Dunkel und eng ist es im ersten Raum der Ausstellung. Nur die von Orhan Pamuk gestalteten Vitrinen an den Wänden sind erleuchtet. Darin zu sehen: Streichholzbriefchen, ein gelber Wasserkrug, Nähzeug, Silberbesteck, ein gelber Stöckelschuh. Pamuk geht es dabei nicht um die Schönheit dieser Objekte, sondern darum, was sie auslösen können: "Wenn wir zum Beispiel ins Kino gehen und das Ticket in die Jackentasche stecken. Wenn wir dann nach zwanzig Jahren das Kinoticket wieder aus dieser Jackentasche ziehen, dann erinnern wir uns dadurch plötzlich wieder an den Film. Dinge haben eine große Kraft, Erinnerungen wachzurufen."
Darin also steckt für Pamuk der "Trost der Dinge". Sie können aus seiner Sicht Geschichten erzählen. Deshalb streift er seit vielen Jahren durch Trödelläden in Istanbul und anderswo. Und deshalb hat er dort auch sein "Museum der Unschuld" gestaltet und eröffnet. Dabei hat das Museum noch eine zweite Ebene - den Roman "Museum der Unschuld".
Der wohlige Schwindel der Verwirrung
Die Geschichte einer unglücklichen Liebe. Weil Kemal und Füsun nicht zusammen sein können, sammelt er Dinge aus ihrem Besitz - für ein Museum, das es nun wirklich gibt, nur eben von Pamuk gestaltet. Man sieht ganz reale Dinge aus einer erfundenen Geschichte - und das erzeuge eine Verwirrung, einen überwältigenden Schwindel: "Was ist echt, was ist erfunden? Ich liebe diese Mehrdeutigkeit, diesen Schwindel, die entstehen, wenn man Realität und Fiktion vermischt", sagt Pamuk.
Diesen wohligen Schwindel können alle, die Pamuks Roman gelesen haben, jetzt auch in München erleben. Wobei Pamuks Spiel mit dem Schwindel hier noch lange nicht vorbei ist. Denn einige der Dinge in den Vitrinen sind gar nicht authentisch, er hat sie nach seinen Vorstellungen von Kunsthandwerkern anfertigen lassen: Die Handtasche zum Beispiel, mit der die Geschichte beginnt. Und das aus gutem Grund: Authentizität ist ihm kein Wert an sich.
Ursprünglich wollte Pamuk bildender Künstler werden
Auch Kopien können aus seiner Sicht eine Aura haben. Und ohne Nachdrucke und Kopien hätte er in seiner Kindheit und Jugend kaum etwas lernen können über die Kunst. In Istanbul gab es damals noch kaum Museen. Bis heute schätzt Pamuk Bildbände und Reproduktionen. Denn die wenigsten hätten nun einmal adlige Freunde, "die uns nach Hause einladen, damit wir einen echten Cézanne oder van Gogh oder Kubin betrachten können. Deshalb sind Nachdrucke eine gute Sache".
Einige Originale hat die Ausstellung dann doch zu bieten. Denn der größte Raum ist den Skizzen, Aquarellen und Zeichnungen von Pamuk selbst gewidmet. Ursprünglich wollte er nämlich bildender Künstler werden. Und so fängt er seine Heimatstadt, das Meer, den Blick aus seinem Fenster und Figuren aus seinen Geschichten in Bildern ein. In kleinen Formaten, ohne prunkvolle Rahmen - und in dem flirrenden Raum zwischen Fiktion und Realität. Wer den Schriftsteller Orhan Pamuk als Künstler und Individuum genauer kennenlernen möchte, ist in dieser Ausstellung am rechten Ort.
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