Die russische Journalistin Marina Owsjannikowa, die mit einem Anti-Kriegs-Plakat im Staatsfernsehen gegen die Militäroffensive in der Ukraine protestierte, ist nur einen Tag nach der Aktion verurteilt worden. Ein Gericht in Moskau verhängte eine Geldstrafe von 30.000 Rubel (226 Euro). Die Frau kam vorerst wieder auf freien Fuß.
Nach Angaben ihres Anwalts Daniil Berman droht Owsjannikowa aber weiterhin eine Anklage auf Grundlage des neuen Mediengesetzes, das bis zu 15 Jahre Haft für "Falschnachrichten" über das russische Militär vorsieht. Unter anderem wird die Bezeichnung des Einsatzes in der Ukraine als "Krieg" unter Strafe gestellt. Russlands Regierung nennt das Vorgehen im Nachbarland eine "militärische Spezialoperation".
"Ich erkenne meine Schuld nicht an"
Die Angeklagte bekannte sich im Prozess nicht schuldig. "Ich erkenne meine Schuld nicht an", sagte Owsjannikowa im Gerichtssaal, wie eine Journalistin der Nachrichtenagentur AFP berichtete. "Ich bin überzeugt, dass Russland ein Verbrechen begeht", sagte sie weiter. Russland sei "der Aggressor in der Ukraine", fügte sie hinzu.
Bei der Anhörung ging es in erster Linie um eine vorab aufgezeichnete Videobotschaft, in der Owsjannikowa ihre Beweggründe für die Protestaktion darlegte und zu Demonstrationen gegen die russische Militäroffensive aufrief. Die Mutter zweier Kinder sagte in einer kurzen Erklärung nach dem Urteil, sie habe fast zwei Tage nicht geschlafen. Sie sei 14 Stunden verhört worden. "Ich durfte nicht mit meinen Angehörigen sprechen und hatte keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand, weshalb ich mich in einer sehr schwierigen Lage befand."
"Hier werdet ihr belogen"
Die Journalistin war am Montagabend während der Live-Übertragung der Nachrichtensendung "Wremja" hinter der Moderatorin ins Bild gesprungen und hatte ein Schild hochgehalten mit den Worten "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen". Dazu rief sie mehrmals laut: "Nein zum Krieg!" Der Sender schaltete nach wenigen Sekunden zu einem Videobeitrag.
Owsjannikowas Aktion löste weltweit eine Welle der Anerkennung aus. Der Mitschnitt der Szene, in der sie mit einem handgeschriebenen Plakat hinter der Nachrichtensprecherin auftaucht, wurde vielfach unter anderem bei Twitter geteilt. "Was Mut wirklich bedeutet", schrieb etwa Pianist Igor Levit dazu.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich bei ihr. Er lobte Russen, "die versuchen, die Wahrheit zu sagen".
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Owsjannikowa bereut Propaganda für Kreml
Marina Owsjannikowa wurde 1978 als Tochter einer Russin und eines Ukrainers geboren und arbeitete als Fernsehredakteurin des Staatssenders. In einem zuvor aufgezeichneten Video, das von der Menschenrechtsgruppe OVD-Info veröffentlicht wurde, verwies die Journalistin auf ihre Familiengeschichte und erklärte, sie ertrage es nicht, die beiden Länder verfeindet zu sehen. Auch sie, so Owsjannikowa, habe in den vergangenen Jahren für Perwy Kanal (Kanal Eins) gearbeitet und Propaganda für den Kreml gemacht. Jedoch: "Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen."
Verantwortlich für die Aggression sei nur Russlands Präsident Wladimir Putin. "Es liegt an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden." Die Behörden könnten nicht alle einsperren.
Kreml spricht von "Rowdytum"
Die Protestaktion gilt in dem fast militärisch geregelten Sendebetrieb des Staatsfernsehens mit kremltreuen und sehr gut bezahlten Propagandisten als beispielloser Vorgang. Kremlsprecher Dmitri Peskow bezeichnete den Vorfall als "Rowdytum", die Senderleitung müsse sich darum kümmern. Er lobte den Sender Kanal Eins für sein qualitativ hochwertiges, objektives und aktuelles Programm.
"Wremja" ist die wichtigste Nachrichtensendung des Landes und wird seit Jahrzehnten um 21.00 Uhr ausgestrahlt. Perwy Kanal kündigte eine interne Untersuchung an.
Macron will konsularischen Schutz anbieten
Das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen rief Russland zur Achtung der Bürgerechte der Demonstrantin auf. Die Frau dürfe keine Repressalien erleiden dafür, dass sie von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht habe, sagte die Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros, Ravina Shamdasani, in Genf.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will der russischen Journalistin konsularischen Schutz bieten. "Wir leiten diplomatische Maßnahmen ein, damit sie unter den Schutz der (französischen) Botschaft gestellt wird", sagte Macron beim Besuch einer Aufnahmestelle für ukrainische Flüchtlinge. Darüber wolle er auch "sehr direkt" bei seinem nächsten Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sprechen. "Frankreich verurteilt jede Inhaftierung von Journalisten", sagte Macron.
"Wow, das Mädchen ist cool"
Der inhaftierte Kreml-Kritiker Alexej Nawalny, der zuletzt wiederholt zu Protesten gegen den Krieg aufgerufen hatte, begrüßte die Protestaktion. Seine Sprecherin Kira Jarmisch schrieb auf Twitter: "Wow, das Mädchen ist cool." Jarmisch lud das Video hoch, das sich in kürzester Zeit mehr als 2,6 Millionen Menschen ansahen. Nawalnys Team kündigte an, die TV-Redakteurin zu unterstützen.
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