Agrargüter, vor allem Getreide, zählen zu den wichtigsten Einnahmequellen der Ukraine. Abnehmer waren bis Kriegsbeginn vor allem Länder in Afrika, Asien und dem Nahen Osten. Weil Russland die Exportrouten über das Schwarze Meer blockiert, versucht die Ukraine, Produkte verstärkt über den Landweg zu exportieren. Das aber sorgt seit Kriegsbeginn für politische und wirtschaftliche Verwerfungen auf dem europäischen Markt.
Bayerischer Bauernverband zunehmend besorgt
Noch vor wenigen Wochen äußerte sich der Bayerische Bauernverband (BBV) gelassen. Auf BR24-Anfrage hieß es Anfang August aus Marktberichtsstelle des BBV: "In den Händlergesprächen in der letzten Woche konnte kein verstärktes Angebot von Maklern aus dieser Region (Ukraine) festgestellt werden."
Inzwischen schauen Marktbeobachter mit größerer Sorge auf die Preise: Die Getreidemengen aus der Ukraine seien langsam spürbar, teilt der BBV mit und verweist auf die Entwicklung beim Körnermais: Die Erzeugerpreise seien in den vergangenen vier Wochen um 30 Euro pro Tonne gefallen.
Günther Felßner, Präsident des BBV, beobachtet mit Sorge, wie die Warenströme von ukrainischem Getreide auf das europäische Festland statt in die bedürftigen Zielländer in Afrika und Asien verschoben werden. Damit würden die Erzeugerpreise in Bayern unter Druck gesetzt. Deshalb seine Forderung: Die Politik müsse alles dafür tun, sowohl das Getreideabkommen mit Russland als auch den Festlandtransit von ukrainischem Getreide in die afrikanischen Zielländer sicherzustellen.
EU-Solidaritätsvereinbarungen mit der Ukraine sorgt für Streit
Die Nachbarländer der Ukraine hatten ursprünglich angeboten, den Transport über eigenes Territorium zuzulassen. Das war Teil der Vereinbarungen zu sogenannten Solidarity Lanes. Aber die für den Weltmarkt gedachten Lieferungen gelangten offenbar erst gar nicht zu den Meerhäfen. Das zusätzliche Angebot führte zu fallenden Preisen und zu Protesten der Bauern im Osten der EU.
Daraufhin hatte die EU ein Embargo erlassen: Getreide aus der Ukraine durfte in Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und der Slowakei nicht mehr verkauft werden. Nur noch der Transit auf den übrigen Binnenmarkt beziehungsweise der Export in Drittstaaten blieb erlaubt.
Wie viel ukrainisches Getreide schlussendlich in Deutschland verkauft wurde oder wird, ist schwer nachzuvollziehen. Staatliche Stellen führen darüber keine Statistiken. Denn Verkäufe innerhalb der EU werden nicht erfasst. Allerdings befürchten nicht nur deutsche Landwirte, dass inzwischen Ukraine-Getreide in relevanten Mengen in EU-Länder verkauft wird.
BayWa: "Bayern ist nur Beobachter des Streits"
Diese Gefahr sieht Antje Krieger aktuell nicht. Die Sprecherin des Agrarhandelskonzerns BayWa mit Sitz in München sieht keine Anzeichen dafür, dass Exporte aus der Ukraine massenhaft in Deutschland oder in Bayern landen. Zum einen sei man gut versorgt mit Waren aus der eigenen Produktion. Zum anderen "sind die Mengen, die aus der Ukraine auf dem Landweg (Straße, Schiene und Donauhäfen) exportiert werden können, begrenzt." Und diese Kapazitäten seien bereits ausgelastet, sagt Krieger auf BR24-Anfrage.
Mit einer Ausnahme: Raps aus der Ukraine wird nach Angaben der BayWa in deutschen Ölmühlen verarbeitet – was Krieger als "ganz normale Warenströme" bezeichnet: Der Raps werde schlichtweg gebraucht. Insofern sei Bayern lediglich Beobachter des Streits um den Sonderweg osteuropäischer Länder, so Krieger: "Davon betroffen sind wir nicht".
Lösung über Transportsubventionen oder Exportlizenzen
Das Embargo zum Schutz der osteuropäischen EU-Länder lief vergangene Woche aus. Daraufhin ordneten Polen, Ungarn und die Slowakei auf eigene Faust Restriktionen gegen ukrainische Getreide-Importe an. Spanien und die Ukraine haben dagegen Klage eingereicht. Der politische Streit geht also weiter.
Um die Ukraine-Exporte doch über den Landweg in den globalen Handel zu bringen, schlägt EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski vor, die Transportkosten auf den Solidarity Lanes zu subventionieren. Nach Einschätzung von Herbert Dorfmann, agrarpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, wird diese Idee aber keine Unterstützung in der Kommission bekommen. Dorfmann schlägt stattdessen Exportlizenzen vor: Danach müsste die Ukraine garantieren, dass zumindest ein Teil des über EU-Territorium transportierten Getreides die EU auch wieder verlässt.
Getreideabkommen mit Russland muss erneuert werden
Auch Dorfmann glaubt nicht, dass relevante Mengen in EU-Ländern verkauft werden könnten. Anders als im vergangenen Jahr seien sowohl die Ernten in der Ukraine als auch in Zentraleuropa diesen Sommer gut und ausreichend. Es herrsche also keine Not. Aus Sicht der Ukraine sei es entscheidend, dass Russland die Blockade im Schwarzen Meer beendet.
Bei Kriegsbeginn im Februar 2022 sind die Preise für Getreide an den Märkten immer wieder in Bewegung. Im Mai 2022 war der Weizenpreis auf ein Rekordhoch gestiegen, bis zu 435 Euro wurde für eine Tonne Weizen gezahlt. Nach dem Getreideabkommen vom Juli 2022 mit Russland, das Exporte über Schwarzmeerhäfen wieder zuließ, fielen die Preise wieder auf Vorkriegsniveau. Allerdings wurde das Abkommen im Juli nicht verlängert, was die Ukraine wieder in Nöte brachte und die Märkte erneut in Unruhe versetzte.
Zwei Getreidefrachter unterwegs im Schwarzen Meer
Langfristig bleibt für die Ukraine der Export von Getreide über den Seeweg der wichtigere Faktor – und da bewegt sich was: trotz der Blockade Russlands hat jüngst ein ziviles Frachtschiff den ukrainischen Schwarzmeerhafen Tschornomorsk verlassen, mit 3.000 Tonnen Weizen an Board.
Nach Angaben der ukrainischen Regierung ist es einer von zwei zivilen Frachtern, die seit dem Ende des Getreideabkommens auf eigenes Risiko einen ukrainischen Hafen angelaufen haben. Beide Schiffe könnten 20.000 Tonnen Weizen in afrikanische und asiatische Länder bringen. Beide Schiffe fahren unter der Flagge des Pazifikstaats Palau, ihre Besatzungen bestehen Kiew zufolge aus Bürgern der Ukraine, der Türkei, Aserbaidschans und Ägyptens.
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