Ein Mensch hält einen Joint in der Hand. Cannabis legalisieren: Ja oder Nein? Seit der Bundestagswahl wird über dieses Thema wieder vermehrt diskutiert.
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#Faktenfuchs: Nimmt Cannabis-Konsum nach einer Legalisierung zu?

#Faktenfuchs: Nimmt Cannabis-Konsum nach einer Legalisierung zu?

Die Ampel-Koalition will Cannabis legalisieren. Ein Argument der Gegner: Mit der Legalisierung steige die Zahl der Konsumenten. Stimmt das?

Preclaimer: Dieser Text erschien das erste Mal am 26. Oktober 2021. Zeitliche Bezüge können daher veraltet sein. Angesichts der anhaltenden Debatten um die Cannabis-Legalisierung haben wir uns dennoch entschieden, ihn nochmal zur Verfügung zu stellen.

Bilden SPD, Grüne und FDP die neue Bundesregierung, besteht die Chance, dass Cannabis legalisiert wird. Sowohl Grüne als auch FDP schreiben in ihren Wahlprogrammen, dass sie einen regulierten bzw. kontrollierten Verkauf von Cannabis in lizensierten Geschäften wollen. Befürworter einer Legalisierung hatten sich schon ein Signal in den Sondierungs-Papieren erhofft - doch dort wurde zur Drogenpolitik nichts erwähnt.

Diskussionen um Cannabis Legalisierung

Nun haben die Koalitionsverhandlungen begonnen und Befürworter und Gegner einer Legalisierung von Cannabis diskutieren weiter viel im Netz darüber: Die einen warnen davor, die anderen hoffen darauf. Die Befürchtung der Gegner: Durch eine Legalisierung könnte die Zahl der Konsumenten steigen und Jugendliche könnten zum Konsum animiert werden. Als Beleg dafür werden meist Zahlen aus anderen Ländern herangezogen, in denen der Cannabiskonsum bereits legalisiert wurde.

Viel diskutiert wurde zum Beispiel ein Kommentar der Augsburger Allgemeinen, in dem es heißt: “Überall, wo Cannabis legalisiert wurde, stieg der Konsum deutlich. Trotz Altersgrenzen leider auch bei Jugendlichen”.

In den Kommentaren widersprechen viele - es sei falsch bei einer Legalisierung von einem Konsumanstieg oder mehr Konsumenten auszugehen, auch bei Jugendlichen. Der Konsum sei in manchen Ländern sogar gesunken. Was stimmt?

Ländervergleich: Kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Konsum von Cannabis und Gesetzgebung

Bei einem ersten Überblick und Vergleich der Daten, die die UN zum Cannabis-Konsum gesammelt haben, ist nicht erkennbar, dass in Ländern, in denen es legal ist, mehr Menschen Cannabis konsumieren als dort, wo es illegal ist. Und zwar weder bei den Befragungen aller Altersgruppen noch speziell bei Jugendlichen. Allerdings stammen die Zahlen aus verschiedenen Jahren und Zeiträumen. Das macht sie nur bedingt vergleichbar - ein genauerer Blick ist nötig.

Mehrere Studien kommen zu dem Schluss: In einigen Ländern mit sehr strengen gesetzlichen Regelungen konsumieren im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung mit die meisten Menschen Cannabis und in manchen Ländern mit liberalen Gesetzen konsumieren im Vergleich sehr wenige Menschen Cannabis. Aber natürlich gibt es auch Länder mit liberalen Gesetzen und eher hohem Konsum sowie Länder mit strengen Regeln und eher niedrigem Konsum. Ein einheitliches Urteil lässt sich also nicht fällen.

Im Cannabis 2002 Report, der auf Initiative der Gesundheitsminister von Belgien, Frankreich, Deutschland, Niederlande und der Schweiz entstand, heißt es zum Vergleich der verfügbaren Studien: “Die meisten Studien zeigen, dass der Cannabiskonsum nicht durch entspannte Cannabisbesitz-Gesetze steigt”. Länder oder Gebiete mit liberaleren Gesetzen hätten nicht notwendigerweise höhere Verbreitungsraten von Cannabiskonsum, heißt es im Bericht.

Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht kam 2018 - einige Jahre später - in einem Bericht zur Cannabis-Gesetzgebung in Europa zu dem Schluss: “Es kann kein einfacher Zusammenhang zwischen Gesetzesänderungen und der Verbreitung von Cannabisnutzung gefunden werden.”

  • Warum ist eigentlich Alkohol legal - und Cannabis verboten? Damit hat sich "Possoch klärt" schon in diesem Video aus dem Jahr 2019 beschäftigt.

Wie aussagekräftig sind solche Daten?

Ob ein Auf oder Ab von Drogenkonsum direkt mit Gesetzesänderungen zusammenhängt, ist generell schwer nachweisbar. Erstens könne man nicht vergleichen, was ohne die Gesetzesänderungen passiert wäre, schreibt zum Beispiel die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. Außerdem könnten auch andere Faktoren zu einem Anstieg führen - zum Beispiel Epidemien einer bestimmten Droge oder Krisen im Land.

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags weisen auch darauf hin, dass die Bereitschaft anzugeben, dass man Drogen konsumiert, möglicherweise höher ist, wenn es sich um legale statt illegale Drogen handelt. Dadurch sei nicht auszuschließen, dass ein Anstieg der Konsumenten nach einer Legalisierung zum Teil auf ein verändertes Antwortverhalten der Befragten zurückzuführen sei.

Doch wie sieht es unabhängig von einem direkten Zusammenhang mit den Gesetzesänderungen aus? Wie hat sich der Cannabiskonsum in Ländern, die häufig als Beispiel der Befürworter und Gegner einer Legalisierung angeführt werden, seit der Gesetzesänderung laut Umfragen verändert? Und welche Rückschlüsse kann man daraus auf Deutschland ziehen?

Blick auf einzelne Länder: Viele Studien - kein einheitliches Bild

Wichtig zu wissen ist: Es gibt es zahlreiche Studien zur Legalisierung von Cannabis, die aber nicht immer aus unabhängigen Quellen stammen. Sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen für dieselben Länder - was zum Beispiel daran liegen kann, welche Erhebungen im Vergleich berücksichtigt wurden oder auf welche Werte sich die Studien konzentrieren: Ob jemand also jemals im Leben Cannabis probiert hat, ob er es im vergangenen Jahr oder im vergangenen Monat konsumiert hat.

Das bedeutet auch: Jeder kann sich die Studie oder den Wert herausgreifen, die oder der seine Position bestätigen. Ein Beispiel dafür: Portugal. Das Land hat eine sehr liberale Drogenpolitik, seit 2001 ist der private Besitz und Konsum von Drogen keine Straftat mehr, sondern eine Ordnungswidrigkeit - und das gilt nicht nur für Cannabis, sondern auch für Crystal Meth oder Heroin. Stattdessen setzt Portugal auf Prävention und Behandlung der Betroffenen.

Streitfall Portugal: Erst Anstieg, dann Abfall unter Jugendlichen

Die einen Experten nennen die Strategie einen “durchschlagenden Erfolg” und zitieren Zahlen von sinkendem Drogenkonsum, andere sagen, der Drogenkonsum würde steigen und sprechen von einem “portugiesischen Fehlschluss”. Beides bezieht sich auf Datensätze zu Schülern in Portugal - aber ein vollständiges Bild von allen erhobenen Daten zeigen beide nicht.

Eine Ursache für die verschiedenen Aussagen und Daten ist: Die portugiesische Regierung selbst erhebt keine offiziellen Daten dazu, wie sich ihre Drogenreform ausgewirkt hat. Die Daten betreffen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Zeiträume.

Regelmäßiger Konsum unter 15- bis 24-Jährigen sank

Welches Bild zeigt sich also für Portugal, wenn man alle existierenden Daten einbezieht? Die heutige Vize-Präsidentin der “International Society for the Study of Drug Policy” Caitlin Elizabeth Hughes und Alex Stevens von der University of Kent haben sich 2012 alle zu dem Zeitpunkt existierenden Datensätze angeschaut und beobachteten nach der Reform 2001 einen “mäßigen Anstieg” derjenigen, die mindestens einmal Cannabis konsumiert haben - anschließend aber einen stetigen “leichten Abfall”.

Anders sieht es bei den Daten zum kürzlichen Konsum aus: Seit der Reform sank die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 24, die im letzten Monat Cannabis konsumierten hatten. Daraus schließen Hughes und Stevens, dass der mäßige Anstieg des mindestens einmaligen Cannabiskonsums bei Schülern zur Zeit der Reform vor allem auf kurzzeitigen, experimentellen Gebrauch zurückzuführen ist. Sie hätten Cannabis also ausprobiert, aber konsumierten wohl nicht regelmäßig. Unter den 25- bis 34-Jährigen stieg dagegen der monatliche Konsum zwischen 2001 und 2007 um sieben Prozent. Heißt also: Kein einheitliches Bild für Portugal - ein dauerhaft steigender Konsum unter Jugendlichen seit der Legalisierung zeigte sich aber nicht.

Niederlande: Der Vorreiter bei liberaler Drogenpolitik

Bei der Legalisierung von Drogen denken viele an die Niederlande. Der Besitz, Kauf und Verkauf sämtlicher Drogen ist dort - anders als oft geglaubt - illegal. Allerdings wird der Verkauf von Cannabis in zugelassenen Coffeeshops toleriert und der persönliche Gebrauch und der Besitz von bis zu fünf Gramm Cannabis und maximal fünf Cannabispflanzen werden nicht strafrechtlich verfolgt. Liberalisiert wurde die Drogenpolitik erstmals 1976.

Laut dem Cannabis 2002 Report auf Initiative der Gesundheitsminister unter anderem der Niederlande und Deutschlands gibt es keinen Beweis für einen Anstieg der Konsumenten durch die Gesetzesänderung von 1976. Die Entkriminalisierung habe nicht zu einer Explosion des Drogenkonsums geführt und die Drogenpolitik habe nur einen geringen Einfluss darauf, wie viele Menschen Cannabis konsumieren.

Niederlande liegen unter EU-Schnitt

Aber zwischen 1984 und 1996 gab es einen Anstieg bei der Zahl der Menschen, die mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert haben. Die Zahl lag einige Jahre lang über dem europäischen Durchschnitt - bei der letzten umfassenden Erhebung 2017 war sie leicht darunter: In den Niederlanden hatten demnach 26,6 Prozent der Menschen zwischen 15 und 64 mindestens einmal Cannabis konsumiert, EU-weit lag der Durchschnitt bei 27,4 Prozent - wobei ein Unterschied von 0,8 Prozent bei Befragungsdaten nicht statistisch signifikant ist, also zufällig sein könnte. Bei jungen Erwachsenen zwischen 15 und 34 waren es 17,5 Prozent (EU-Schnitt: 14,4).

Laut Experten kann ein Grund dafür, dass die Zahlen erst stiegen, die Werbung für Cannabiskonsum durch die Coffeshops sein. Eine Studie der University Berkeley 2011 sah den Einfluss der niederländischen Coffeeshops auf die Verbreitung des Konsums als “moderat” an, zu einer Eskalation des Drogenkonsums hätten sie aber nicht geführt.

Mehrere, oft verbreitete Studien (z.B. hier und hier) , die die Niederlande mit außereuropäischen Regionen mit restriktiver Drogenpolitik vergleichen, sehen keine Unterschiede beim Konsumverhalten - allerdings liefern auch sie nur einzelne schlaglichtartige Eindrücke.

Ein oft zitiertes Beispiel der Gegner: Kanada

Kritiker einer Legalisierung von Cannabis in Deutschland ziehen oft Kanada als Beispiel heran. Dort wurde die Drogenpolitik - anders als in Portugal und den Niederlanden - erst kürzlich liberalisiert: Im Oktober 2018 trat das Cannabisgesetz in Kraft. Im Ländervergleich unter denen, die eine wenig restriktive Drogenpolitik verfolgen, ist dieses Gesetz sehr liberal. Neben Erwachsenen, die bis zu 30 Gramm Cannabis besitzen dürfen, sind auch bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 oder 18 Jahren (je nach Region) fünf Gramm erlaubt.

Cannabiskonsum für medizinische Produkte ist in Canada schon seit 2001 legal, erste Ausnahmen gab es bereits 1999.

Die Datenlage in Kanada ist verglichen mit anderen Ländern sehr gut: Seit der Legalisierung erfasst das Statistische Amt Kanadas die Auswirkungen. Viermal im Jahr wird die National Cannabis Survey durchgeführt - und das passierte auch schon kurz vor der Legalisierung. Dadurch gab es bereits ein Jahr nach Inkrafttreten erste vergleichende Daten zum Konsum vor und nach der Legalisierung.

Jährlicher Konsum in Kanada steigt seit der Legalisierung

Hier zeigt sich bisher ein klarer Anstieg: 2018 gaben 22 Prozent der Befragten an, in den letzten 12 Monaten Cannabis konsumiert zu haben, 2019 waren es 25 Prozent und 2020 27 Prozent. Bei den Jugendlichen zwischen 16 und 19 waren es 2018 36 Prozent, 2019 und 2020 beide Male 44 Prozent. Bei den jungen Erwachsenen zwischen 20 und 24 waren es 2018 44 Prozent, 2019 51 Prozent und 2020 52 Prozent - also auch hier überall ein Anstieg seit der Legalisierung, allerdings zuletzt stagnierend oder abflachend. Daran, wie viele Menschen täglich oder mehrmals im Monat Cannabis konsumieren, hat sich laut Statistischem Amt seit 2018 nichts verändert.

Aber: Noch kann man nicht sagen, ob der Trend kurzfristig ist oder ob der Konsum langfristig nach der Legalisierung ansteigt - für solche Schlüsse ist es nach drei Jahren zu früh.

Ein oft zitiertes Beispiel der Befürworter: Belgien

Belgien wird oft als Beispiel dafür herangezogen, dass die Entkriminalisierung von Cannabis nicht zwangsläufig zu einem höheren Konsum von Jugendlichen führt. In Belgien ist zwar der Besitz und Konsum sämtlicher Drogen verboten. Allerdings wird Cannabisbesitz für den persönlichen Gebrauch seit 2003 nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Belgien erfasst - anders als Kanada - nicht regelmäßig detaillierte Daten. Dadurch sind Aussagen weniger genau.

Laut älteren Untersuchungen im EU-Vergleich ist die Zahl derjenigen, die Cannabis konsumieren, niedriger als im EU-Schnitt, sowohl was regelmäßigen als auch einmaligen Konsum betrifft. Auch bei Jugendlichen zwischen 15 und 16 geht die Zahl derjenigen, die jemals Cannabis probiert haben, seit der Liberalisierung der Gesetze zurück. 2003 waren es noch 31 Prozent, 2011 24 Prozent, 2013 nur noch 18 Prozent. Aber auch hier gilt: Auf einen eindeutigen Zusammenhang mit der Legalisierung kann man daraus nicht schließen - andere Faktoren können eine Rolle spielen.

Was heißt das alles für Deutschland?

Was in Deutschland nach einer Legalisierung passieren würde, lässt sich kaum aus den internationalen Daten schließen. Erstmal gibt es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Gesetzesänderungen und Cannabiskonsum. Auch ist es fraglich, ob man die Befragungsergebnisse der Länder vergleichen und daraus Schlüsse ziehen kann, weil die Daten unterschiedlich erhoben wurden und verschiedene Formen von Entkriminalisierung oder Legalisierung von Cannabis gelten.

Unklar ist, welche Regeln in Deutschland gelten werden - genauso wie die Frage, ob die Legalisierung überhaupt kommt. Die FDP spricht zum Beispiel in ihrem Wahlprogramm nur von einer Abgabe an volljährige Personen, anders also als in Kanada, wo auch schon Jugendliche Cannabis besitzen dürfen.

Deswegen sind Studien aus anderen Ländern nur bedingt aussagekräftig für Deutschland, egal ob sie von Gegnern oder Befürwortern einer Legalisierung zitiert werden.

Bei der Frage, ob Cannabis legalisiert werden sollte, spielen außerdem auch andere Faktoren eine wichtige Rolle - zum Beispiel die gesundheitlichen Folgen oder die Frage, welche anderen Folgen eine Entkriminalisierung hätte - etwa weniger Kosten durch Drogendelikte für das Rechtssystem oder mehr Ausgaben für Präventions- und Hilfsangebote wie das beispielsweise in Belgien der Fall ist.

Fazit

Die bisherige Forschung zeigt: Eine Legalisierung von Cannabis führt nicht automatisch zu mehr Konsum. Einen einfachen allgemeinen Zusammenhang zwischen Gesetzesänderungen und der Verbreitung von Cannabis gibt es laut Stand der Forschung nicht.

In den einzelnen Ländern sind Datenlage und Ergebnisse sehr unterschiedlich: In manchen stieg die Zahl der Konsumenten nach der Entkriminalisierung oder Legalisierung an, in anderen sinkt sie - sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen. Allerdings gibt es nur für Kanada eine recht zuverlässige Datenlage, wobei das Land den Cannabiskonsum erst im Oktober 2018 legalisiert hat und langfristige Entwicklungen daher noch nicht absehbar sind

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