Andreas Weikert (Name geändert) wandert über ein abgezäuntes Feld. In mehreren langen Reihen sind Solarpaneele aufgestellt. Keine Wolke ist zu sehen an diesem Tag im September. Perfekt für einen Solarpark. Aber Weikert blickt auf die Anzeige eines blauen Kastens, dem Wechselrichter. Dort wird die Leistung seiner Anlage angezeigt. Sie ist gleich Null. "Das passiert an schönen Tagen leider immer wieder", sagt Weikert, "heuer schon zum 57. Mal".
Weikert hat 2012 eine Anlage mit einer Leistung von einem Megawatt errichtet, auf einem 2,4 Hektar großen Feld. Der Nebenerwerbslandwirt sagt, dass in diesem Jahr allein aus seinem Park rund 200.000 Kilowattstunden deshalb nicht eingespeist worden seien, weil sein Solarpark abgeschaltet, beziehungsweise wie es im Fachjargon heißt, abgeregelt wurde. Die fehlende Leistung entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von rund 80 Einfamilienhäusern. "Einfach Hunderte oder wahrscheinlich Tausende Solarparks auszuschalten ist ein Wahnsinn", findet der Nebenerwerbslandwirt "und aus meiner Sicht wird die Energiewende so nicht gelingen."
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Bayernwerk-Geschäftsführer: "Netzeingriffe sind etwas Alltägliches"
Für die Abregelungen sind in Deutschland die Netzbetreiber zuständig. Das sind einerseits die vier großen Übertragungsnetzbetreiber, wie zum Beispiel 50Hertz, Amprion, TransnettBW und Tennet. Und auf regionaler und kommunaler Ebene die 900 Verteilnetzbetreiber. Einer der größten in Bayern ist die Bayernwerk Netz GmbH. Etwa 425.000 Photovoltaik-Anlagen, darunter auch der Park von Andreas Weikert, sind bei Bayernwerk gemeldet. Geschäftsführer Robert Pflügl sagt, Netzeingriffe seien etwas Alltägliches. Netzbetreiber wie Bayernwerk müssten das Angebot verringern, wenn mehr Strom produziert als gebraucht würde. Sonst würden die Netze überlastet. Anlagen abzuregeln sei im Vergleich einfach und kostengünstig, sagt Pflügl. Das Netz auszubauen wäre teurer, so der Geschäftsführer der Bayernwerk Netz GmbH, "das ist im Endeffekt eine wirtschaftliche Überlegung hier solche Methoden zu nutzen".
Erneuerbare Energien werden immer mehr abgeschaltet
Warum aber werden ausgerechnet Erneuerbare Energien abgeschaltet? Das hat mehrere Gründe. Zum einen rechtliche: Bis vor zwei Jahren waren für Netzengpässe nahezu ausschließlich die vier großen Übertragungsnetzbetreiber zuständig. Die mussten dann Kraftwerksbetreiber, zum Beispiel von Gas- oder Atomkraftwerken, anweisen, dass diese ihre Leistung runterfahren oder erhöhen müssen. Da das alte System aber immer mehr an Grenzen stieß, wurde es erneuert. Im Oktober 2021 wurde das System "Redispatch 2.0" eingeführt. Nun durften auch kleinere Anlagen mit einbezogen werden, also Photovoltaik-Anlagen und Windparks. Den Verteilnetzbetreibern wie Bayernwerk kam eine größere Verantwortung zu. Und weil es oft billiger und einfacher ist, Wind- oder Solaranlagen statt konventionelle Kraftwerke anzusteuern, regeln die Betreiber diese immer mehr ab. Hinzu kommt, dass der Strommarkt in Europa zunehmend integriert wird.
Abregelungen werden zunehmen
Professor Michael Sterner von der Technischen Hochschule Regensburg macht vor allem der bayerischen Landesregierung Vorwürfe. Nach dem beschlossenen Atomausstieg im Jahr 2011 habe diese sowohl den Ausbau der Erneuerbaren Energien als auch den des Stromnetzes torpediert. Der Freistaat Bayern habe jahrelang durch diverse Auflagen den Netzausbau erschwert; etwa, dass Trassen für viel Geld unter die Erde verlegt werden. "Sodass wir erst vor kurzem den Spatenstich zum Südlink hatten. Wir hätten aber jetzt schon die Fertigstellung feiern können", kritisiert Prof. Sterner. Er rechnet damit, dass Abregelungen zunehmen werden. Denn es gibt einerseits immer mehr Windräder und Solaranlagen. Andererseits wurde das Stromnetz nicht fit gemacht, wofür die bayerische Landesregierung eine große Verantwortung trage.
Aiwanger sieht Netzbetreiber in der Pflicht
Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sieht aber vielmehr die Verantwortung bei Netzbetreibern wie dem Bayernwerk. "Natürlich ist die Ursache, dass wir in den letzten Jahren so viel an Photovoltaik in Bayern zugebaut haben, dass der Netzausbau nicht hinterherkam", sagt der Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef. "Die Netzbetreiber sind ja gesetzlich verpflichtet. Das sind private Netzbetreiber, nicht der Freistaat Bayern."
Bayernwerk-Geschäftsführer sieht die Lösung in Energiespeichern
Robert Pflügl, der Geschäftsführer der Bayernwerk Netz GmbH, wehrt sich gegen den Vorwurf. Er meint, um schnell und möglichst einfach Abregelungen zu verringern, müssten vor allem Energiespeicher eine größere Rolle spielen. Derzeit würde die Gesetzeslage verhindern, dass Verteilnetzbetreiber wie Bayernwerk stärker in diese investieren. Der Gesetzgeber und die Bundesnetzagentur stünden in der Pflicht. "Wir wollen die Energie speichern und dann später wieder zur Verfügung stellen", sagt Pflügl. Die großen Wind- und Solarparks würden nicht vollständig verschont bleiben, "aber zumindest alle Haushaltskunden."
Bisher geht Robert Pflügl davon aus, dass die Abregelungen von Erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren zunehmen. Denn allein bei seinem Unternehmen türmen sich die Anfragen für neue Photovoltaik-Anlagen. Wenn es so weiter gehe, sagt Pflügl, werde die Einspeiseleistung von Solarparks in den kommenden Jahren versechsfacht.
Mehr Informationen zum Thema im Funkstreifzug-Podcast in der ARD-Audiothek.
Dieser Artikel ist erstmals am 8. November 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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