Kriminalität bewegt die Gemüter, und mit Zahlen werden sie nicht immer beruhigt. Haben die Asylsuchenden, die seit 2015 nach Bayern kamen, das Land unsicherer gemacht? Das ist eine Behauptung, die häufig im Netz auftaucht. Zuwanderer seien überdurchschnittlich kriminell. Oft heißt es auch, implizit oder explizit, die Flüchtlinge begingen überdurchschnittlich häufig Sexualstraftaten.
Wir prüfen (die statistischen Tabellen gibt es hier), welche Aussagen man über die Kriminalität von Zuwanderern in Bayern treffen kann - und warum die Statistiken nur einen Teil der Wirklichkeit darstellen.
- Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2018. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier
Grundsätzlich ist festzuhalten: Im vergangenen Jahr pendelte sich die Kriminalität in Bayern mit 629 512 registrierten Straftaten wieder auf einem Stand ein wie vor der Flüchtlingswelle 2015 - obwohl noch viele Zuwanderer hier leben.
Die Frage jedoch, ob Flüchtlinge und Asylbewerber krimineller sind als Deutsche, lässt sich nur annähernd beantworten. Dafür sind mehrere Faktoren wichtig.
Ein Grund für relativ hohe Kriminalitätsbelastung der Zuwanderer liegt darin, dass sie männlicher und jünger sind als die Wohnbevölkerung, schreibt das LKA. Das führt auch zu einer unterschiedlichen Kriminalität in der Gruppe. Im Jahr 2017 waren laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 60,5 Prozent der Menschen, die Asylerstanträge stellten, männlich. Von allen Antragstellenden waren drei Viertel jünger als 30 Jahre. In der Wohnbevölkerung sind 49,3 Prozent Männer - und es sind nur knapp ein Drittel (30,4 Prozent) jünger als 30.
"Die Männer zwischen 14 und 30 sind in jedem Volk die gefährlichste Gruppe", sagte Kriminologe Pfeiffer.
Wie sieht denn dann die Kriminalität der deutschen Tatverdächtigen zwischen 14 und 29 aus im Vergleich zu den tatverdächtigen Zuwanderern in diesem Alter?
Die öffentlich verfügbare Polizeiliche Kriminalstatistik Bayern schlüsselt die Zuwanderer nicht nach Altersgruppen auf, doch das LKA wertete seine Daten aus 2017 extra für BR24 entsprechend aus.
Vergleich der Altersgruppen
Von allen des Mordes Verdächtigen im vergangenen Jahr waren 12,2 Prozent (18 von 148) deutsche Männer zwischen 14 und 29 - und 12,8 Prozent Zuwanderer derselben Altersgruppe (19 von 148).
Bei der gefährlichen und schweren Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen waren 31,6 Prozent (2002 von 6338) der Verdächtigen deutsche Männer im Alter von 14 bis 29 Jahren - und 13,6 Prozent Männer dieser Altersgruppe (862), die auch Zuwanderer waren.
Von allen Menschen in Bayern, die einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verdächtigt wurden, waren 25,2 Prozent deutsche Männer zwischen 14 und 29 Jahren (1372 von 5435). Und 11,2 Prozent (606) Zuwanderer derselben Altersspanne (bei diesen Zahlen ist zu beachten, dass die Gesetzesänderung die Fallzahlen insgesamt nach oben trieb).
Nein, Kriminalität in Bayern explodiert nicht durch Flüchtlinge
Bei Mord sind deutsche junge Männer und junge Zuwanderer also fast gleich häufig tatverdächtig - obwohl diese einen deutlich geringeren Anteil an der Bevölkerung ausmachen. Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und bei der schweren und gefährlichen Körperverletzung auf Straßen, Wegen und Plätzen dagegen sind junge männliche Zuwanderer seltener tatverdächtig als Deutsche.
Unklarer Anteil an der Gesamtbevölkerung
Um aber wirklich mit Zahlen belastbar sagen zu können, ob Asylbewerber oder Flüchtlinge krimineller sind als Deutsche, müsste man die Tatverdächtigen-Zahlen in Beziehung setzen zu den jeweiligen Bevölkerungsanteilen. Doch dieser Referenzwert fehlt, sowohl für die Nichtdeutschen als auch für die Zuwanderer, das betonen das Bundeskriminalamt und das bayerische LKA.
Die Statistiken zur Wohnbevölkerung und die der Polizeibehörden können nicht miteinander in Beziehung gesetzt werden. "Daher lassen sich auch hier keine belastbaren Aussagen zur Kriminalitätsbelastung der Gruppe der Zuwanderer treffen, insbesondere nicht im Verhältnis zur Kriminalitätsbelastung der deutschen Wohnbevölkerung", erklärt das BKA gegenüber BR24.
Was jedoch möglich ist: Aussagen über Trends - wenn schon nicht über konkrete Zahlen - beim Vergleich der Kriminalitäts- und Bevölkerungsdaten.
Zwar machten vor zwei Jahren die Schutzsuchenden in Bayern dem Statistischen Bundesamt zufolge nur 1,5 Prozent der Bevölkerung aus. Doch der Anteil der Zuwanderer ist gestiegen. Es lebten damit 2016 mehr als doppelt so viele von ihnen im Freistaat als noch 2014, nämlich 193 565. Zahlen aus dem vergangenen Jahr liegen noch nicht vor. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab es allerdings im vergangenen Jahr noch einmal 24 243 Asylerstanträge.
Jedoch erklärt der Anstieg der Zuwanderer in der Bevölkerung den Anstieg der Tatverdächtigen unter ihnen nicht völlig. Weitere Ursachen liegen im Kulturellen und Sozialen.
Weitere Gründe für höhere Kriminalitätsraten unter Zuwanderern
Ein Grund für den Anstieg der Sexualdelikte liege in der "Machokultur" vieler jener Männer, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen, sagte Pfeiffer. Aber das sei eben nicht der einzige Grund. "Darüber hinaus gibt es auch verschiedene Bedingungen, die das Risiko, polizeiauffällig zu werden, für Nichtdeutsche erhöhen", erklärt etwa das Bundeskriminalamt. Das Leben in Unterkünften, nicht arbeiten zu dürfen, Leben getrennt von Familien.
In Bayern wurden 2017 die meisten der Straftaten, deren Zuwanderer verdächtigt wurden, in Asylbewerberunterkünften begangen (8727 Fälle, mehr als ein Fünftel aller Straftaten, bei denen Zuwanderer verdächtig waren). Zudem werden auch Zuwanderer Opfer. Als Opfer registrierte die bayerische Polizei 11266 Zuwanderer, und in 7574 Fällen handelte es sich um Kriminalität von Zuwanderern untereinander.
Kriminologe Pfeiffer geht allerdings davon aus, dass sich bald positive Effekte zeigen, wenn diese Faktoren schwächer werden. "Wir haben nicht mehr die Situation, dass Todfeinde in den Unterkünften Matratze an Matratze leben müssen", sagt er. Die Zahl der anerkannten Asylbewerber, die arbeiten, wachse. Und der Anteil der Frauen nehme zu (2017 waren es knapp 40 Prozent). "Frauen sind weniger kriminell, und sie befrieden die Männer", so Pfeiffer.
Grundsätzliche Probleme mit der Polizeistatistik
Der Blick auf die Details ist wichtig. Doch selbst dabei sind alle Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik mit Vorsicht zu genießen.
Denn bei all den Daten zur Kriminalität von Deutschen und Zuwanderern, die in den Statistiken und der Forschung zu finden sind, bleibt noch ein grundlegendes Problem der Methodik.
Aussagen über Kriminalität und ihre Entwicklung in Deutschland stehen daher unter Vorbehalten - aus folgenden Gründen:
Die Polizeistatistik weiß nicht alles
Gleich mehrere Institutionen erstellen Statistiken – die allerdings nicht oder nur mit Abstrichen miteinander ins Verhältnis gesetzt werden können. In die Polizeiliche Kriminalstatistik geht ein Fall dann ein, wenn die Polizei fertig ermittelt hat: ihn also eingestellt hat oder an die Staatsanwaltschaft abgibt. Sie zählt also Tatverdächtige – nicht Verurteilte. Es kann also sein, dass jemand als Tatverdächtiger des Mordes in der PKS steht, das Gericht später aber entscheidet, dass es sich um Totschlag handelte oder der Verdächtige freigesprochen werden muss. Oder dass im Gerichtsverfahren sogar jemand anderes (eventuell mit einer anderen Nationalität) als Täter identifiziert wird.
Dunkelfeld
Es gibt ein Dunkelfeld: Das sind die Straftaten, die nicht amtlich registriert sind. Das Dunkelfeld schätzen verschiedene Interessengruppen unterschiedlich ein. Um ein verlässlicheres Bild der Kriminalität in Deutschland zu zeichnen, dürfe man sich nicht allein auf die PKS verlassen, sagte etwa Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, der "Zeit". Es müssten auch Statistiken zur Strafverfolgung, zu Rückfallstatistiken und zu Dunkelfeldbefragungen ausgewertet werden. "Wenn man sich diese Arbeit macht, sieht man: Wir haben noch nie so friedlich gelebt wie heute." Gewalt nehme seit Jahrhunderten und Jahrzehnten ab. "Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch mal in einzelnen Statistiken oder Deliktbereichen eine Gegenbewegung gibt.
Wann werden Straftaten gezählt?
Auch die Jahreszahlen der PKS sind problematisch. Denn es kommt vor, dass die Polizei in einem Jahr einen Fall an die Staatsanwaltschaft abgibt, die Taten sich aber über mehrere Jahre ansammelten. Sie werden dann aber alle in dem einen Jahr gezählt. Ein Beispiel sind die Morde, die der Krankenpfleger Niels H. beging. Sie führen in der Statistik im Jahr 2016 zu einem Anstieg der Zahlen, der Mann soll die Taten allerdings vor 2005 begangen haben. Das BKA verweist darauf im Kleingedruckten und nennt 87 Fälle. Wegen sechs Fällen verurteilte ihn ein Gericht bereits zu lebenslanger Haft, eine neue Anklage wirft ihm 96 weitere Morde vor.
Geschichten hinter den Zahlen
Es gibt bisweilen andere Gründe für den zahlenmäßigen Anstieg einer Straftat in der Statistik als einen tatsächlichen Anstieg: etwa eine Veränderung der Gesetze oder ein verändertes Bewusstsein der Bevölkerung. Wie eben die StGB-Novellierung im Sexualstrafrecht.