Nach dem Angriff von Hamas-Terroristen auf Israel herrscht wieder Krieg im Nahen Osten, zum ersten Mal seit dem Jom-Kippur-Krieg vor fünfzig Jahren hat Israel den Kriegszustand ausgerufen. Es ist die neueste Eskalation in einem Konflikt mit sehr langer Geschichte. Er ist auch deshalb sehr komplex, weil viel mehr Akteure als nur Israelis und Palästinenser daran beteiligt waren.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Geschichte, Beteiligten, Gebieten und Lösungsideen.
Wo liegen die Wurzeln des Nahostkonflikts?
Kern des Nahostkonflikts ist der Streit zwischen Juden und Palästinensern um das Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer – historisch als Palästina bekannt. Es umfasst heute Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete (Westjordanland, Ost-Jerusalem und Gazastreifen).
Bei dem Konflikt vermischen sich territoriale Ansprüche mit religiösen und politischen, teilweise auch mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Ein Blick in die Geschichte.
Grafik: Die Geschichte der israelisch-palästinensischen Dauerkrise
Der folgende Zeitstrahl beschränkt sich auf zentrale historische Ereignisse des israelisch-palästinensischen Konflikts. Wählen Sie einen Punkt aus, um Informationen zum entsprechenden Ereignis zu erhalten.
Im Verlauf der Dauerkrise hat sich auch immer wieder geändert, wer welche Gebiete kontrolliert - unter anderem mit dem Palästinakrieg, dem Sechstagekrieg und dem Oslo-Abkommen. In folgenden Karten bekommen Sie eine Übersicht, was sich seit dem Teilungsplan der Vereinten Nationen 1947 getan hat:
Was ist der Gazastreifen?
Der Gazastreifen ist ein Gebiet am östlichen Mittelmeer zwischen Israel und Ägypten, das zu den palästinensischen Autonomiegebieten gehört. 2023 leben hier auf engstem Raum über zwei Millionen Menschen. Seit 2007 beherrscht die islamistische Terror-Organisation Hamas den Gazastreifen. Die Außengrenzen werden jedoch von Israel und Ägypten kontrolliert. Israel kann auch Lieferungen von Wasser, Strom, Benzin sowie Lebensmitteln und medizinischen Produkten in den Gazastreifen unterbrechen, wie im Oktober 2023 nach den Angriffen der Hamas auf Israel geschehen. Ende Oktober startete Israel eine Bodenoffensive im Norden des Gazastreifens.
Wer ist die Hamas?
Seit 2007 herrscht im Gazastreifen de facto die islamistische Palästinenserorganisation Hamas, gegründet 1987. Der Name steht für "Bewegung des islamischen Widerstands", bedeutet auf Arabisch aber auch "Glaubenseifer" oder "Kampfgeist". Die Hamas ging aus dem palästinensischen Zweig der fundamentalistischen ägyptischen Muslimbruderschaft hervor. Die Hamas steht in Opposition zu der kompromissbereiteren Fatah-Partei, die im Westjordanland regiert.
Die Hamas setzt auf den bewaffneten Kampf, erkennt das Existenzrecht Israels nicht an und hat die Vernichtung des jüdischen Staates durch einen Heiligen Krieg (Djihad) als Ziel ausgegeben. Der Iran und andere Staaten des Nahen Ostens unterstützen die Hamas, um, nach Ansicht von Experten, damit eigene Interessen in der Region voranzutreiben.
Die EU, die USA und Israel stufen die Hamas als Terrororganisation ein. Ihren Rückhalt in Teilen der palästinensischen Bevölkerung verdankt die Hamas nicht zuletzt ihrem sozialen Engagement: Sie unterstützt Arme und betreibt karitative und Bildungseinrichtungen.
Wichtigster finanzieller Unterstützer der Hamas ist das Golfemirat Katar. Wie groß die finanzielle Bedeutung Katars ist, lässt sich daran ermessen, dass - wie die Zeitung "The Jewish Chronicle" berichtete - eine Verzögerung der monatlichen Zahlung im Juli 2023 dazu geführt haben soll, dass palästinensische Behörden im Gaza-Streifen ihren Mitarbeitern kein Gehalt auszahlen konnten.
Während Katar seine Schecks offiziell für zivile Zwecke auszahlt, liefert der Iran als erklärter Todfeind Israels nach Einschätzung westlicher Nachrichtendienste neben finanzieller Hilfe auch Rüstungsgüter und militärisches Know-How.
- Zum Artikel: Angriff auf Israel - Wer ist die Hamas und was will sie?
Welche Rolle spielt der Islamische Dschihad im Gazastreifen?
Der Islamische Dschihad ist die zweitgrößte bewaffnete Gruppe im Gazastreifen nach der Hamas, die dort regiert. Aktuelle Zahlen zur Stärke des Islamischen Dschihad sind schwer zu erheben, laut dem World Factbook der CIA geht man im Jahr 2022 von etwa 1.000 Mitgliedern in Gaza und dem Westjordanland aus. Dazu kommen Waffen und Munition. Israel macht grundsätzlich die Hamas verantwortlich für jegliche Aggression und Angriffe aus Gaza, auch wenn diese vom Dschihad oder anderen, noch kleineren Fraktionen kommen.
Sowohl Hamas als auch der Islamische Dschihad haben die Zerstörung Israels zum Ziel, ihre Methoden unterscheiden sich jedoch. Beide Gruppierungen haben ihren ideologischen Ursprung in der Muslimbruderschaft, die Weltanschauung des Islamischen Dschihads ist geprägt von den so genannten Iranischen Revolutionsgarden. der Islamische Dschihad wird auch heute hauptsächlich vom Iran finanziert.
Im Gegensatz zur Hamas hat der Islamische Dschihad nicht an palästinensischen Parlamentswahlen teilgenommen und scheint keine Ambitionen zu haben, eine Regierung im Gazastreifen oder im Westjordanland bilden zu wollen. Ebenfalls im Unterschied zur Hamas hat der Islamische Dschihad keinen politischen Flügel. Er konzentriert sich in erster Linie auf militärische Angriffe gegen Israel.
Was ist das Westjordanland?
Das Westjordanland ist von Israel besetzt und in sogenannte A-,B- und C-Gebiete unterteilt. Die palästinensischen Ballungsräume und Dörfer (A- und B-Gebiete) stehen unter der Verwaltung, der von der Fatah-Partei dominierten, Autonomiebehörde des palästinensischen Präsidenten Abbas. Die von Israel verwalteten C-Gebiete umfassen vor allem die jüdischen Siedlungen und das Jordantal. Die Hamas will auch im Westjordanland an Einfluss gewinnen. Großer Streitpunkt im Westjordanland ist die israelische Siedlungspolitik.
Welche Rolle spielt der jüdische Siedlungsbau?
Ein wesentlicher Streitpunkt zwischen Israel und Palästinensern ist immer wieder der jüdische Siedlungsbau. Nach der Eroberung des Westjordanlands und Ostjerusalems begann Israel mit der systematischen Besiedlung des Gebiets. Im Westjordanland lebt neben etwa drei Millionen Palästinensern inzwischen auch etwa eine halbe Million Israelis in rund 200 Siedlungen, zusammen mit Ostjerusalem sind es sogar 700.000 Siedlerinnen und Siedler.
Die Siedlungen werden vom israelischem Militär bewacht. Immer wieder kommt es zu Konflikten im Westjordanland zwischen Siedlern und Palästinensern. Der Großteil der Weltgemeinschaft stuft diese Siedlungen als illegal ein. Laut Internationalem Gerichtshof wurden sie unter Verstoß gegen das Völkerrecht errichtet, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verurteilte wiederholt den Bau und die Ausweitung der Siedlungen.
Im Gazastreifen gibt es keine jüdischen Siedlungen mehr, diese wurden 2005 aufgelöst und etwa 9.000 Menschen umgesiedelt.
Was ist der Staat Palästina?
Palästina wird als Staat international mehrheitlich anerkannt, nicht aber von Israel, den USA, Deutschland, Österreich, der Schweiz sowie weiteren westlichen Staaten. 2012 stimmten 138 der 193 Uno-Staaten dafür, dass Palästina den Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen erhält. Neun stimmten dagegen. 41 enthielten sich, darunter Deutschland.
Ausgerufen wurde der Staat Palästina 1988 von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Sie beansprucht das Westjordanland, den Gazastreifen sowie Ost-Jerusalem als Gebiet Palästinas. 2007 folgt auf den palästinensischen Bürgerkrieg die Aufteilung der palästinensischen Gebiete: Die Hamas kontrolliert seitdem den Gazastreifen, während die Autonomiegebiete im Westjordanland in den Händen der Fatah bleiben.
Die Fatah ist die größte Fraktion der PLO. Zentrale Figur ist seit fast 20 Jahren Mahmud Abbas: Er ist Vorsitzender der Fatah sowie der PLO, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde und Präsident von Palästina. In der Vergangenheit wurde Abbas immer wieder für antisemitische Aussagen kritisiert. Nach den Terror-Angriffen der Hamas auf Israel im Oktober 2023 distanzierte er sich spät von der Hamas. Deren Politik und Aktionen "repräsentieren nicht das palästinensische Volk", sagte Abbas laut der amtlichen palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa.
Welche Rolle spielt der Iran?
Der Iran erkennt Israel nicht als eigenen Staat an und droht dem Land immer wieder mit Vernichtung. Er liefert laut Einschätzung westlicher Nachrichtendienste mehreren Terrororganisationen wie Hamas in Gaza und Hisbollah im Libanon finanzielle Hilfe und Rüstungsgüter. Experten gehen davon aus, dass viele der zuletzt abgefeuerten Raketen unter iranischer Anleitung im Gazastreifen hergestellt wurden.
Welche Rolle spielt Ägypten?
Ägypten grenzt an Israel und den Gazastreifen. Der Übergang nach Gaza ist derzeit geschlossen. Ägypten war der erste arabische Staat, der Israel 1979 mit einem Friedensvertrag offiziell anerkannte, und war in der Vergangenheit vermittelnder Partner bei Verhandlungen zwischen Israel und Palästinensern.
Welche Rolle spielt Jordanien?
Das Verhältnis zwischen Israel und Jordanien ist nicht spannungsfrei – auch wenn beide Staaten 1994, nach 46 Jahren Kriegszustand, einen Friedensvertrag unterzeichnet haben. Doch 40 bis 60 Prozent der Bevölkerung Jordaniens sind Palästinenser, die als Flüchtlinge ins Land kamen und dort seit mehreren Generationen leben.
Welche Rolle spielt die Hisbollah?
Die Hisbollah (auf Deutsch "Partei Gottes") besteht aus einer Partei und einer Miliz im Libanon, die militant-islamistisch sind. Sie gilt als weitaus mächtiger als die Hamas. Ihr Einfluss reicht tief in den von Krisen gelähmten libanesischen Staat hinein. Die Organisation kontrolliert vor allem den Süden des Libanon an der Grenze zu Israel.
Deutschland, USA und weitere Staaten stufen die gesamte Hisbollah als Terrororganisation ein, die EU nur den militärischen Teil. Nach den Terrorangriffen auf Israel vom 7. Oktober 2023 bekundete die Hisbollah ihre Solidarität mit der Hamas. Anders als die Hamas ist die Hisbollah nicht sunnitisch, sondern schiitisch. Sie wird vorrangig vom Iran finanziert.
Welche Rolle spielt Syrien?
Größter Streitpunkt zwischen Israel und Syrien sind die Golanhöhen. Sie gehören völkerrechtlich zu Syrien, wurden aber von Israel 1967 im Sechstagekrieg besetzt und 1981 annektiert. Syrien unterstützt aktuell die Hamas. Aus Syrien wurden zuletzt auch Raketen auf Israel abgefeuert – von wem genau, ist noch unklar. Israel hat wiederum zuletzt Flughäfen in Syrien angegriffen und fliegt schon seit Jahren Angriffe auf Ziele in dem Nachbarland, um den Einfluss des Iran und mit ihm verbündeter Kräfte in Syrien einzudämmen.
Welche Lösungsansätze gab es in der Vergangenheit?
Frieden in der Region ist auch deshalb schwierig, weil sich Israelis und Palästinenser bisher auf keine Lösung einigen konnten, wie das Land künftig aufgeteilt werden soll. Folgende Ideen gab es in den letzten Jahrzehnten:
Einstaatenlösung:
Die Idee ist, einen einheitlichen Staat aus Israel sowie den Gebieten Westjordanland und Gazastreifen zu bilden. Staatsform wäre eine Demokratie, in der Juden und Araber gleichberechtigt wären.
Problem: Hierfür gibt es wenige Befürworter unter Israelis und Palästinensern. Besonders unter Fundamentalisten beider Seiten wird das Konzept abgelehnt, da sie jeweils das ganze Gebiet für sich beanspruchen, ohne eine Gleichberechtigung der beiden Gruppen. Falls ein solcher Staat gegründet würde und alle Einwohner gleichberechtigt wären, wäre das aufgrund der Bevölkerungsmehrheit dann kein jüdischer Staat mehr.
Zweistaatenlösung:
Es soll zwei Staaten geben, einen jüdischen und einen arabischen Staat, die jeweils das Existenzrecht des anderen anerkennen. International wird diese Idee häufig befürwortet.
Das ursprüngliche Konzept der Zweistaatenlösung entspricht dem UN-Teilungsplan von 1947. Laut dem wäre der arabische Staat wesentlich größer gewesen als der heutige Gazastreifen und das Westjordanland. Damals lehnte die muslimische Bevölkerung den Plan ab.
Problem seitdem ist, dass sich Israelis und Palästinenser bisher noch auf keinen einheitlichen Grenzverlauf einigen konnten. Das Oslo-Abkommen sah einen palästinensischen Staat in den Grenzen des Westjordanlandes und des Gazastreifens vor. Durch den fortgesetzten israelischen Siedlungsbau halten Beobachter eine solche Staatsgründung aber mittlerweile für nicht mehr umsetzbar.
Dreistaatenlösung:
Es gibt zwei Ideen für eine Dreistaatenlösung. Bei der ersten Variante gäbe es keinen eigenen palästinensischen Staat. Der Gazastreifen würde Ägypten zugerechnet, Westjordanland und Ost-Jerusalem Jordanien. Beide Länder äußerten aber immer wieder Protest gegen die Idee.
Nach dem zweiten selten vertretenen Ansatz gäbe es neben Israel zwei eigenständige palästinensische Staaten: Westjordanland und Gazastreifen, voneinander unabhängig.
Eine Dreistaatenlösung hat nur wenige Fürsprecher, wurde aber in der ersten Variante doch immer wieder von einzelnen Historikern und Politikern eingebracht.
Dieser Artikel ist erstmals am 18. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.
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