Ein Ermittler untersucht das Boeing-Flugzeug, aus dem während des Flugs ein Teil herausgebrochen war.
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Ein Ermittler untersucht das Boeing-Flugzeug, aus dem während des Flugs ein Teil herausgebrochen war.

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Nach Horrorflug: Airlines entdecken an weiteren Boeings Probleme

Nach Horrorflug: Airlines entdecken an weiteren Boeings Probleme

Airlines haben bei mehreren Boeing 737 Max 9 lose Teile entdeckt. Zuvor war während eines Fluges ein Flugzeugteil herausgebrochen, das Unglück endete glimpflich. Alaska Airlines gerät unter Erklärungsdruck, warum der Flieger starten durfte.

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Es muss ein traumatisches Erlebnis gewesen sein: ein lautes Geräusch, und plötzlich bricht ein Teil der Wand aus dem Flugzeug. "In dem Moment fühlte sich so an, als würden Luft, Partikel oder Feuchtigkeit ins Flugzeug strömen - vom hinteren zum vorderen Teil des Flugzeugs. Anschließend wurde alles wieder aus dem Flugzeug gesaugt", berichtet eine Augenzeugin gegenüber CNN. Sie habe definitiv Todesangst gehabt. Ihrer Mutter schrieb sie die Nachricht: "Das Flugzeug ist explodiert und ich bin nicht sicher, was los ist, aber ich liebe dich."

Der Vorfall am vergangenen Freitag ging glimpflich aus. Nach dem Abriss eines Fensters konnte das Flugzeug notlanden, niemand wurde ernsthaft verletzt. Nun droht dem Hersteller Boeing neuer Ärger mit der 737 Max, wenn sich Hinweise verdichten sollten, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Denn zwei US-Airlines haben bei weiteren Maschinen Probleme gefunden: Alaska Airlines und United Airlines berichteten nach ersten Überprüfungen von losen Schrauben und Teilen. Wie viele Maschinen bisher betroffen sind, wurde zunächst nicht mitgeteilt.

Boeing 737 Max 9: Keine Flugzeuge in der EU betroffen

Die US-Luftfahrtaufsicht FAA hatte am Wochenende angeordnet, Flugzeuge des Typs am Boden zu lassen und zu inspizieren. Das betroffene Bauteil verschließt bei der Modellvariante eine nicht benötigte Türöffnung. Bei einem Flug von Alaska Airlines am Freitag riss das Teil plötzlich kurz nach dem Start im Steigflug heraus.

Nach Informationen der Website "The Air Current" wurden lose Schrauben und andere Probleme mit dem Bauteil bei mindestens fünf Maschinen von United Airlines gefunden. United hat 79 Flugzeuge des Typs, Alaska laut Medienberichten 65 - und weltweit sind es gut 170 Maschinen. In der Europäischen Union sind laut der hiesigen Behörde EASA keine Flugzeuge von Stilllegungen und Inspektionen betroffen. Denn offenbar hat keine Airline die betroffene Konfiguration in der Flotte. Die Lufthansa hatte im Dezember 2023 entschieden, 40 Boeing 737 Max zu bestellen, allerdings handelt es sich dabei um den Typ 737 Max 8.

Airlines: Erste Schritte der Inspektionen laufen

United und Alaska begannen noch nicht mit den von der FAA vorgeschriebenen offiziellen Inspektionen, weil dafür die nötigen Unterlagen formalisiert werden müssten. Die Airlines haben aber bereits damit begonnen, Sitzreihen zu entfernen und die Innenverkleidung abzunehmen, um an die Stelle am Flugzeugrumpf zu kommen. Einer Tür an dieser Stelle statt der Abdeckung ist bei Konfigurationen der 737 Max 9 mit mehr Sitzplätzen vorgesehen. Die kleinere Variante 737 Max 8 hat die Türöffnung nicht.

Dass die 171 Passagiere bei dem Alaska-Flug am Freitag weitgehend mit dem Schrecken davonkamen, ist Experten zufolge auch glücklichen Umständen zu verdanken: Niemand saß unmittelbar an dem herausgebrochenen Teil und alle Passagiere waren im Steigflug noch angeschnallt.

Smartphone übersteht Sturz aus dem Flugzeug

Sogar ein herausgefallenes iPhone hat den Zwischenfall nahezu unbeschadet überlebt: Nach dem Sturz aus 5.000 Metern Höhe wurde das Gerät mit halbvollem Akku und im Flugmodus gefunden. Er habe das Mobiltelefon "ziemlich sauber und ohne Kratzer im Gebüsch" entdeckt, schrieb ein Mann im nordwestlichen US-Bundesstaat Washington am Sonntag im Onlinedienst Tiktok. Das Telefon gehört vermutlich einem der Passagiere.

Das Mobiltelefon der Firma Apple war offenbar aus dem Flugzeug gesaugt worden, als kurz nach dem Start ein Teil der Kabinenwand herausflog. Ein Foto des Geräts, das der Finder im Onlinedienst X, vormals Twitter, veröffentlichte, zeigt den intakten Bildschirm und eine per E-Mail verschickte Gepäckquittung in Höhe von 70 Dollar. Abgesehen von der Anschlussstelle für das Ladekabel schien das Telefon unversehrt zu sein.

Der Mann aus Washington sagte, er habe nach dem Fund die Verkehrssicherheitsbehörde NTSB kontaktiert. Diese habe ihm mitgeteilt, dass es bereits das zweite Telefon aus der Maschine sei, das jemand gefunden habe. Behördenchefin Jennifer Homendy sagte bei einer Pressekonferenz, dass die NTSB die Telefone "durchsehen und sie dann zurückgeben wird". Es sei "ein großer Glücksfall", dass der technische Defekt, der zur Notlandung des Flugzeugs führte, "nicht in einer Tragödie geendet" habe.

Behörden kritisieren Alaska Airlines

Dennoch gerät Alaska Airlines nach dem Horrorflug unter Erklärungsdruck. Experten werfen angesichts der Entscheidung der Fluggesellschaft, die Boeing 737 Max 9 aufgrund von Warnungen eines Kabinendrucksystems nur noch über Land fliegen zu lassen, die Frage auf, ob das betroffene Flugzeug überhaupt einsatzfähig war. Steven Wallace, ein Berater für Flugsicherheit und ehemaliger Leiter von Unfalluntersuchungen der US-Luftfahrtbehörde FAA, verlangte Auskunft darüber, warum die Verantwortlichen Angst vor dem Einsatz des Flugzeugs über dem Meer gehabt hätten. "Das muss von Alaska Airlines beantwortet werden", so Wallace.

Flugzeug durfte nur noch über Land fliegen

Alan Diehl, ein ehemaliger Unfallermittler sowohl für die Verkehrssicherheitsbehörde NTSB als auch für die FAA, kritisierte, die Airline hätte das Flugzeug nicht einsetzen dürfen. Er sagte jedoch auch, dass die Entscheidung, das Flugzeug nicht mehr für Flüge nach Hawaii einzusetzen, möglicherweise eine Katastrophe verhindert habe.

Wäre der Stopfen auf halbem Weg nach Hawaii herausgebrochen, seien die Piloten gezwungen gewesen, so tief zu fliegen, dass die Passagiere ohne Sauerstoffmasken hätten atmen können - was mehr Treibstoff verbrannt hätte, so Diehl. Das klaffende Loch im Rumpf hätte zudem den Luftwiderstand erhöht. Dem Flugzeug wäre womöglich über dem Pazifik der Treibstoff ausgegangen. Wer auch immer die Entscheidung getroffen habe, die Maschine nicht mehr für Hawaii-Flüge einzusetzen, "hat wahrscheinlich viele Leben gerettet", so Diehl.

Mehrfach Warnleuchten wegen Kabinendruck

Das betroffene Flugzeug war bereits vor dem Zwischenfall vom Freitag von Alaska Airlines nicht mehr für Flüge nach Hawaii eingesetzt worden, weil auf drei vorangegangenen Flügen eine Warnleuchte auf ein mögliches Problem mit dem Kabinendruck hingewiesen hatte, wie die NTSB-Vorsitzende Jennifer Homendy erklärte. Die Warnleuchte habe möglicherweise nichts mit dem Vorfall vom Freitag zu tun. Alaska Airlines habe das Flugzeug von langen Flügen über Wasser ausgeschlossen, damit es im Notfall rasch zu einem Flughafen zurückkehren könne, sollte die Warnleuchte wieder ein Problem melden.

Andere Luftfahrt-Insider bezeichneten der Entscheidung der Fluggesellschaft, das Flugzeug nach den Druckwarnungen auf Flügen am 7. Dezember, 3. Januar und 4. Januar - dem Tag vor dem Zwischenfall - trotzdem starten zu lassen, als nicht ungewöhnlich. "Unabhängig davon, welche Wartungsarbeiten sie durchgeführt haben, haben sie entschieden, konservativ zu sein und das Ding nicht über Wasser zu lassen", sagte John Cox, ein ehemaliger Pilot der Fluggesellschaft und heutiger Sicherheitsberater. Die sporadischen Druckwarnungen - sie traten bei drei von 145 Flügen auf - hätten etwa auf einen defekten Sensor hinweisen können.

VIDEO: Boeing verliert Kabinenteil im Flug

Das Foto eines Passagiers zeigt das herausgerissene Fensterteil einer Boeing 737-9 Max.
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Das Foto eines Passagiers zeigt das herausgerissene Fensterteil einer Boeing 737-9 Max.

Problem-Flugzeug "Max" - zwei Abstürze 2018 und 2019

Bei Boeing folgt das Unglück auf eine Serie von Entwicklungs- und Produktionsfehlern. Immer wieder handelt es sich um die "Max" - die jüngste Auflage des Mittelstreckenjets 737, dessen Grundkonstruktion aus den 1960er-Jahren stammt. Vor rund fünf Jahren stürzten zwei "Max"-Maschinen ab, 346 Menschen starben. Behörden in aller Welt verhängten deshalb Flugverbote für den Typ: Ab März 2019 durfte die "Max" mehr als anderthalb Jahre lang nicht mehr abheben und wurde erst nach technischen Verbesserungen nach und nach wieder zugelassen. Den Hersteller kostete das Desaster Milliarden. Nach vier Verlustjahren in Folge zeichneten sich zuletzt auch für 2023 rote Zahlen ab.

Mit Informationen von dpa, AP und AFP

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