Der Spiegel hat ein Video veröffentlicht, das es in sich hat. Akribisch recherchiert, zeigt es Hintergründe eines mutmaßlich ziemlich brutalen Pushbacks und dokumentiert Rechtsverstöße an der kroatisch-bosnischen Grenze. Das Video kursierte Ende März zunächst in sozialen Medien. Nach monatelangen Recherchen fand der Spiegel nicht nur das Originalvideo, sondern auch die Menschen, die es gemacht haben und darauf zu sehen sind. Die Auswertung der Metadaten belegt: Der mutmaßliche Pushback fand am 23. März auf kroatischem Territorium nahe des bosnischen Ortes Poljana statt, rund 30 Kilometer nordöstlich von Velika Kladusa.
Alle haben nach Asyl gefragt und sie (Anmerkung: die Maskierten) sagten, nein, geht nach Bosnien. Zeuge aus dem Video
Die Nichtregierungsorganisation No Name Kitchen dokumentiert Grenzgewalt auf dem gesamten Balkan, auch an der kroatisch-bosnischen Grenze. Ein junger Aktivist dieser NGO schätzte für die ARD ein, was das Video so wichtig macht:
Entlang der kroatisch-bosnischen Grenze sind Pushbacks unter Anwendung von Gewalt Alltag, doch starkes visuelles Material, das Pushbacks zugeordnet werden kann ist unglaublich selten. Bei Pushbacks vernichten die kroatischen Behörden systematisch die Handys und andere Dinge, mit denen diese Pushbacks dokumentiert werden könnten. Zudem (…) finden Pushbacks meisten in der Nacht statt und an Orten, an denen es schwer ist, zu filmen. Deswegen ist visuelles Material so selten, dass die kroatischen Behörden direkt bei Pushbacks zeigt. Aktivist der NGO No Name Kitchen.
Prügel, Peitsche, Pushbacks
Das Video wurde am helllichten Tag aufgenommen. Maskierte auf kroatischer Seite zwingen Menschen im März 2020 unweit des bosnischen Ortes Poljana mutmaßlich über die grüne Grenze nach Bosnien und Herzegowina. Sie wenden dabei verbale und physische Gewalt an. An einer Stelle ist zu sehen, wie ein maskierter Mann einen Flüchtling oder Migranten mit einem Stock schlägt. Ein weiterer Mann schwingt bedrohlich eine Art Peitsche durch die Luft. Ein weiterer hat einen kantig wirkenden Stock. Bereits seit 2016 werden illegale Abschiebungen und Gewalt an dieser Grenze dokumentiert - klare Verstöße gegen geltendes Recht. Kroatiens Behörden haben bislang alle Vorwürfe zurückgewiesen. Die Spiegel-Recherche ist der bislang klarste filmische Beleg für die illegale Praxis auf kroatischer Seite.
„Ich habe solche Schmerzen“
Das Video beginnt mit einem laut weinenden Mann. Schmerz und Verzweiflung stehen dem Dunkelhaarigen mit Vollbart ins Gesicht geschrieben. In Strümpfen, nur mit einer Jogginghose und einer dünnen schwarzen Jacke bekleidet schleppt er sich über eine Wiese. Der Mann weint verzweifelt: „Ich habe solche Schmerzen im Bein.“ Der Verletzte humpelt und wird gestützt von mehreren jungen Männern, die auf dem Video zu sehen sind. Ebenfalls ohne Schuhe, nur mit nassen und verdreckten Kleidern am Leib. „Hab keine Angst, wir halten dich“, sagen Stimmen auf Urdu aus dem Off.
Polizeitypische Kleidung
Im Hintergrund des Videos tauchen dann vier Männer auf. Der Handyfilmer zittert, doch es ist eindeutig: Maskierte Männer stehen auf kroatischem Staatsgebiet und schieben am helllichten Tag mutmaßlich über die grüne Grenze nach Bosnien und Herzegowina ab. Einer trägt Kleider, die aussehen wie die blaue Uniform der Grenzpolizei, einer einen Overall wie der, der Interventionspolizei, zwei die grünen Jacken, wie sie die Spezialpolizei hat. Zeugen berichten dem Spiegel von Schlägen und Demütigungen.
Ein Polizist hatte so etwas wie ein Seil, das um einen Stock gewickelt war. Wenn jemand weglaufen wollte, konnte er mit dem Seil weit hinterherwerfen. Es hat so wehgetan. Zeuge. Quelle: No Name Kitchen
Wenn jemand wegrennen wollte, schlug er ihn (Anmerkung: mit dem Seil) auf den Rücken und die Menschen fielen hin. Zeuge. Quelle: No Name Kitchen
Sie schlagen überall. Überall. Ich meine auf den Kopf, auf Beine, Arme, überall hin. Sie wissen nicht wohin sie dich schlagen. Es ist ihnen egal, sie schlagen dich überallhin. Zeuge. Quelle: No Name Kitchen
Dann kamen wir an einen Fluss und sie sagten; Spring, geh nach Bosnien. Zeuge. Quelle: No Name Kitchen
Maskierte machen routinierten, eingespielten Eindruck
Die maskierten Männer auf der kroatischen Seite, scheinen weder hektisch, noch unter Druck zu sein, eine Abschiebetruppe vom Dienst, gut eingespielt und geradezu routiniert wirkend warten sie auf die nächste Pushbackrunde. Als sie den Handyfilmer entdecken, droht einer mit Gesten und ruft „Fuck your mother“. Die gerade laufende Abschiebung wird abgebrochen. Auch was vor dem Pushback passierte ist genau nachvollzogen.
Die Gruppe wird in Slowenien von der Polizei aufgegriffen und an die kroatischen Behörden übergeben. Dies hat das slowenische Innenministerium dem Spiegel bestätigt. Die Kroaten bringen die Gruppe dann offenbar zurück an die Grenze, schlagen und demütigen sie und zwingen sie mutmaßlich nach Bosnien zurück. Der im Video weinende Mann erinnert sich: „Als sie uns aus dem Wagen geholt haben, musste ich auf die Seite gehen. Die anderen waren auf der anderen Seite und ich war alleine und sie haben mich geschlagen. Sie haben uns gezwungen, die Kleider und Schuhe auszuziehen und uns alles abgenommen.“
Sie (Anmerkung: die Maskierten riefen: “Geh nach Bosnien, geh nach Bosnien“ (…) und sie haben geschrien: „Komm nicht nach Kroatien zurück. Denn wenn du nach Kroatien zurückkommst, dann siehst du was wir mit dir machen können. Zeuge. Quelle: No Name Kitchen
Klare Verstöße gegen geltendes Recht
Diese beschriebene Praxis verstößt unter anderem gegen kroatisches und europäisches Recht, sowie gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention. Die kroatischen Behörden weisen die Vorwürfe zurück, schon seit 2016 die ersten Menschenrechtsverletzungen an ihren Grenzen öffentlich wurden. Man habe keine Aufzeichnungen über Aktionen am fraglichen Tag und am fraglichen Ort, erklärte das kroatische Innenministerium auch gegenüber dem Spiegel.
Der junge Aktivist von No Name Kitchen hofft dennoch, dass die Spiegel-Recherchen den Druck auf Kroatien erhöhen, auch aus Brüssel.
Wenn man in der Grenzregion arbeitet, sieht man täglich Menschen zurückkommen. Menschen aus vielen Ländern. Algerien, Nigeria, Syrien der Irak Menschen mit unglaublich ähnlichen Geschichten über Gewalt, hunderte kaputter Mobiltelefone und Menschen, deren Gefühlsleben durch diese Gewalt vollkommen zerstört wurde. Dazu kommt, dass in der Grenzregion eine gewisse Normalität eingezogen ist. Dass die Menschen die hier in der Gegend von Bosnien leben die Umstände der Flüchtlinge und Migranten als normal betrachten. Als eine normale Migration entlang den Grenzen der EU und ich denke, dass ist eine der traurigsten Entwicklungen der letzten beiden Jahre. Zeuge. Quelle: No Name Kitchen