Szene aus dem Netflix-Film "Maestro"
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Filmfestpiele in Venedig: Bilanz des ersten Wochenendes

Der mit Spannung erwartete Film "Maestro" von Bradley Cooper bleibt seltsam oberflächlich. Mit "The Palace" liefert Roman Polanski eine künstlerische Bankrotterklärung ab. "Die Theorie von allem" von Timm Kröger begeistert.

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Die Nase ist gleich im ersten Bild des Films zu sehen. Die Nasenprothese, die sich Hauptdarsteller und Regisseur Bradley Cooper vom Maskenbildner ankleben ließ, um den amerikanischen Dirigenten Leonard Bernstein in dem biographischen Filmdrama "Maestro" zu spielen, das am Samstagabend seine große Premiere auf dem Lido von Venedig feierte.

Der Vorwurf lautete: Jewfacing! Kritisiert wurde, dass Cooper mit seiner künstlichen Nase jüdische Stereotypen bediene – vergleichbar mit der umstrittenen Praxis des Blackfacing. Einige Kritiker stellten sogar die Frage, ob nicht nur jüdische Schauspieler jüdische Charaktere verkörpern dürften. Andere erwidern, das wäre dann das Ende der Schauspielerei: Schließlich gehe es bei dem Metier, bei allen sinnvollen Grenzen, die nicht überschritten werden sollten, darum, jemand Anderen darzustellen, eben auch mithilfe des Maskenbildes.

Bei der Pressekonferenz zu dem Bernstein-Biopic gab es natürlich auch eine Frage zur Nase, wobei die Kinder des Dirigenten schon vor zwei Wochen erklärt hatten, kein Problem mit ihr zu haben, weil – so schrieben sie – es wahr sei, dass ihr Vater "eine schöne, große Nase hatte".

Das Doppelleben von Leonard Bernstein

Die Nase, gab Maskenbildner Kazu Hiro in Venedig zu Protokoll, entspreche ziemlich genau der Originalnase Bernsteins. Wer den aufwändig gedrehten Film anschaut, achtet bald gar nicht mehr darauf. Die ganze Existenz des Dirigenten nimmt einen gefangen. Dessen Karriere beginnt, als er im November 1943 beim New York Philharmonic Orchestra kurzfristig für einen erkrankten Kollegen einspringen muss. Bradley Cooper konzentriert sich dann vor allem auf die Familiengeschichte Bernsteins, der ein Doppelleben führte: Er liebte Männer, heiratete aber die Schauspielerin Felicia Montealegre.

Seltsam oberflächlich und dabei sehr amerikanisch, begleitet der Film dieses Leben: Schwule Liebesszenen werden mehr oder weniger vermieden; Visionen des Dirigenten für ein zukünftiges Amerika fehlen – immerhin hatte er 1957 das explosive Immigrantenmusical "West Side Story" über die ethnischen Konflikte zwischen Puerto-Ricanern und US-Amerikanern mit geschaffen. Im Film kommt es nicht vor. "Maestro" taucht weder in die Musik tiefer ein, noch entwickelt das Drama eine politische Haltung. Bernsteins Leben wird zur austauschbaren Familiengeschichte. Zu wenig, um nun als Oscar Favorit zu gelten.

Ein Alterswerk im schlechtesten Sinne

Nach der "Maestro"-Premiere lief dann gestern Abend im Palazzo del Cinema ein weiterer mit Spannung erwarteter Film – "The Palace" von Roman Polanski. Gegen den Regisseur, kürzlich 90 geworden, erheben seit einiger Zeit mehrere Frauen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs. Die wurden entweder nie oder nur teilweise juristisch geklärt. Einem US-amerikanischen Haftbefehl hat sich Polanski bis heute entzogen. Die Sachlage ist komplex – bei jedem neuen Werk wird alles wieder thematisiert. (Während die Filmpremieren in Frankreich meist von heftigen Protesten begleitet sind, blieb es in Venedig bzw. Italien immer ruhig. So auch gestern.)

"The Palace" ist ein Alterswerk im schlechtesten Sinne – eine heillos überdrehte Komödie voll aufdringlich schlechter Gags rund um Fäkalien, Geschlechtsteile und russisches Geld. Es geht um die Neujahrsnacht 2000 in einem Schweizer Nobelhotel. Am Ende ist man einfach nur froh, die 100 Minuten überstanden zu haben. Polanski, der einmal einer der größten Regisseure Europas war, liefert mit "The Palace" eine künstlerische Bankrotterklärung ab. Ob der Film je groß in die Kinos kommen wird, ist fraglich.

Kluge Satire über Endlichkeit und Weltwahrnehmung

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Szene aus dem Film "Die Theorie von Allem"

Ebenfalls in der Schweizer Bergen spielt der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb – "Die Theorie von allem". Regisseur Timm Kröger erzählt die aberwitzige Geschichte eines unerkannten Genies auf einem Physikerkongress 1962 in den Alpen. Der in Schwarz-Weiß gedrehte Film begeistert als kluge Satire über Endlichkeit und Weltwahrnehmung. Im Wettbewerb gab es bisher kaum Besseres zu sehen.

In Venedig laufen gerade die Filmfestspiele.
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In Venedig laufen gerade die Filmfestspiele.

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