Abonnenten, NuoViso mehr als 200.000.

Offener Antisemitismus

Ihre Sprachrohre sind auch weitere Kanäle, auf denen sie als Gäste auftreten, zum Beispiel Klagemauer TV von Sektengründer Ivo Sasek, der auch schon Holocaust-Leugner und den extrem rechten Publizisten Jürgen Elsässer zu Treffen einlud – und eben auch Schrang.

Wie häufig Antisemitismus unter Rechtsesoterikern vorkommt, zeigt sich an vielen Stellen: Etwa, wenn es auf esoterischen Blogs heißt, die Masken seien wie ein "umgedrehter Judenstern". Man werde "bloßgestellt", wenn man keine trüge. Diese Aussage verharmlost offen die NS-Verbrechen an den Juden. Und die antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion", die nachweislich eine Fälschung sind, haben laut Pöhlmann eine "große Wirkung" in der rechten Esoterik: "Das wird in dieser Szene als historische Quelle behandelt."

Verfassungsschutz bezeichnet Esoteriker als rechtsextremistisch

Besonders deutlich zeigt sich die Anschlussfähigkeit der esoterischen Szene zu verschiedenen Verschwörungserzählungen, die teilweise auf antidemokratischem, antisemitischem und rassistischem Gedankengut basieren, bei Erich Hambach. In der Corona-Krise rief er die Initiative "Nikolaikirche ist überall" ins Leben – und zog damit Unterzeichner an wie zum Beispiel Bodo Schiffmann, Mitgründer von "Widerstand 2020", und Sucharit Bhakdi, der zu Beginn der Corona-Krise einen umstrittenen Brief an die Kanzlerin veröffentlichte. Sie rufen darin auf, sich in den Kirchen zu versammeln, um ein "esoterisches Quantenfeld" zu erzeugen.

Die Nikolaikirche in Leipzig spielte eine große Rolle bei der friedlichen Revolution in der DDR 1989, die zum Ende des Staats führte. Diese Kirche als Symbol zu verwenden, legt nahe, dass die Verfasser hier Parallelen ziehen wollen. "Aufgrund der Gleichsetzung der damaligen historischen Situation mit der Gegenwart wird der irreführende Eindruck erweckt, wir lebten derzeit in einer Diktatur", schreiben Pöhlmann und sein Kollege Bernd Dürholt in einer Einordnung.

Initiator Hambach verfasste auch ein Buch mit dem Titel "Bargeld Ade", in dem er den Autor Jan van Helsing mit einer Verschwörungserzählung um die Illuminaten zitiert. Der deutsche Verfassungsschutz bezeichnete van Helsing, der bürgerlich Jan Udo Holey heißt, im Zusammenhang mit antisemitischen Äußerungen als rechtsextremistischen Esoteriker. Hambach dankte in seinem Buch auch David Icke, einem bekannten Vertreter des Reptiloiden-Verschwörungsmythos. Zur Vereinssatzung eines von Hambach gegründeten "Kulturfördervereins", sagt Pöhlmann: "Sie ist anschlussfähig an alle möglichen Theorien, sogar an die Reichsbürgerinitiative."

FAZIT

In der Esoterikerszene kursieren zahlreiche Falschinformationen zur Corona-Pandemie. Manche raten zu unwissenschaftlichen und sehr fragwürdigen Heilmitteln wie einer "magischen Zahl" oder Amuletten und propagieren, dass Massenmeditationen einen "antiviralen Effekt" auslösen könnten. Als besonders gefährlich stufen Experten diejenigen ein, die unter dem Deckmantel der Esoterik rechtes Gedankengut verbreiten. Die Szene ist in Deutschland eng vernetzt. Laut Experten wurden die Grenzen zwischen Esoterikern, Verschwörungstheoretikern bis hin in die Reichsbürgerszene in der aktuellen Krisenzeit noch durchlässiger.

Im ersten Teil zeigen wir, wie auch Kirchenvertreter in der Corona-Krise Falschinformationen verbreiten.

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