Riesig und bunt ist das Gemälde von Andrea Huyoff, das die Bühne beherrscht. Und voller Widersprüche. Die schräg im Bild schwebende Tänzerin hält ein Maschinengewehr. Der Totenschädel eines Tieres leuchtet ihr im Dunkeln neonfarben entgegen. Dazwischen die biblisch anmutende Skizze von Mutter mit Kind. Vielleicht, denn noch ist das Bild in diesem Atelier, das zur Bühne wird, nicht fertig. Es wird weiter gemalt, ausgemalt, aufgeführt. Angeleitet von dem Kind, das in Hanoch Levins Stück träumt. Einen Traum zwischen Horror und Groteske:
Flucht als Albtraum
Es ist der Albtraum einer Flucht, aus dem das Kind nicht erwachen wird. Nach der Ermordung des Vaters fliehen Mutter und Kind an Bord eines Schiffes, um auf einer Insel Asyl zu erbitten, das ihnen verwehrt wird. Hanoch Levin verbindet in „Das Kind träumt“ den historischen Vorfall eines 1939 mehrfach abgewiesenen Flüchtlingsschiffs mit der Wucht der griechischen Tragödie und dem Pathos des Symbolismus. Allegorisch, manchmal grotesk. Poetisch, manchmal auch zynisch. Existenziell und hoch aktuell.
Im Vertrauen auf die Vorlage kreiert Regisseurin Antje Thoms eine manchmal mehr schwerfällige als plastische Phantasiewelt, die sich Realität einverleibt hat: Ihre Flüchtlinge sind ebenso die heutigen Bootsflüchtlinge wie ein stilisierter Chor skurriler Egozentriker. Katharina Rehn spielt als Amalgam aus diversen Frauenfiguren des
Stückes die raunende Strippenzieherin zwischen Kunstliebhaberin und Märchenfee. Andrej Kaminsky gibt nicht nur das Klischee des bösartigen Kapitäns, sondern auch den wehleidig-heuchlerischen Herrscher der Insel. Er und seine Untertanen sind in den zerfetzten weißen Plastikanzügen zugleich Forensiker der Gegenwart und abgewandelte Harlekine aus der commedia dell’ arte.
Artifizielle Welt
Thoms findet viele Bilder, spielt mit der Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum und sucht durch die Besetzung des Kindes mit einem tatsächlichen Kind den Bruch mit dieser artifiziellen Welt. Aber in eben dieser verfängt sich der Abend. Die Ideen bleiben aneinandergereiht, Atmosphäre will nicht recht entstehen, weder die des Traums noch die des Albtraums. Die Poesie von Levins Text verliert sich im monotonen szenischen Rhythmus. Diese Inszenierung erscheint so gefangen in ihrem Kunstraum, wie das Kind in seinem Traum. Dabei hätte man beiden ein Aufwachen gewünscht.