Antisemitische Straftaten haben im dritten Quartal im Vergleich zum Vorjahr stark zugenommen.
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Ein Polizeiauto steht vor einer Synagoge.

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Schon vor Hamas-Überfall: Zunahme antisemitischer Straftaten

Schon vor Hamas-Überfall: Zunahme antisemitischer Straftaten

Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland hat deutlich zugenommen. Der Anstieg begann bereits vor dem Hamas-Angriff auf Israel. Der Großteil kommt aus dem rechten Spektrum. Auch die sozialen Medien sind betroffen. Die Politik ist alarmiert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Antisemitische Straftaten in Deutschland haben offenbar schon vor dem Krieg zwischen der Hamas und Israel deutlich zugenommen. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke im Bundestag hervor, die BR24 vorliegt.

540 antisemitische Straftaten im 3. Quartal - die meisten aus rechtem Spektrum

Demnach wurden im dritten Quartal 2023 bisher bundesweit 540 antisemitisch motivierte Straftaten polizeilich erfasst. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2023 waren es 379, im zweiten Quartal 446 und im dritten Quartal des vergangenen Jahres 306. Mit über 450 Straftaten kommt der überwiegende Teil der 540 im 3. Quartal verübten Taten demnach aus dem rechten politischen Spektrum.

Unter den insgesamt 540 antisemitischen Straftaten aus dem dritten Quartal 2023 waren 14 Gewalttaten und 44 Propagandadelikte. Die meisten Taten wurden in Baden-Württemberg (87) verübt, gefolgt von Brandenburg (63) sowie Niedersachsen und Bayern (beide jeweils 48).

Bislang konnten insgesamt 365 Tatverdächtige ermittelt werden. Vier Personen wurden festgenommen, es wurde allerdings kein Haftbefehl erlassen.

Straftaten seit Nahost-Krieg nicht erfasst

Die Linken-Politikerin Pau reagierte schockiert. Die Zahl sei besonders erschreckend, weil die antisemitische Gewalt in Deutschland nach dem Hamas-Angriff auf Israel noch gar nicht berücksichtigt sei. "Es ist zu befürchten ist, dass sich die Gefahrenlage von Jüdinnen und Juden für den Rest des Jahres noch weiter verschärft", sagte sie der "Rheinischen Post".

Jetzt müssten alle Anstrengungen unternommen werden, um den Schutz und die Sicherheit von Jüdinnen und Juden zu gewährleisten, forderte Pau: "Nicht erst seit dem Pogrom in Israel werden jüdische Menschen und Einrichtungen hierzulande immer wieder das Ziel von Hass und Gewalt. Diese Situation hat sich nun innerhalb kürzester Zeit noch weiter zugespitzt."

Kanzler Scholz: "Wer Juden angreift, greift uns alle an"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appellierte an die Menschen in Deutschland: "Wer Juden in Deutschland angreift, greift uns alle an. Deshalb sollten wir uns alle für den Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland einsetzen, da geht es um Zivilcourage", sagte er dem "Mannheimer Morgen".

Scholz betonte zugleich, dass es Aufgabe des Staates sei, jüdische Einrichtungen zu schützen. "Die Strafverfolgungsbehörden haben die nötigen Instrumente und müssen sie konsequent nutzen. Mein Eindruck ist: Polizeibehörden und Gerichte wissen, was zu tun ist." Es gebe "glasklare Gesetze": "Es ist strafbar, israelische Fahnen zu verbrennen. Es ist strafbar, den Tod von Unschuldigen zu bejubeln. Es ist strafbar, antisemitische Parolen zu brüllen."

In einem viel beachteten Video vom 1. November hatte auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) Antisemitismus in Deutschland scharf verurteilt und Solidarität mit Jüdinnen und Juden angemahnt. "Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren, in keiner", sagte er.

Im Video: Bundeswirtschaftsminister Habeck übt scharfe Kritik an antisemitischen Tendenzen

ARCHIV - 11.10.2023, Berlin: Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, nimmt an der Vorstellung der Herbstprognose für das Wirtschaftswachstum teil. Habeck will Deutschland mit einer neuen Strategie wieder als starken Industriestandort positionieren. (zu dpa "Habeck will Industrie «in ganzer Vielfalt» erhalten") Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Wirtschaftsminister Habeck

Auch immer mehr antisemitische Hasskommentare im Netz

Auch in den sozialen Medien hat Antisemitismus einem "Spiegel"-Bericht zufolge zugenommen. Die hessische Hatespeech-Meldestelle "Hessen gegen Hetze" etwa registrierte demnach seit dem Hamas-Angriff rund 350 Meldungen über antisemitische Inhalte. Weitere 200 strafrechtlich relevante Beiträge fand die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

"Einen deutlichen Anstieg antisemitischer Postings" in den sozialen Netzwerken stellte auch die Generalstaatsanwaltschaft München fest. In manchen Beiträgen würde etwa zur Vernichtung Israels aufgerufen, sagte ein Behördensprecher dem "Spiegel". Das erfülle den Anfangsverdacht einer öffentlichen Aufforderung zu Straftaten. Die Münchner Behörde behandelt dem Bericht zufolge Anzeigen im Kontext des Überfalls momentan prioritär.

Das Bundeskriminalamt (BKA) stellte ebenfalls eine "spürbare Zunahme" von Hinweisen fest und verfolgt seit Anfang Oktober rund 60 Online-Postings mit antisemitischem Hintergrund. Es handele sich dabei meist um mutmaßliche Volksverhetzungen.

Politiker fordern Konsequenzen

CSU-Chef Markus Söder forderte in der "Augsburger Allgemeinen" bei antisemitischen Vorfällen die Möglichkeit, auch Straftäter mit doppelter Staatsangehörigkeit abzuschieben und ihnen den deutschen Pass abzunehmen

Die Bundestagsabgeordnete Serap Güler (CDU) rief muslimische Verbände und die Politik auf, mehr gegen Juden- und Israelfeindlichkeit unter Muslimen in Deutschland zu tun. In der "Kölnischen Rundschau" (Montag) forderte sie außerdem Verschärfungen im Versammlungsrecht nach israelfeindlichen Botschaften bei Demonstrationen am Wochenende. Die Deutsche Islamkonferenz sei weiterhin eine gute Plattform, um Forderungen an die Verbände zu stellen.

CDU-Chef Friedrich Merz forderte eine strengere Kontrolle muslimischer Verbände in Deutschland. Im "Bericht aus Berlin" (ARD) warf er am Sonntag der Bundesregierung vor, nicht entschlossen zu handeln, obwohl viele Probleme schon lange bekannt seien.

Klein - arabisch- und türkischstämmige Gruppen ins Visier nehmen

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe davor, in der Debatte um Judenfeindlichkeit vor allem auf Migranten zu schauen. Stattdessen müsse man die schon länger in Deutschland lebenden arabisch- und türkischstämmigen Bevölkerungsgruppen stärker in den Blick nehmen.

Israelfeindliche Aggressionen in den vergangenen Tagen hätten gezeigt, dass bei einem Teil der arabischstämmigen Bevölkerungsgruppe leicht antisemitische Grundhaltungen aktiviert werden könnten. Das gelte auch für einen Teil der Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan innerhalb der türkischstämmigen Community. In Deutschland lebten etwa 24 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, teilweise seit Jahrzehnten, und viele seien bereits hier geboren.

Pro-Palästina-Demos - Anzeigen wegen Volksverhetzung

Am Wochenende war es erneut bundesweit zu pro-palästinensischen Demonstrationen gekommen. Die Polizei ermittelt nun in diversen Fällen wegen des Verdachts der Volksverhetzung. In Essen waren bei einer Kundgebung am Freitagabend Transparente einer islamistischen Organisation unter anderem mit der Forderung nach der Errichtung eines Kalifats gezeigt worden. Zudem habe man pro-palästinensische Fahnen und Symbole gesehen, die den verbotenen Symbolen und Zeichen des Islamischen Staats und der Taliban ähnelten, teilte die Polizei mit.

In Berlin leitete die Polizei eigenen Angaben zufolge 36 Ermittlungsverfahren ein. Zwei Demonstranten trugen ein Banner mit der Aufschrift "Hände weg von Samidoun! Nieder mit dem Verbot aller palästinensischen Organisationen!". Samidoun hatte nach dem Blutbad in Israel am 7. Oktober für Entrüstung gesorgt, weil kurz danach Mitglieder des Netzwerks als Ausdruck der Freude Süßigkeiten auf der Sonnenallee im Berliner Bezirk Neukölln verteilten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das Netzwerk am vergangenen Donnerstag verboten.

Appell an Muslime: "Passt auf, wo ihr mitlauft!"

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland verurteilte antisemitische Vorfälle bei pro-palästinensischen Demonstrationen und rief zu Vorsicht bei der Teilnahme an solchen Kundgebungen auf. Es gebe "ganz klare Verstöße, antisemitische Judenhass-Verstöße", sagte der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek am Samstag im Deutschlandfunk. "Sie müssen geahndet werden."

An die Muslime appellierte er: "Passt auf, wo ihr mitlauft." Es gebe Gruppen, die solche Demonstrationen nutzten, um Parolen gegen Juden und Antisemitismus zu skandieren. "Das müssen wir nicht so haben."

Mit Informationen von Reuters, AFP, KNA und epd.

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