Kurt Langbein ist ein österreichischer Journalist und Filmemacher, den Fragen der Nachhaltigkeit schon lange beschäftigen: Er ist Mitautor des Sachbuchs "Bittere Pillen", das Medikamente bewertet, hat aber auch viele Filme über Umwelt-, Entwicklungs- und Wirtschaftsprobleme gemacht – von Landraub bis Bioterror. Jetzt stellt er mögliche Lösungen in den Mittelpunkt: "Zeit für Utopien" heißt sein neuer Dokumentarfilm. Judith Heitkamp hat mit Kurt Langbein gesprochen.
Judith Heitkamp: Herr Langbein, warum eigentlich "Utopien" – Sie filmen ja real existierende Genossenschaften, Biolandbau, Unternehmen, die fairen Handel versuchen. Die gibt es ja alle wirklich.
Kurt Langbein: Ja, Utopien sind für mich Vorstellungen einer besseren Welt für alle, und erfreulicherweise gibt es sowohl im Bereich der Lebensmittelversorgung, des Wohnens und des gemeinschaftlichen Produzierens bereits Modelle, die diese Zukunft vorwegnehmen und zeigen: Es geht. Und es geht nicht nur mit Verzicht und Schmallippigkeit, sondern es macht Freude. Die Beispiele, die wir zeigen, demonstrieren sehr deutlich, dass man auch ganz große Versorgungsmodelle auf dieser kooperativen Basis machen kann. Man kann zum Beispiel eine Stadt von 1,5 Millionen Menschen ausschließlich von Kleinbauern mit regionaler frischer Biokost versorgen, das zeigt eine Genossenschaft in Korea, Hansalim heißt die. Wir haben sie besucht, das ist wirklich eine tolle Geschichte.
Erzählen Sie uns mehr über Hansalim
Hansalim wurde vor 30 Jahren gegründet, da waren die Zustände in Südkorea so ähnlich wie vor fünf oder zehn Jahren in China: viel Gifteinsatz, vergiftete Bauern, vergiftete Konsumenten. Dort haben sich Bauern zusammengetan und diese Genossenschaft gegründet. Sie ist zuerst langsam und jetzt sehr schnell gewachsen: Jedes Jahr kommen 60.000 neue Mitglieder auf der Konsumentenseite dazu. Was ich daran so spannend finde ist, dass damit bäuerliche Landwirtschaft wirklich Zukunft bekommt, weil 70 Prozent von dem, was die Konsumenten zahlen, bei den Bauern landen. Bei uns sind das manchmal 20, manchmal 25 Prozent, viel zu wenig, um aus dem bäuerlichen Beruf einen ganz normalen Beruf zu machen und kleinteilige Landwirtschaft zu fördern.
Sie widmen ziemlich viel Zeit in Ihrem Film einer Firma, die versucht, ein faires Smartphone herzustellen, indem sie nämlich die Zustände in den afrikanischen Minen verbessern will, in denen die Erze für die Handys geschürft werden. Was machen die richtig?
Sie machen zunächst einmal richtig, dass sie dieses Mega-Thema überhaupt angehen. Unsere Unterhaltungselektronik ist einfach ein ganz großes Marktsegment und Dutzende Rohstoffe werden von Menschen auf der südlichen Halbkugel buchstäblich mit Händen und Schaufeln aus dem Boden geholt. Die Leute von Fairphone gehen dieser ganzen Produktkette von den Rohstoffen, den Mineralien, die man für so ein Handy braucht – das sind 54 verschiedene – nach und versuchen, überall fairere Bedingungen herzustellen. Das wirkt ein bisschen wie Sisyphusarbeit, aber für immerhin vier von den 54 Rohstoffen haben sie es schon geschafft, sie fair herzustellen. Und die Frequenz, in der man neue Handys kauft, drastisch reduziert werden muss. Darum ist das Fairphone auch modular aufgebaut: Man kann die Kamera, den Akku, den Prozessor, alles selber austauschen. Das heißt, ein Hersteller sorgt selber dafür, dass weniger seiner Produkte gebraucht werden. Das wünsche ich mir von vielen Herstellern, denn da liegt wirklich die Musik der Zukunft drin.
Alle diese Beispiele zeigen eigentlich ein bisschen, dass man sich dafür den Menschen etwas anders vorstellen muss als im "normalen" Bild von einem Konkurrenzwesen. Da fand ich das Stichwort Neurowissenschaft oder Gehirnforschung sehr interessant, die auch Argumente dafür ins Feld führen können: Vielleicht ist der Mensch ja ganz anders?
Ja, das ist vor allem auch der Professor Joachim Bauer, der da der Zeuge dieses anderes Menschenbildes ist. Es zeigt sich einfach, dass der Mensch grundlegend auf Gegenseitigkeit angelegt ist, dass Kooperation für ihn das Allerwertvollste ist und auch ganz viel Glück produziert. Das ist in unserem Hirn so angelegt, da werden die Belohnungszentren aktiviert. In unserer Gesellschaft geht das allzu oft verloren oder es wird ins Gegenteil verkehrt, es wird uns Angst gemacht, wir werden zur Konkurrenz getrieben, und da geht es uns dann eigentlich auch schlecht.