Ein junger Mann schaut in einer alten aufgegebenen Fabrikhalle in die Kamera.
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Obdachloser Jugendlicher in der alten Fabrikhalle in Bihac.

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"Wir sind Menschen": Migranten in Bosnien sich selbst überlassen

"Wir sind Menschen": Migranten in Bosnien sich selbst überlassen

"Wir sind Menschen", sagen sie - in Bosnien aber kümmert sich niemand um sie, Flüchtende und Migranten werden sich selbst überlassen. Rund 8.000 sind zurzeit in Bosnien-Herzegowina, schätzungsweise die Hälfte in Bihac und Umgebung. Eine Reportage.

Über dieses Thema berichtet: B5 Hintergrund am .

Wir wollen illegal über die Grenze, aber wir möchten als Menschen behandelt werden. Minderjähriger Flüchtender in Bihac

Im Stadtbild allgegenwärtig

Sie fallen auf, im Stadtbild von Bihac und der gesamten Umgebung. Die Menschen aus Afghanistan, Pakistan, dem Iran oder dem Irak, die alleine, zu zweit oder in kleinen Gruppen durch die Straßen laufen, am Straßenrand sitzen oder in Parks. Manche sind stark abgemagert, andere sitzen teilnahmslos auf einer Bank, wieder andere hören Musik über ein Smartphone. Viele haben wunde Füße und schmutzige Verbände an Armen oder Beinen. Sie sind obdachlos, und besitzen nur noch was sie auf dem Leib tragen, viele haben kein mehr Geld für Essen und müssen betteln.

Offizielles Camp soll aufgelöst werden

Das Camp Bira in Bihac nimmt niemanden mehr auf, da es geschlossen werden soll. Es wird – wie alle Unterkünfte in Bosnien-Herzegowina – von der International Organization for Migration, kurz IOM, betrieben. Viele Flüchtende und Migranten wissen nicht wohin, dürfen sich aber auch nicht mehr in Bihac aufhalten und fürchten Polizeikontrollen nun noch mehr als sonst. Nachts schlafen sie auf dem nackten Boden in leer stehenden alten Gebäuden oder in den umliegenden Wäldern, in denen es Bären und Wölfe gibt. Wer privat an Flüchtende vermietet, muss mit Geldstrafen rechnen, erzählt eine Frau aus Bihac, die ihre Rente mit dem Vermieten aufgebessert hat. In ihrem Garten warten gerade drei dünne abgekämpft wirkende Männer auf die private Organisation „SOS Bihac“, die ihnen Essen bringt und sich erkundigt, was sie sonst noch brauchen.

Untergekommen in einsturzgefährdeter Fabrik

Auch in den Gebäuden einer alten einsturzgefährdeten Fabrik in Bihac sind mehrere hundert obdachlose Flüchtende und Migranten untergekommen, es sind ausschließlich Männer, viele von ihnen offensichtlich minderjährig. Sie haben sich zu Gruppen zusammengeschlossen und ein braunhaariger Jugendlicher teilt sich mit vier anderen einen Beutel Weißbrot. Er sei ein Mensch, kein Ding, sagt er mit Tränen in den Augen. Die Männer kochen über dem offenen Feuer, schlafen auf dem nackten Boden und müssen ihren Aussagen nach zudem mit Misshandlungen durch bosnische Polizei rechnen.

Hygienische Bedingungen katastrophal

Es gibt kein fließendes Wasser, keine Toiletten und Corona ist hier kein Thema, dabei sind die hygienischen Bedingungen katastrophal. Die Polizei würde ihre persönlichen Dinge in der alten Fabrik verbrennen und sie dann mit Bussen aus der Stadt in Richtung Bosanski Petrovac fahren. Dabei würden sie von bosnischen Polizisten geschlagen, erzählen mehrere der Männer übereinstimmend dem ARD-Studio Südosteuropa und die ganze Runde nickt zustimmend. Einer berichtet von Schlägen auf das Ohr, auf dem er seitdem nichts mehr höre. Ein anderer zeigt uns ein stark geschwollenes Handgelenk. Manche sitzen apathisch auf dem Boden, doch viele reden bereitwillig über ihre Situation. Ein junger Afghane aus der Hauptstadt Kabul spricht sehr gut Englisch und übersetzt.

Polizisten aus Bihac haben mich geschlagen und seitdem höre ich auf einem Ohr nichts mehr. Flüchtender aus Afghanistan in Bihac im Gespräch mit der ARD.
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Der Sprecher der Una-Sana-Kantonspolizei Ale Siljdedic weist Gewaltvorwürfe von Flüchtenden und Migranten gegenüber der bosnischen Polizei zurück

Obdachlose Flüchtende und Migranten in Bihac berichten von Gewalt durch bosnische Polizei

Der Sprecher der Una-Sana-Kantonspolizei, Ale Siljdedic, dementiert Gewalt der bosnischen Polizei gegenüber Flüchtlingen und Migranten. Es habe in den letzten drei Jahren rund zehn Anzeigen gegeben und allen sei nachgegangen worden. Die Lage in der Stadt sei angespannt, zwischen Flüchtlingen und Migranten auf der einen und der Bevölkerung auf der anderen Seite, sagte Siljdedic dem ARD-Studio Südosteuropa in Bihac. Die Kritik von Nichtregierungsorganisationen, sie würden bei ihrer Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten behindert, weist der Polizeisprecher zurück. Humanitäre Hilfe müsse jedoch gesetzeskonform sein. Nach Informationen des ARD-Studios Südosteuropa wurden humanitäre Helfer jedoch unter Druck gesetzt, etwa, wenn sie auf bosnische Polizeigewalt gegenüber Flüchtenden und Migranten hinwiesen.

Sinnloses Hin und Her in das Camp Lipa bei Bihac

Die bosnische Polizei sammelt Migranten und Flüchtende in Bihac auf, um sie ins Camp Lipa zu bringen, das auf dem freien Feld hochgezogen wurde. Es liegt rund 25 Kilometer von Bihac entfernt in Richtung Bosanski Petrovac. Von der Straße biegt ein Schotterweg ab, einen Hinweis gibt es nicht. Camp Lipa wird ebenfalls von IOM betrieben. Mit rund 1.200 Menschen sei es belegt, heißt es. Die Menschen, die aus Bihac dort ankommen, werden deswegen abgewiesen. Sie gehen entweder zu Fuß nach Bihac zurück oder campieren auf der Wiese vor dem Camp. Eine Gruppe von Afghanen und Pakistanern erzählt uns, sie schliefen im Wald, hätten kein Essen, keine medizinische Versorgung, keine Wasch- und Duschmöglichkeiten. Am Waldrand nahe dem Camp Lipa warnt ein Schild vor Minen, denn während des Bosnienkriegs gab es in der Gegend heftige Kämpfe. Nicht nur in Bihac und den umliegenden Wäldern, auch vor dem Camp Lipa leben unversorgte, obdachlose Menschen, direkt vor den Augen von IOM und der Behörden. Umstände, die an das nicht organisierte Lager in Vucjak bei Bihac erinnern, das über die Landesgrenzen hinaus für Kritik sorgte und im Dezember 2019 geschlossen wurde.

Kantonsregierung fühlt sich allein gelassen

Bihac hat rund 50.000 Einwohner und liegt im Una-Sana-Kanton im Nordwesten von Bosnien und Herzegowina. Für viele Menschen ohne gültige Papiere ist die Stadt seit rund zwei Jahren ein geografischer Ausgangspunkt, um ins nahe gelegene Kroatien zu gelangen, denn die beiden Länder haben eine rund 1.000 Kilometer lange gemeinsame Grenze. Zurzeit sind rund 7.000 bis 8.000 Flüchtende und Migranten im Land und NGOs schätzen, dass sich über 5.000 im Una-Sana-Kanton aufhalten, in dem Bihac liegt. Die EU-Kommission hat Bosnien und Herzegowina bereits mit rund 60 Millionen Euro unterstützt. Das Geld war hauptsächlich für die Camps bestimmt, doch an der Situation der Menschen hat sich nichts Grundlegendes geändert. Im Gegenteil, ihre Lage hat sich verschlechtert. Ex–Innenminister Fahrudin Radoncic drohte offen, sie ins Gefängnis oder gleich aus dem Land zu werfen. Er trat inzwischen zwar zurück, doch die Stimmung bleibt vergiftet. Die Kantonsregierung von Premier Mustafa Ruznjc fühlt sich mit der Versorgung der Flüchtenden und Migranten zurecht alleine gelassen, sowohl von der Zentralregierung in Sarajevo, als auch von der Europäischen Union. Doch seit Herbst 2019 betreibt die Kantonsregierung eine restriktive Politik, die darauf abzielt, die Menschen außerhalb ihrer Verantwortung zu bringen. Allerdings: Auch in anderen Teilen Bosnien-Herzegowinas stößt das Thema auf offene Ablehnung von Politikern, sowie Bürgern. Und der serbische Landesteil weigert sich grundsätzlich, Menschen aufzunehmen.

Illegale Abschiebungen aus Kroatien gehen weiter

„The Game“. So nennen die Menschen den Versuch, ohne gültige Papiere über die grüne Grenze nach Kroatien und weiter nach Italien, Deutschland oder Frankreich zu kommen. Werden sie dabei von der kroatischen Polizei erwischt, werden sie kurzerhand nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben. Bei diesen sogenannten Push-Backs erleben die Menschen teils sadistische Gewalt durch kroatische Polizei. Das haben Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Flüchtende inzwischen zehnttausendfach berichtet und dokumentiert. Die Menschen müssen mit Demütigungen, Schlägen mit Schlagstöcken auf Kopf und Körper rechnen. Viele versuchen es trotzdem immer wieder und erzählen dem ARD-Studio Südosteuropa, dass sie in Flüsse getrieben worden seien und dort lange stehen mussten. Auch Ärzte haben zahlreiche Verletzungen von Menschen dokumentiert, darunter komplizierte Knochenbrüche, schwere Kopfverletzungen, Hundebisse und psychische Gewalt, wie Anschreien oder Lachen bei Demütigungen.

Kroatische Polizisten „bestrafen“ Flüchtende und Migranten

Werden Gruppen beim nicht legalen Grenzübertritt erwischt, versuchen die Menschen oft davonzulaufen. Wer wieder eingefangen werde, den „bestrafe die Polizei extra“, erzählt der 26-jährige Mustafa aus Afghanistan, den wir in Bihac treffen. Sie hätten sich in Reihen auf den Boden legen müssen und kroatische Polizisten hätten sie nacheinander einzeln aufgefordert aufzustehen und dann geschlagen. Persönliche Dinge wie Schlafsäcke oder Rucksäcke würden verbrannt, Handys und Geld weggenommen. Kroatische Polizisten hätten scharfe Schäferhunde, die die Menschen jagen und fangen würden. Dann werden die Menschen ohne jede Formalität oder Dokumentation kurzerhand an die Grenze gebracht und nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben.

„Für uns sind die Push-Backs Fakt“, sagt Mite Cilkovski von der International Organisation for Migration – IOM - der das Camp Miral in Velika Kladusa leitet. Auch dieses Camp ist belegt und nur Verletzte werden aufgenommen. Als er mit uns spricht, biegt eine Gruppe von Familien mit kleinen Kindern um die Ecke. Sie seien fünf Tage durch den Wald gelaufen, erzählt ein Afghane, der seinen weinenden vier Monate alten Sohn in den Armen hält. Sie seien von der kroatischen Polizei abgeschoben und geschlagen worden.

Amnesty International: Kroatische Polizisten immer brutaler

Menschenrechtsorganisationen dokumentieren Grenzgewalt auf dem gesamten Balkan, doch die kroatische Polizei gehe an der EU-Grenze zu Bosnien-Herzegowina besonders brutal vor, heißt es sinngemäß in einem neuen Bericht von Amnesty International. Dieser bezieht sich auf 16 verletzte Pakistaner und Afghanen und bosnische Ärzte, die diese behandelt haben. Die Menschen hätten komplizierte Brüche und schlimme Kopfwunden gehabt und seien zum Teil so stark misshandelt worden, dass sie nicht mehr alleine hätten laufen können und im Krankenhaus behandelt werden mussten. Abgesehen von der Gewalt hätten kroatische Polizisten unter Gelächter Ketchup und Mayonnaise in die Wunden der Menschen geschmiert. Das haben viele Flüchtende bei sich, da sie trockenes Brot damit weicher machen, erzählt uns der Afghane Mustafa. Er sei mehrfach von der kroatischen Polizei nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben worden.

Verstoß gegen Genfer Flüchtlingskonvention

Ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, kroatisches, sowie europäisches Recht das auch Menschen ohne gültige Papiere vor Willkür schützt, denn sie haben ein Recht auf ein transparentes Verfahren. Bei Abschiebungen nach Bosnien-Herzegowina müsste jemand die Abgeschobenen offiziell in Empfang nehmen, doch das ist graue Theorie. Das kroatische Innenministerium hat alle Vorwürfe erneut zurückgewiesen. Man lehne die Vorstellung ab, dass ein kroatischer Polizeibeamter so etwas tun oder ein Motiv dafür haben könnte. Wer Migranten täglich begegne, sei mit dem Muster gegenseitiger Abrechnung vertraut, insbesondere zwischen Afghanen und Pakistanern.