Es war Ende August 2017 im Dom zu Mainz, als Karl Kardinal Lehmann seinen Nachfolger zum neuen Mainzer Bischof salbte. Die Worte, die Lehmann dabei an Peter Kohlgraf richtete, summierten sein Amtsverständnis:
"Das Bischofsamt ist nicht zur persönlichen Ehre gegeben, sondern es ist eine Aufgabe. Und der Bischof ist nicht da zu herrschen, sondern zu dienen." Kardinal Karl Lehmann
"State in fide" - "Steht fest im Glauben"
"State in fide" - "Steht fest im Glauben" - so lautete sein bischöflicher Wahlspruch. Ein Leitwort, das Lehmanns ganz eigene Mischung aus Beharrlichkeit und Loyalität bestens unterstrich. Geboren wurde Karl Lehmann in Sigmaringen, ausgebildet an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom; er promovierte in Philosophie, wurde Professor der Theologie in Mainz und Freiburg.
Doch sein prägendes Erlebnis, erzählte er, sei das Zweite Vatikanische Konzil gewesen, mit dem sich die katholische Kirche der Welt öffnete. Es sollte sein Lebensthema bleiben. Denn während schon bald nach diesem Jahrhundertereignis die Reformgegner zum Angriff bliesen, war Lehmann derjenige, der Kontakt zu den Menschen suchte, dem es wichtig war, aktuellen gesellschaftlichen Fragen nachzugehen.
Vom Lehrstuhl auf den Bischofsstuhl
Mit einem großen Fest verabschiedete sich Lehmann 1983 von seinen Studenten - mit 47 Jahren wurde er Bischof von Mainz. In seinem Ernennungsschreiben war die Rede von hervorragender Frömmigkeit und von einer für die Leitung einer Diözese überaus nützlichen Klugheit. Grundlage seiner Jahre im Bischofsamt: Althergebrachtes und Zeitgeist austarieren, Traditionelle und Progressive zusammenhalten.
Ein Intellektueller zum Anfassen
Dabei wurde Lehmann nicht nur von den Gläubigen wegen seiner Volksnähe geschätzt. Der populäre Gottesmann war ein Menschenfreund. Wer ihn kannte, der kannte auch sein ansteckendes, knarziges Lachen. Lehmanns Blick war nie auf die Dogmen seiner Konfession beschränkt..
Trotz seiner Rolle als klerikaler Denker kannte er weder geistige noch soziale oder kulturelle Berührungsängste. Lehmann bewegte sich auf jedem Parkett: in Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Kurie, im Stadion als Fußballfan, in Talkshows und im Mainzer Karneval.
Oberhirte aller deutschen Katholiken
Als sich im Herbst 1987 alle Bischöfe zu ihrer Vollversammlung in Fulda trafen, stand auf der Agenda die Wahl eines neuen Vorsitzenden. Der Münchener Kardinal Wetter galt als gesetzt. Doch zur allgemeinen Überraschung wählten die Bischöfe einen ihrer Jüngsten: den Mainzer Bischof Karl Lehmann. Er prägte das Amt als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz gut 20 Jahre lang.
Auf vielen Ebenen setzte sich Lehmann mit kritischem Geist für eine stärkere Diskussion zwischen Kirche und Gesellschaft ein. Zu politischen und sozialen Problemen seiner Zeit nahm er mindestens so pointiert Stellung wie zu Kirchenfragen.
Zelebrieren statt diskutieren - das war Lehmanns Sache nicht. Dreimal wurde er als Vorsitzender bestätigt. Auch 2005 noch einmal, als er längst aus dem konservativen Umfeld seines Antipoden, des Kölner Kardinals Meisner, heftig für seinen liberalen Zeitgeist kritisiert wurde.
Größte Niederlage
Es war Mitte der 1990er-Jahre, als die Bundesregierung den Paragrafen 218 neu fasste. Nun war bei vorheriger Beratung Abtreibung straffrei. Ein Dilemma für katholische Beratungsstellen. Die Bischofskonferenz entschied, in der staatlichen Beratung zu bleiben. Nur so konnte sie weiterhin Frauen in Konfliktsituationen erreichen. Dafür nahmen die Bischöfe den Beratungsschein in Kauf, der eine Abtreibung ermöglichte. Doch Rom war strikt gegen diesen Kurs.
Vier Jahre lang bot Lehmann Papst Johannes Paul II. die Stirn, versuchte zu vermitteln zwischen deutscher Politik und vatikanischer Moral. Weil der Papst allerdings am Ausstieg festhielt, hätte weiterer Widerstand für Lehmann wohl den Rückzug vom Bischofsamt bedeutet. "Wir haben so lange gekämpft. Wir haben verloren", konstatierte er enttäuscht und sagte in seiner schwärzesten Stunde:
"Jetzt müssen wir aber in die Zukunft hin das Beste machen, sonst hängt man immer an den alten Auseinandersetzungen, die nichts mehr bringen." Kardinal Karl Lehmann
Ein anderer hätte auf eine solche Niederlage wohl mit Verbitterung, Resignation oder Zynismus reagiert. Lehmann dagegen gründete im Januar 2001 in seinem Bistum das "Netzwerk Leben" für Frauen in Notsituationen.
"Es ist gut, beharrlich zu bleiben"
Lehmanns Hartnäckigkeit ließ ihn wie einen Sisyphos unter den deutschen Bischöfen erscheinen. Er plädierte - vergeblich - für einen anderen Umgang mit Geschiedenen, die wieder geheiratet hatten. Er setzte sich immer wieder für die Weiterentwicklung der Ökumene ein. Vielen ging er auch da zu weit. Doch Anfeindungen begegnete er immer mit respektvoller Freundlichkeit.
Späte Ernennung zum Kardinal
Lange schien die Beziehung zwischen dem Papst in Rom und dem Bischof in Mainz distanziert. Immer wieder war Lehmann für die Kardinalswürde im Gespräch, immer wieder wurde er übergangen. Doch als 2001 Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz 44 neue Kardinäle ernannte, war darunter auch Karl Lehmann. Die Verleihung der Kardinalswürde deutete Lehmann für sich dennoch als Auszeichnung.
Rückzug von allen Ämtern
Gesundheitlich gezeichnet und erschöpft legte Karl Kardinal Lehmann 2008 sein Amt als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz nieder. Mehr als zwei Jahrzehnte lang hatte er mit seiner Suche nach dem Verbindenden ihren Stil geprägt. Auch danach blieb er eine wichtige, eine glaubwürdige Stimme. So war es Lehmann, der 2010, als die katholische Kirche wegen der Missbrauchsfälle in eine prekäre Phase geriet, schnell gegen das falsche Beschützen der Täter aufrief.
Mit einem großen Festgottesdienst zu seinem 80. Geburtstag verabschiedete sich Lehmann im Mai 2016 von allen seinen Ämtern in den Ruhestand - nach 33 Jahren als Bischof von Mainz. Unter Papst Franziskus zeichnen sich nun Entwicklungen ab, für die sich auch Lehmann unermüdlich eingesetzt hat.
Lehmann starb am Sonntagmorgen im Alter von 81 Jahren in seinem Haus in Mainz, wie das Bistum mitteilte. Er hatte im Herbst vergangenen Jahres einen Schlaganfall erlitten. Mit seinem Tod verlieren die Gläubigen einen Sympathieträger ihrer Kirche. Einen, der genug gekämpft hat.
Von Vera Schmidberger, SWR /tagesschau.de