Der Song "L’Amour Toujours" wurde 2001 veröffentlicht und weltweit in Clubs gespielt. Die Zutaten zu diesem Partyklassiker: eine simple Melodie und ein simpler Text, der von ewiger Liebe und einer gemeinsamen Zukunft erzählt. Seit dem vergangenen Jahr wird das harmlose Werk des italienischen DJs und Musikproduzenten Gigi D'Agostino immer wieder zweckentfremdet.
Immer wieder Zwischenfälle
In Diskotheken und Volksfesten in ganz Deutschland wurde die ausländerfeindliche Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" über die Melodie des Songs gegrölt, unter anderem in Landsberg am Lech, in Weiden in der Oberpfalz und in Greding im Altmühltal, dort nach BR-Recherchen offenbar auch von Mitgliedern und Landtagsabgeordneten der AfD und ihrer Jugendorganisation "Junge Alternative". Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ermittelt seit Februar wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen vier Personen, die bei dem Disco-Besuch nach einem AfD-Parteitag am 13. Januar dabei gewesen sein sollen.
Aktuell sorgt ein Video für Empörung, das auf der Terrasse des Sylter Nobel-Clubs "Pony" gedreht wurde: Auch hier sieht man junge Menschen den rassistischen Text grölen. Ein Mann macht mit seinen Fingern eine Geste, die an einen Hitlerbart erinnert und hebt den rechten Arm, während um ihn herum mehrere junge Leute "Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen" rufen.
Tabubrüche, die strafbar sein können
"Junge Leute erkennen den Ernst womöglich gar nicht", sagt Rupert Grübl, Leiter der bayerischen Landeszentrale für politische Bildung. Und das sei ja auch eine Taktik der Rechten, "zu sagen: Ist ja alles gar nicht so ernst gemeint, war ja nur als Scherz. Aber mit solchen Dingen etabliert man natürlich über das gesprochene Wort Gedanken in der Gesellschaft. Und man nutzt die Macht des Wortes aus, um solche Tabubrüche zu begehen."
Tabubrüche, die strafbar sein können. Immerhin geht es hier um den Anfangsverdacht der Volksverhetzung. Tabubrüche, die scheinbar zufällig passieren und einer Strategie der neuen Rechten folgen dürften. "Leider muss man sagen: Die machen das sehr geschickt auf eine Art und Weise, die sich häufig eben jenseits der strafrechtlichen Relevanz bewegt", sagt Rupert Grübl. Und dennoch gelinge es ihnen auf diese Weise, junge Leute mit einem solchen Gedankengut zu konfrontieren. "Wir wollen hoffen, dass Bildung, dass Medienbildung dagegenhalten kann. Und solche Lieder als das von jungen Leuten erkannt werden, was sie sind, nämlich rechte Nazi-Propaganda."
Doch viele erkennen offenbar die rechtsextreme Propaganda nicht oder übernehmen sie bewusst, wenn sie überzeugt mitsingen: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus." Das sei eine grundsätzliche Strategie der neuen Rechten, um "ihre antiliberalen, anti-egalitären und auch antidemokratischen Positionen zunächst einmal auf subtile, und - ich würde mal sagen - stille Art und Weise an die Gesellschaft heranzutragen", sagt Florian Volm, Pressesprecher im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. "Und dabei werden eben unter anderem auch popkulturelle Referenzen verwendet, die eine Art Wiedererkennungswert mit sich bringen."
Die Botschaft kommt an - auch ohne Parolen
Längst findet sich die rassistische Propaganda auf Handyvideos, mitgefilmt in Clubs und weiterverbreitet auf TikTok und anderen Plattformen. Der Verfassungsschutz beobachtet die Entwicklung offenbar mit Argusaugen. So werde "L’Amour Toujours" mit dem abgeänderten Refrain zwar auf einigen Accounts der rechtsextremistischen Szene aufgegriffen und geteilt, von einem viralen Trend könne aber nicht gesprochen werden, erklärt Verfassungsschutz-Sprecher Florian Volm.
Die Botschaft kommt aber längst auch ohne die Parolen an, alle wissen, was gemeint ist. Hier werden Dinge sagbar gemacht, ohne dass sie gesagt werden müssen. Welche Absichten stecken hinter einer solchen Instrumentalisierung von Popkultur, speziell von Musik? Zum ersten stärke das die Identifikation der Szene und damit auch den Gruppenzusammenhalt. Zum Zweiten könnten damit rechtliche Konsequenzen und auch Sperrungen von Social-Media-Accounts verhindert werden, sagt Florian Volm. "Und zum dritten, und das ist eigentlich das Wichtigste, würde ich sagen, wird da doch auch die Bekanntheit radikaler Ansichten erhöht, während die zugrunde liegende extremistische Ideologie aber aufgrund ihrer verschleierten Natur unbemerkt bleiben kann."
Gigi D'Agostino will sich selbst nicht äußern
Was lässt sich gegen die Instrumentalisierung von Musik für rechtsextreme Ideologie tun? Verschiedene Clubbetreiber und DJs wollen "L’Amour Toujours" erstmal nicht mehr spielen. Und Rupert Grübl von der Landeszentrale für politische Bildung fordert, weiter Anstrengungen zu unternehmen, damit vor allem junge Leute rechte Propaganda erkennen und nicht darauf hereinfallen.
Was Gigi D’Agostino selbst zur Kaperung seines Songs durch die rechte Szene in Deutschland sagt, wollten wir wissen. Eine Interview-Anfrage des BR hat er jedoch abgelehnt.
Auch andere Stars betroffen
💬 BR24-User "anasemanini" hat in den Kommentaren frühere Kaperungen von Songs angesprochen. Das Team von "Dein Argument" hat ergänzt:
Mit der Vereinnahmung seines Songs von rechts steht Gigi D’Agostino allerdings nicht alleine da. So hatte Helene Fischer gegen die NPD geklagt, weil die rechtsextreme Partei im Jahr 2014 ihren Song "Atemlos durch die Nacht" auf Wahlkampfveranstaltungen zur Landtagswahl in Thüringen gespielt hatte. Die Sängerin wehrte sich vor dem thüringischen Oberlandesgericht – und gewann. Auch gegen die Band "Wir sind Helden" erlitt die NPD 2014 eine juristische Niederlage. Die Musiker konnten eine einstweilige Verfügung erwirken, die es der Partei verbot, das Lied "Gekommen, um zu bleiben" im Wahlkampf in Thüringen zu spielen. 💬
Dieser Artikel ist erstmals am 13. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.
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