24.09.2023, Thüringen, Nordhausen: Oberbürgermeisterkanditat Jörg Prophet (AFD) beantwortet fragen von Journalisten.
Bildrechte: Foto: Matthias Bein/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

AfD-Kandidat Jörg Prophet unterliegt bei der Stichwahl zur Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Nach AfD-Schlappe bei OB-Wahl: Stoppt der Lauf der AfD?

Bei der Oberbürgermeisterwahl im thüringischen Nordhausen zeigt sich: Auch in Ostdeutschland hat der Erfolg der AfD Grenzen. Wieso haben die Rechtspopulisten dort die Wahl verloren - und ist das übertragbar? Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Im thüringischen Nordhausen hat der AfD-Kandidat die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters verloren. Möglicherweise geht davon ein wichtiges Signal aus: Auch in Ostdeutschland hat der Erfolg der AfD Grenzen. Ist das übertragbar?

Durchmarsch der AfD in Thüringen wurde gestoppt

Seit Monaten hat die AfD einen regelrechten Lauf: Sie surft auf einer hohen Umfragen-Welle. Stabil auf knapp über 20 Prozent im Bund: zum Beispiel bei "Infratest dimap". In Thüringen, Brandenburg und Sachsen, wo genau in einem Jahr Landtagswahlen stattfinden, käme sie gemäß Umfragen von Infratest in der Gunst der Wählerinnen und Wähler sogar auf über 30 Prozent. Sie wäre damit stärkste Kraft in diesen drei ostdeutschen Bundesländern.

In Thüringen kann die AfD bereits im Kreis Sonneberg politisch mitgestalten, denn dort stellt sie den ersten AfD-Landrat Deutschlands. Und in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt gibt es seit kurzem den ersten hauptamtlichen Bürgermeister mit AfD-Parteibuch.

Auch Jörg Prophet, der OB-Kandidat der AfD in Nordhausen, war als Favorit ins Rennen gegangen, hatte im ersten Wahlgang deutlich die Nase vorn. Außerdem war der amtierende, parteilose Oberbürgermeister, Kai Buchmann, mit einem Makel behaftet: Wegen Mobbing-Vorwürfen war er zwischendurch von seinem Amt suspendiert worden. Doch Buchmann gewann die Stichwahl am vergangenen Sonntag gegen den AfD-Kandidaten Prophet überraschend eindeutig mit 55 Prozent der Stimmen.

Drohender Image-Verlust könnte Grund für Schlappe bei OB-Wahl gewesen sein

Für die Entscheidung der Wahlberechtigten könnte auch das Wort von Jens-Christian Wagner Gewicht gehabt haben. Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie Professor für Geschichte an der Universität Jena hatte nach dem ersten Wahlgang indirekt vor einem gewaltigen Image-Verlust für die Stadt Nordhausen gewarnt.

Vor der Stichwahl hatte Wagner - unter anderem im Deutschlandfunk - immer wieder kompromisslos klar gemacht, dass er mit einem AfD-Oberbürgermeister von Nordhausen keine gemeinsamen Termine in den Gedenkstätten absolvieren werde, und dieser überhaupt auf dem Terrain der Stiftung unerwünscht sei. Dem "Stern" sagte Wagner kurz vor der Stichwahl: "Uns erreichen derzeit extrem besorgte Schreiben: Sollte in der Stadt ein Geschichtsrevisionist Oberbürgermeister sein, können sie nicht mehr nach Nordhausen kommen, um dort um ihre toten Angehörigen zu trauern."

"Die Leute haben selbst gegen die AfD mobilisiert"

Nordhausen hat eine Hochschule, gilt als Kultur- und Industrieanker für den Thüringer Norden, ist also auf ein gutes Image angewiesen. Vermutlich haben die Nordhäuser bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag die negativen Schlagzeilen für ihre Region mit bedacht.

Buchmann, der nun weiter Bürgermeister bleibt, sagte dem MDR, die Leute hätten sich "selbst mobilisiert". Ein Bürgerbündnis wurde gegründet, die Wahl am 10. September, bei der Prophet mehr als 42 Prozent der Stimmen erhielt, sei "wie ein Weckruf gewesen", sagt ein Mitglied.

"Einheitsfront" anderer Parteien hilft der AfD eher

Anders als in Sonneberg, wo sich der Kandidat der AfD als Landrat durchsetzte, gaben in Nordhausen die Kandidaten der anderen Parteien keine geschlossene Wahlempfehlung für den parteilosen Buchmann. In Sonneberg hatte es Unmut gegen eine solche "Einheitsfront" gegeben. Die Politik-Professorin von der Freien Universität Berlin, Sabine Kropp, erklärte bei "Bild" den Zusammenhang so: "Ein Zusammenschluss aller Parteien gegen die AfD, wie nun in Sonneberg gesehen, verstärkt als Kehrseite die Polarisierung und bedient das Narrativ der AfD vom Kartell der sogenannten Altpartien und verstärkt ein ´Wir gegen Die`."

AfD als möglicher Standortnachteil für Investoren und Touristen

Die AfD als Standortnachteil – dieses Argument könnte ebenfalls wirkungsmächtig sein. Besonders in Regionen, die auf Tourismus und Investoren angewiesen sind. Das lässt sich zum Beispiel in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden ablesen. Der Taiwanesische Chip-Hersteller TSMC ist nur das jüngste Beispiel in einer langen Reihe von ausländischen High-Tech Unternehmen, die in der Elb-Metropole angedockt haben. Hunderttausende internationale Gäste besuchen jährlich Museen, Schlösser und Semper Oper.

Immer wieder hatte deshalb auch die Wirtschaft appelliert, dass Rassismus und Abschottung diesen Erfolg gefährden könnten. So sagte Andreas von Bismarck, langjähriger Vorsitzender des Vereins "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen" bei einer Veranstaltung in Dresden vor der letzten Landtagswahl dem BR: "Man merkt durchaus, wenn man mit anderen Unternehmern spricht, dass da Sorgen da sind, was die Wahl anbelangt. Wir brauchen eine gewisse Weltoffenheit in Sachsen. Wir brauchen auch eine geregelte Zuwanderung. Dass wir uns Gedanken machen über den Ruf Sachsens, das merkt man schon bei einigen Unternehmern." Das richtete sich eindeutig gegen die AfD.

In der Stadt Dresden hat die AfD wenig zu melden

Frank Bösenberg, Geschäftsführer Branchenverbandes "Silicon Saxony" warnte vor wenigen Tagen im MDR, dass ein "schlechteres Image" bereits gewonnene Fachkräfte wieder abwandern lassen würde: "Wir suchen händeringend Fach- und Arbeitskräfte für nahezu alle Tätigkeiten."

Diese Botschaft scheint in der Landeshauptstadt bei den Wählerinnen und Wählern angekommen zu sein. Dresden wird von einem FDP-Oberbürgermeister regiert, die stärkste Fraktion im Stadtrat stellen die Grünen. Die AfD hat dagegen in der erfolgreichsten Wirtschafts- und Kulturmetropole Ostdeutschlands wenig zu melden. Möglicherweise könnte ein Image von Weltoffenheit für Investoren und Touristen auch bei der bevorstehenden bayerischen Landtagswahl ein Thema für Wählerinnen und Wähler sein.

Wie die Rechtspopulisten in Dänemark geschrumpft wurden

Auch in anderen Ländern kam der Lauf von Rechtspopulisten sogar auf Landesebene zu einem Stopp. Politologen blicken immer wieder nach Skandinavien, wenn es um das Thema Rechtspopulisten und den Umgang mit ihnen geht. Professor Philip Manow von der Universität Bremen, dessen Forschungsschwerpunkt Demokratie und Populismus ist, sagte dem BR, statt wie die Deutschen auf Parteiverbote zu schielen oder vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, "versuchen die Skandinavier damit stärker politisch umzugehen".

Entzauberung sei dort der Erfolgsfaktor geworden. Die mit der AfD vergleichbare Dänische Volkspartei hatte sich schon früher etabliert als die deutsche rechtspopulistische Partei. 2015 kam sie bei den Parlamentswahlen auf knapp über 21 Prozent der Stimmen. Sieben Jahre später kamen die dänischen Rechtspopulisten dagegen nur noch auf 2,6 Prozent.

Was war geschehen? Die regierenden Sozialdemokraten hatten den Rechtspopulisten das Thema Migration abgejagt und gleichzeitig Sozialausgaben enorm erhöht. Sie verstärkten zum Beispiel den sozialen Wohnungsbau, kürzten Geldleistungen für Geflüchtete, erschwerten den Familiennachzug, Abschiebungen erfolgen selbst nach Syrien.

Der Politologe der Universität Kopenhagen, Peter Nedergaard, interpretierte das bereits 2018 im "Journal für Internationale Politik und Gesellschaft" als eine Möglichkeit Wähler von Rechtspopulisten zurückzugewinnen: "In der Tat ist es ein Anzeichen einer beginnenden Revolte gegen den vorherrschenden liberalen einwanderungsfreundlichen Diskurs in vielen sozialdemokratischen Parteien Europas. Neu an dem Plan der Sozialdemokratischen Partei Dänemarks ist, dass sie eine politische Kehrtwende rechtfertigt, die in den Augen der Partei offenbar solide, schlüssig und mit den Wünschen der potenziellen Wählerschaft aus der Arbeiterschicht vereinbar ist."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!