"Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz", so das Credo von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Mit diesen Worten beendet sie ihr Statement zum Verbot von Hamas und Samidoun.
Faeser: Unerträgliche Jubelfeiern in Deutschland
Die Terrororganisation Hamas verfolge das Ziel, den Staat Israel zu vernichten, sagte Faeser. Ihre Propaganda zeige sich in Deutschland durch ein besonders aggressives Demonstrationsverhalten und insbesondere durch Angriffe auf jüdische Einrichtungen und auf Wohnhäuser von Jüdinnen und Juden, so die Bundesinnenministerin.
Samidoun beschrieb sie als "internationales Netzwerk, das unter dem Deckmantel einer sogenannten Solidaritätsorganisation für Gefangene in verschiedenen Ländern Israel und Juden feindliche Propaganda" verbreite. Und Faeser fügte hinzu: "Das Abhalten spontaner Jubelfeiern hier in Deutschland in Reaktion auf die furchtbaren Terroranschläge der Hamas gegen Israel ist unerträglich." Samidoun hatte nach dem Terroranschlag in Israel am 7. Oktober für Entrüstung gesorgt, weil wenige Stunden danach Mitglieder des Netzwerks Süßigkeiten im Berliner Bezirk Neukölln verteilt hatten.
Betätigungsverbot und Vereinsverbot
Im Fall von Hamas und den ausländischen Strukturen von Samidoun geht es um ein sogenanntes Betätigungsverbot; bei den deutschen Strukturen von Samidoun um ein Vereinsverbot. Das Vereinsverbot gegenüber Samidoun zielt darauf ab, einen Verein möglichst ganz zu zerschlagen. Das ist möglich bei inländischen und ausländischen Vereinen, die über nachweisbare Teilstrukturen in Deutschland verfügen.
2012 wurde "Samidoun - Palestinian Solidarity Network" gegründet und setzt sich als "palästinensisches Gefangenensolidaritätsnetzwerk" international ein für die Freilassung palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen, auch von Terroristen. Die Organisation verneint das Existenzrecht Israels. Nach Einschätzung von Verfassungsschützern gibt es Beziehungen zur radikalen Palästinenserorganisation PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas), die den bewaffneten Kampf gegen Israel propagiert.
In Deutschland agiert Samidoun laut Ministerium auch unter den Bezeichnungen "HIRAK - Palestinian Youth Mobilization Jugendbewegung (Germany)" und "Hirak e.V.". Das Netzwerk richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, beeinträchtige und gefährde das friedliche Zusammenleben in Deutschland, die öffentliche Ordnung sowie sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik, heißt es. Außerdem befürworte es Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele und unterstütze Vereinigungen, die Anschläge veranlassen, befürworten und androhen.
EU sieht Hamas seit Jahrzehnten als Terrororganisation
Die Tätigkeit der Hamas in Deutschland laufe Strafgesetzen zuwider und richte sich gegen den im Grundgesetz verankerten Grundsatz der Völkerverständigung, hieß es vom Bundesinnenministerium. Die Hamas ist jedoch kein inländischer Verein mit klaren Strukturen, sondern eine ausländische Organisation.
Hervorgegangen ist sie aus dem palästinensischen Zweig der islamistischen Muslimbruderschaft. In ihrer Gründungsurkunde nennt die Hamas die Eroberung Israels und einen islamischen Staat Palästina an dessen Stelle als Endziel. Finanzielle Hilfe bekommt sie unter anderem aus dem Iran und Katar. Neben ihrem militärischen Arm, den Kassam-Brigaden, besteht die Hamas aus einem sozialen Hilfswerk und einer politischen Partei. Die Mitgliederzahl wird auf bis zu 80.000 geschätzt. In Deutschland stehen nach Schätzungen des Verfassungsschutzes rund 450 Menschen hinter der Hamas; in Bayern sind es Einzelpersonen.
Betätigungsverbote gibt es auch gegen IS und Hisbollah
Die EU hat die Hamas schon vor etwa 20 Jahren als Terrororganisation eingestuft. Der Europäische Gerichtshof hat diese Einstufung auch überprüft und bestätigt. Und auch der Generalbundesanwalt stuft die Hamas als terroristische Vereinigung ein. Und Vereine, die der Bewegung nahestanden, wurden bereits vor Jahren verboten.
Als zusätzliche Maßnahme blieb damit nur noch das Betätigungsverbot. Solche Betätigungsverbote gab es schon öfters: 2014 hatte der damalige Innenminister Thomas de Maizière ein Betätigungsverbot für den sogenannten Islamischen Staat erlassen. 2020 - damals hieß der Innenminister Horst Seehofer - erließ die Bundesregierung ein Betätigungsverbot für die proiranische Schiiten-Miliz Hisbollah aus dem Libanon.
Wer weiter aktiv ist, macht sich strafbar
Durch das Vereinsverbot kann bei Samidoun Vermögen eingezogen werden. Auch ist es so möglich, Internetauftritte und Aktivitäten in sozialen Medien zu verbieten. Grundsätzlich gilt für ehemalige Vereinsmitglieder: Wer weiter für die Organisationen aktiv ist, macht sich strafbar. Durch das Vereinsverbot ist jegliche Betätigung von und für Samidoun in Deutschland verboten und strafbar.
Das Betätigungsverbot für die Hamas bedeute beispielsweise, dass man bei Versammlungen leichter einschreiten könne, betonte Faeser. Außerdem würden Ausweisungen erleichtert. Die Ministerin räumte allerdings ein, dass Ausweisungen von Hamas-Anhängern palästinensischer Herkunft schwierig umzusetzen seien, da viele Palästinenser staatenlos sind. Der Verstoß gegen Betätigungsverbote wird strafrechtlich verfolgt. Demnach sind laut Bundesinnenministerium Freiheitsstrafen bis zu maximal einem Jahr oder Geldstrafen möglich.
Was war bereits verboten?
Durch die Einstufung der Hamas als Terrororganisation war es in Deutschland bereits möglich Gelder der Organisation einzufrieren. Auch war es seither verboten, der Hamas Gelder zur Verfügung zu stellen. Außerdem sei es seit 2021 durch das Gesetz zur Bekämpfung von Propagandamitteln verboten, Propagandamittel oder Kennzeichen von Organisationen zu verbreiten, die auf der sogenannten EU-Terrorliste stehen, so das Bundesinnenministerium auf BR24-Anfrage.
Söder fordert Muslime, sich von Hamas zu distanzieren
CSU-Chef Markus Söder hatte wiederholt ein Verbot von Organisationen mit Bezügen zur Hamas gefordert. Jetzt rief er die Muslime in Deutschland auf, sich gegen den Terror der Hamas zu stellen: "Bei der Verurteilung des Hamas-Terrors dürfen wir nicht generell Muslime bei uns unter Verdacht stellen", sagte er dem Münchner Merkur: "Deswegen mein Appell an alle: Distanziert euch bitte vom Terror der Hamas!“
Es sei wichtig, den Frieden im eigenen Land zu schützen und zu wahren, betonte Söder. Aber man müsse sich "darauf einstellen, dass die Lage auch bei uns aufgeheizter und ungemütlicher wird." Er und die Staatsregierung hätten eine klare Haltung, betonte der bayerische Ministerpräsident: Jeder Angriff auf jüdisches Leben sei ein Angriff auf uns alle. "Wir stehen zu Israel und werden jüdisches Leben schützen – das ist ein Schutzversprechen des Freistaats und von mir ganz persönlich."
Reaktionen auf das Verbot
Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßt die Entscheidung der Bundesregierung. Das Verbot des pro-palästinensischen Vereins Samidoun sei konsequent und richtig. Samidoun stehe hinter vielen antisemitischen Ausschreitungen deutschlandweit, so der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster.
Auch die Gewerkschaft der Polizei zeigt sich erleichtert. Der Rechtsrahmen sei nun klar und das helfe sehr, sagte der Bundesvorsitzende Jochen Kopelke. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen lobte das Verbot der Palästinenserorganisation Hamas und des Netzwerkes Samidoun in Deutschland ebenfalls: Das Verbot von Hamas und Samidoun sei notwendig und überfällig, schrieb der CDU-Politiker bei X.
Kritik an früher Verbots-Ankündigung von Scholz
Kritik gibt es allerdings am zeitlichen Ablauf: Der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft, Volker Beck, nannte die Entscheidung zwar längst überfällig. Allerdings merkte er auch an, dass er hoffe, "dass durch die vorherige Ankündigung der Verbote nicht alle Beweismittel beseitigt wurden und die Wirkung des Verbotes hierdurch abgeschwächt wird." Kanzler Olaf Scholz hatte bereits kurz nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ein Betätigungsverbot für Hamas und Samidoun in Aussicht gestellt. Ein ungewöhnlicher Schritt.
Das sieht auch der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann so. Er ist Professor für Sicherheitsstudien am King's College in London und leitet dort das International Centre for the Study of Radicalisation. Hamas und Samidoun hätten so genug Zeit gehabt, "um Geld verschwinden zu lassen und Strukturen neu zu organisieren", schrieb Neumann auf X.
Und die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz, bemängelte: "Die Bundesregierung muss erst vom Bundestag zu den Verboten aufgefordert werden, dann kündigt der Bundeskanzler sie öffentlichkeitswirksam im Bundestag an und dann dauert es ganze drei Wochen bis Frau Faeser die Verbote erlässt." Während dieser Zeit hätten Anhänger beider Organisationen weiter unbehelligt Hassbotschaften verbreiten können.
Mit Informationen von dpa und KNA.
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