Die Documenta. Bis vor kurzem noch der Inbegriff von Aufklärung und Modernität. Dann kamen die Verstrickungen der ersten Macher mit dem Nationalsozialismus heraus. Vor allem der an den ersten Ausgaben beteiligte Werner Haftmann erregte Anstoß, weil er sich aktiv an der Partisanenbekämpfung in Italien beteiligt hatte – der diese Episode aber nach Kriegsende nie erwähnte und sich so den Weg in den internationalen Kunstbetrieb ebnete. Und dann hängte die Künstlergruppe Taring Padi ein antisemtisches Banner auf dem Platz vor dem Fridericianum auf - dem zentralen Ort der Documenta. Ein krasses Versagen des Kuratorenkollektivs Ruangrupa. Und leider eines, das sich angekündigt hatte.
Erst die Vorwürfe und nun der Antisemitismusskandal
Im Zentrum des Kuratoren-Kollektivs Ruangrupa stehen Austausch und Kommunikation. Aber offenbar nur auf der Ebene der Kunst. Die Liste der Eingeladenen hat einen Schwerpunkt: Kollektive, die den white cube, die abgetrennten Kunsträume verlassen und sich kunstfernen Gruppen bzw. sozialen Aufgaben öffnen wollen. Eine wichtige Erweiterung der Diskussion, was Kunst darf und manchmal sogar kann. Im Vorfeld der Schau sah sich das Documenta-Kollektiv selbst mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert. Die wies sie weit von sich, unterstellte ihren Kritiker*innen Rassismus und fordert, sich erst die Ausstellung anschauen, bevor über die Auswahl debattiert werde.
Die Schau ist nun eröffnet und der Skandal da: Sehr zentral – auf dem Friedrichsplatz – wurde das Banner "People’s Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi aufgestellt. Darauf wurden Mossad-Mitglieder mit Schweineköpfen sowie ein Schläfenlocken tragender Jude mit Zigarre und SS-Hut karikiert. "Zweifellos … überschreitet die Karikatur des Juden die Grenzen dessen, was in Deutschland gezeigt werden sollte", befand denn auch die Kunstzeitschrift Monopol, die das Kollektiv bisher energisch gegen Kritik verteidigt hatte.
Fatale Kommunikationsfehler im Vorfeld
Zur Vorgeschichte: Die Antisemitismusvorwürfe gegen die aktuellen Documentamacher*innen wurden schon im Vorfeld der Kunstschau in einem anonymen Blogbeitrag auf der Seite "Bündnis gegen Antisemitismus Kassel" vorgebracht. Darin wird der Documenta vorgeworfen, die "braunen Schatten" in ihrer Geschichte nicht sehen zu wollen, für die Haftmanns und auch Joseph Beuys stünden. Mehr noch: Mitglieder des Teams haben Künstler bzw. Gruppen eingeladen, die für eine antizionistische bzw. israelfeindliche Politik stehen – und außerdem sich selbst als Israelgegner positioniert. Die Vorwürfe sind massiv und komplex.
Statt zügig auf den Antisemitismus-Verdacht zu reagieren, verhielt sich Ruangrupa anfangs seltsam verhalten: Statt sich klar zu positionieren, kündigte man ein Symposion in Kassel an, das unter anderem auch Antisemitismus zum Gegenstand haben sollte. Ab dem 8. Mai sollte in drei Veranstaltungen unter dem Titel "We need to talk! Art – Freedom – Solidarity" über "das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie" debattiert werden. Nach Kritik an der Zusammensetzung der Veranstaltung, darunter auch vom Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Genauer: ausgsetzt und auf unbestimmte Zeit vertagt. "Die documenta wird zunächst die Ausstellung beginnen und für sich sprechen lassen, um die Diskussion dann auf dieser Basis sachgerecht fortzusetzen", hieß es auf der Webseite.
Offener Brief des Kuratorenkollektivs Ruangrupa
Dann hatte sich Ruangrupa sowie einige der zum Symposion Eingeladenen mit einem offenen Brief in der Berliner Zeitung und dem Branchendienst e-flux zu Wort gemeldet: "Im Rahmen der documenta fifteen wurden zu keinem Zeitpunkt antisemitische Äußerungen gemacht. Wir treten diesen Anschuldigungen entschieden entgegen und kritisieren den Versuch, Künstler*innen zu delegitimieren und sie auf Basis ihrer Herkunft und ihren vermuteten politischen Einstellungen präventiv zu zensieren. Es war auch nicht geplant, Veranstaltungen der palästinensischen BDS-Bewegung abzuhalten."
Das klang eindeutig. Aber beim Weiterlesen verwischte sich dieser Eindruck: "Um als antisemitisch bezeichnet zu werden, muss man demnach BDS weder unterstützen noch verteidigen. Es reicht, dass man sich gegen einen pauschalen Ausschluss aller BDS-Befürworter*innen ausspricht." Das mag für den Kassler Blogautor stimmen – aber wirklich auch für die gesamte Debatte?
Kritik als rassistisch gebrandmarkt
Ruangrupa sah sich als Opfer eines ungerechtfertigten Shitstorms: "Die Existenz der vom 'Bündnis gegen Antisemitismus Kassel' vorgebrachten Vorwürfe, deren Quellenmaterial im Wesentlichen aus amateurhafter Internet-Recherche besteht, ist sicherlich beklagenswert. Dass die kolportierten Vorwürfe es aber in die deutschen Qualitätsmedien geschafft haben, ist ein Skandal." Interessant: Während eine Verlinkung für die Unterstützerstimmen des Documenta-Teams erfolgte, unterblieb sie hier. Welche Qualitätsmedien gemeint waren, blieb also offen. Die Behauptung klang nach pauschalisierender Medienkritik. Und auch sonst bliebt der offene Brief seltsam unscharf. So in seiner Kritik der Resolution des Bundestags, keine staatlichen Gelder mehr zu zahlen für Künstler*innen und Projekte, die zum Boykott Israels aufrufen. Das Kollektiv hielt diese Resolution offenbar für falsch bzw. für überholt: die Resolution entstamme der "letzten Legislaturperiode" und "zahlreiche Gerichte hätten inzwischen festgestellt haben, dass ihre praktische Umsetzung nicht verfassungskonform ist." Tatsächlich aber wurde die Klage von BDS-Unterstützern gegen den Bundestag abgewiesen. Bedenklich vor allem, dass die Aussage von Ruangrupa, es gäbe keinen Antisemitismus bzw. keine Israel-Feindlichkeit unter den Beteiligten, nur ein frommer Wunsch gewesen zu sein scheint. Die "Welt" kommt nach einem Abgleich der Documenta-Teilnehmerliste mit sieben israelfeindlichen Briefen und Boykottaufrufen zu einem ganz anderen Ergebnis: Mindestens 84 Beteiligte hätten diese unterschrieben.
Die Schau ist nun eröffnet und der Skandal da: Sehr zentral – auf dem Friedrichsplatz – wurde das Banner "People’s Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi aufgestellt. Darauf wurden Mossad-Mitglieder mit Schweineköpfen sowie ein Schläfenlocken tragender Jude mit Zigarre und SS-Hut karikiert. "Zweifellos … überschreitet die Karikatur des Juden die Grenzen dessen, was in Deutschland gezeigt werden sollte", befand denn auch die Kunstzeitschrift Monopol, die das Kollektiv bisher energisch gegen Kritik verteidigt hatte.
Fatale Kommunikationsfehler im Vorfeld
Zur Vorgeschichte: Die Antisemitismusvorwürfe gegen die aktuellen Documentamacher*innen wurden schon im Vorfeld der Kunstschau in einem anonymen Blogbeitrag auf der Seite "Bündnis gegen Antisemitismus Kassel" vorgebracht. Darin wird der Documenta vorgeworfen, die "braunen Schatten" in ihrer Geschichte nicht sehen zu wollen, für die Haftmanns und auch Joseph Beuys stünden. Mehr noch: Mitglieder des Teams haben Künstler bzw. Gruppen eingeladen, die für eine antizionistische bzw. israelfeindliche Politik stehen – und außerdem sich selbst als Israelgegner positioniert. Die Vorwürfe sind massiv und komplex.
Statt zügig auf den Antisemitismus-Verdacht zu reagieren, verhielt sich Ruangrupa anfangs seltsam verhalten: Statt sich klar zu positionieren, kündigte man ein Symposion in Kassel an, das unter anderem auch Antisemitismus zum Gegenstand haben sollte. Ab dem 8. Mai sollte in drei Veranstaltungen unter dem Titel "We need to talk! Art – Freedom – Solidarity" über "das Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie" debattiert werden. Nach Kritik an der Zusammensetzung der Veranstaltung, darunter auch vom Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wurde die Veranstaltung kurzfristig abgesagt. Genauer: ausgsetzt und auf unbestimmte Zeit vertagt. "Die documenta wird zunächst die Ausstellung beginnen und für sich sprechen lassen, um die Diskussion dann auf dieser Basis sachgerecht fortzusetzen", hieß es auf der Webseite.
Offener Brief des Kuratorenkollektivs Ruangrupa
Dann hatte sich Ruangrupa sowie einige der zum Symposion Eingeladenen mit einem offenen Brief in der Berliner Zeitung und dem Branchendienst e-flux zu Wort gemeldet: "Im Rahmen der documenta fifteen wurden zu keinem Zeitpunkt antisemitische Äußerungen gemacht. Wir treten diesen Anschuldigungen entschieden entgegen und kritisieren den Versuch, Künstler*innen zu delegitimieren und sie auf Basis ihrer Herkunft und ihren vermuteten politischen Einstellungen präventiv zu zensieren. Es war auch nicht geplant, Veranstaltungen der palästinensischen BDS-Bewegung abzuhalten."
Das klang eindeutig. Aber beim Weiterlesen verwischte sich dieser Eindruck: "Um als antisemitisch bezeichnet zu werden, muss man demnach BDS weder unterstützen noch verteidigen. Es reicht, dass man sich gegen einen pauschalen Ausschluss aller BDS-Befürworter*innen ausspricht." Das mag für den Kassler Blogautor stimmen – aber wirklich auch für die gesamte Debatte?
Kritik als rassistisch gebrandmarkt
Ruangrupa sah sich als Opfer eines ungerechtfertigten Shitstorms: "Die Existenz der vom 'Bündnis gegen Antisemitismus Kassel' vorgebrachten Vorwürfe, deren Quellenmaterial im Wesentlichen aus amateurhafter Internet-Recherche besteht, ist sicherlich beklagenswert. Dass die kolportierten Vorwürfe es aber in die deutschen Qualitätsmedien geschafft haben, ist ein Skandal." Interessant: Während eine Verlinkung für die Unterstützerstimmen des Documenta-Teams erfolgte, unterblieb sie hier. Welche Qualitätsmedien gemeint waren, blieb also offen. Die Behauptung klang nach pauschalisierender Medienkritik. Und auch sonst bliebt der offene Brief seltsam unscharf. So in seiner Kritik der Resolution des Bundestags, keine staatlichen Gelder mehr zu zahlen für Künstler*innen und Projekte, die zum Boykott Israels aufrufen. Das Kollektiv hielt diese Resolution offenbar für falsch bzw. für überholt: die Resolution entstamme der "letzten Legislaturperiode" und "zahlreiche Gerichte hätten inzwischen festgestellt haben, dass ihre praktische Umsetzung nicht verfassungskonform ist." Tatsächlich aber wurde die Klage von BDS-Unterstützern gegen den Bundestag abgewiesen. Bedenklich vor allem, dass die Aussage von Ruangrupa, es gäbe keinen Antisemitismus bzw. keine Israel-Feindlichkeit unter den Beteiligten, nur ein frommer Wunsch gewesen zu sein scheint. Die "Welt" kommt nach einem Abgleich der Documenta-Teilnehmerliste mit sieben israelfeindlichen Briefen und Boykottaufrufen zu einem ganz anderen Ergebnis: Mindestens 84 Beteiligte hätten diese unterschrieben.
Wenn sich das bewahrheiten sollte, dann zeigt sich: Ruangrupa wollte das Problem einfach nicht sehen. Stattdessen wurde der große Knüppel Rassismus herausgeholt: "Der Vorwurf der 'BDS-Nähe', aus dem wiederum der Vorwurf des 'Israel-bezogenen Antisemitismus' abgeleitet wird, trifft vor allem Menschen aus dem Globalen Süden und insbesondere aus dem Nahen Osten und führt zu Ausschlüssen und Ausladungen." Hier wurde eine schrankenlose Offenheit für Positionen eingefordert, die bedeutet hätte, dass sie nicht kritisiert werden dürfen. Das hatte mit echter Offenheit nichts zu tun, sondern stellte Äußerungen aus dem "Globalen Süden" quasi unter Artenschutz.
Die Kunstfreiheit hat Grenzen
Wenig hilfreich war es auch deshalb, sich hinter dem Begriff Kunstfreiheit zurückzuziehen, wie es die Kunstzeitschriften Art und Monopol getan haben. Ausstellungen sind nicht dazu da, antiisraelische Propaganda zu unterstützen. Und ein echter Lernprozess scheint bei Ruangrupa nicht eingesetzt zu haben. Dass das auf dem Friedrichsplatz kurzzeitig aufgestellte Banner "People's Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi die befürchtete Grenzüberschreitung tatsächlich losgetreten hat, mag man kaum für möglich halten: Die Karikaturen schweinsköpfiger Mossad-Mitglieder und eines Schläfenlockenjuden mit Zigarre und SS-Hut würden zweifellos die Grenzen dessen überschreiten, was in Deutschland gezeigt werden sollte, befindet selbst die Zeitschrift Monopol. Die Botschaft des Friedrichplatz-Banners ist überdeutlich und lautet: 'Der Jude – als orthodoxer Schläfenlockenjude eine Karikatur seiner selbst – ist der Nazi von heute'.
"Das ist klare antisemitische Hetze"
Entsprechend groß ist die weltweite Welle der Empörung über das Banner. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, forderte die Verantwortlichen der Documenta auf, den Beitrag des wegen antisemitischer Motive zu entfernen. "Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu. Das ist klare antisemitische Hetze", sagte Mendel der Deutschen Presse-Agentur. Aus dem Internationalen Auschwitz Komitee wurde "Fassungslosigkeit" über "die desolate Entwicklung um die documenta 15" geäußert.
Und auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die im Vorfeld bereits versucht hatte, in der Debatte zu vermitteln, stellte klar: "Das ist aus meiner Sicht antisemitische Bildsprache." Gleichzeitig wird sie für ihre Aussage in einem Interview mit dem Spiegel vom 11. Juni 2022 kritisiert, dass sie nicht als Kulturpolizistin den Daumen heben oder senken werde. Denn schließlich finanziert auch die Bundeskulturstiftung die Documenta. Gleiches gilt für Hessen und die Stadt Kassel, die Hauptgeldgeber der Ausstellung.
Twitter-Beitrag von MeronMendel: "Diese non apology der #Documenta-Leitung macht mich sprachlos: 1. Sie stützen ein Kollektiv, das nicht willens ist, sich seiner eigenen antisemitischen Bilder zu stellen. https://t.co/cNA5K1TlIR"
Wenn sich das bewahrheiten sollte, dann zeigt sich: Ruangrupa wollte das Problem einfach nicht sehen. Stattdessen wurde der große Knüppel Rassismus herausgeholt: "Der Vorwurf der 'BDS-Nähe', aus dem wiederum der Vorwurf des 'Israel-bezogenen Antisemitismus' abgeleitet wird, trifft vor allem Menschen aus dem Globalen Süden und insbesondere aus dem Nahen Osten und führt zu Ausschlüssen und Ausladungen." Hier wurde eine schrankenlose Offenheit für Positionen eingefordert, die bedeutet hätte, dass sie nicht kritisiert werden dürfen. Das hatte mit echter Offenheit nichts zu tun, sondern stellte Äußerungen aus dem "Globalen Süden" quasi unter Artenschutz.
Die Kunstfreiheit hat Grenzen
Wenig hilfreich war es auch deshalb, sich hinter dem Begriff Kunstfreiheit zurückzuziehen, wie es die Kunstzeitschriften Art und Monopol getan haben. Ausstellungen sind nicht dazu da, antiisraelische Propaganda zu unterstützen. Und ein echter Lernprozess scheint bei Ruangrupa nicht eingesetzt zu haben. Dass das auf dem Friedrichsplatz kurzzeitig aufgestellte Banner "People's Justice" der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi die befürchtete Grenzüberschreitung tatsächlich losgetreten hat, mag man kaum für möglich halten: Die Karikaturen schweinsköpfiger Mossad-Mitglieder und eines Schläfenlockenjuden mit Zigarre und SS-Hut würden zweifellos die Grenzen dessen überschreiten, was in Deutschland gezeigt werden sollte, befindet selbst die Zeitschrift Monopol. Die Botschaft des Friedrichplatz-Banners ist überdeutlich und lautet: 'Der Jude – als orthodoxer Schläfenlockenjude eine Karikatur seiner selbst – ist der Nazi von heute'.
"Das ist klare antisemitische Hetze"
Entsprechend groß ist die weltweite Welle der Empörung über das Banner. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, forderte die Verantwortlichen der Documenta auf, den Beitrag des wegen antisemitischer Motive zu entfernen. "Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu. Das ist klare antisemitische Hetze", sagte Mendel der Deutschen Presse-Agentur. Aus dem Internationalen Auschwitz Komitee wurde "Fassungslosigkeit" über "die desolate Entwicklung um die documenta 15" geäußert.
Und auch die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die im Vorfeld bereits versucht hatte, in der Debatte zu vermitteln, stellte klar: "Das ist aus meiner Sicht antisemitische Bildsprache." Gleichzeitig wird sie für ihre Aussage in einem Interview mit dem Spiegel vom 11. Juni 2022 kritisiert, dass sie nicht als Kulturpolizistin den Daumen heben oder senken werde. Denn schließlich finanziert auch die Bundeskulturstiftung die Documenta. Gleiches gilt für Hessen und die Stadt Kassel, die Hauptgeldgeber der Ausstellung.
Wann übernimmt Ruangrupa endlich Verantwortung?
Am 20.6. wurde das Banner erst verhüllt, nach anhaltendem Protest schließlich einen Tag später komplett abgebaut. Was muss noch alles passieren, damit sich Ruangrupa endlich für die eigene Ausstellung verantwortlich fühlt? Oder missbrauchen sie das "Kollektiv" dafür, dass jeder alles machen kann, ohne dass sie wenigstens einmal auf die Arbeiten geschaut haben? Ihr Herumlavieren beschützt nicht die Kunstfreiheit, sondern beschädigt eine weltweit anerkannte Kunstausstellung.
Erst am 23. Juni entschuldigte sich Ruangrupa auf der Webseite der Documenta Fifteen: "Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken. Es ist unser Fehler. Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Schande, Frustration, Verrat und Schock, die wir bei den Betrachtern verursacht haben." Befremdlich allerdings, dass sich niemand aus dem Team bereitfand, am 29. Juni an einer Podiumsdiskussion über die Antisemitismus-Vorwürfe teilzunehmen. Glaubt Ruangrupa allein mit seiner Entschuldigung die Aufregung beenden zu können? Es scheint, als sei die Gruppe immer noch nicht in Kassel angekommen. Aber vielleicht war ihr Motto "Make friends, not art" immer ein Wolkenkuckucksheim, das die wirklichen Konflikte, die kulturellen Unterschiede und Kontexte vor Ort schlicht zu umgehen hoffte. Das war mehr nett als ambitioniert. Und deswegen hatte das Kuratorenteam auch keinen Plan B, als das – absehbar – scheiterte. Konflikt ist auch ein Kontext. Aber für den hat Ruangrupa bisher keine Sprache gefunden.
Am 24.6. folgte ein Statement von Taring Padi. Und noch ein weiteres, zwei Wochen später: Das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi entschuldigt sich nochmals für die antisemitischen Darstellungen auf ihrem großen Banner "People’s Justice“ (2002): "Das war ein Fehler, den wir eingestehen“, sagt das Kollektiv in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". "Wir entschuldigen uns dafür. Auch für die Verletzungen, die diese Karikaturen angerichtet haben.“ Das wegen seiner antisemitischen Karikaturen umstrittene Werk "People’s Justice" sei vor zwanzig Jahren in einem Prozess kollektiver Arbeit entstanden: "Im Rückblick sehen wir: Es gab keine Kontrolle, was die Beteiligten malten. Das soll nichts entschuldigen, ein Fehler bleibt ein Fehler."
Am 17.7.2022 wurde bekannt, dass als Konsequenz aus der Kritik Generaldirektorin Sabine Schormann nach einer Aufsichtsratssitzung ihr Amt niederlegte. Eine Stellungnahme von Ruangrupa dazu erfolgte bisher nicht.
Eine ältere Fassung dieses Beitrags wurde in der kulturWelt auf Bayern 2 gesendet.
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