Grit Wagner
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Geboren mit Alkoholschaden: Wie eine Betroffene damit umgeht

Ihre Mutter war alkoholsüchtig und trank während der Schwangerschaft. Mit den Folgen muss Grit Wagner bis heute Leben: Panikattacken, ein geschädigtes Gehör und Orientierungslosigkeit. Doch die 50-Jährige hat gelernt, damit umzugehen.

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Sich selbst zu lieben ist für Grit Wagner bis heute schwer. Denn als Frau mit mehreren schweren körperlichen und mentalen Einschränkungen hat sie immer wieder Ablehnung erfahren: Die alkoholkranke Mutter will sie nicht, die Verwandten wollen sie nicht und so hat sie selten echte Liebe und Wärme empfangen, wie sie berichtet.

Fetales Alkoholsyndrom: Kaum bekannt

Sie wächst bei einer Pflegefamilie auf. In der Schule und von anderen Kindern wird sie öffentlich gedemütigt, geschlagen, gehänselt – nur weil sie nicht so ist wie die meisten. Grit Wagner leidet am Fetalen Alkoholsyndrom, kurz FASD Syndrom genannt, weil ihre Mutter in der Schwangerschaft getrunken hat.

FASD ist in der Gesellschaft kaum bekannt. Deshalb leidet sie viele Jahre an Depressionen, weil sie selbst nicht weiß, warum sie all diese Defizite hat: Verzögerte Reaktionen, keine Orientierung, ein geschädigtes Gehör und Panikattacken. Die Ursachen dafür liegen an der Hirnschädigung und einem Herzfehler, ausgelöst durch die Vergiftung mit Alkohol im Mutterleib.

Sich selbst akzeptieren – ein langer Weg

2023 feiert Grit Wagner ihren 50. Geburtstag und kann sagen: "Ich habe gelernt, mich anzunehmen wie ich bin und tue das immer mehr. Manchmal gelingt es mir, dass ich mich lieb habe. Manchmal klappt es mehr und manchmal nicht. Es bleibt ein Prozess."

Ein Wendepunkt in ihrem Leben kommt durch die Hilfe ihres Nachbarn Ehrhard Lorenz. Der Senior hat jahrelang seine demenzkranke Frau gepflegt und konnte schnell erkennen, dass seine Nachbarin Hilfe braucht. Durch sein ehrenamtliches Engagement kann Grit Wagner in einer eigenen Wohnung wohnen, hat mehr Kontakte zu anderen bekommen und sich einen großen Freundeskreis aufgebaut.

Einkaufen oder auf Veranstaltungen gehen kann sie nur in Begleitung und braucht dafür ein gutes soziales Netzwerk. "Wenn auch spät im Leben, aber ich habe Freunde gefunden und das hat mich gerettet", sagt Grit Wagner.

Traumabewältigung: "Selbstliebe bringt Heilungsprozess in Gang"

Der Wunsch, einmal einen Partner zu haben und in einer Beziehung zu sein, war für Grit Wagner immer nur wie ein Traum. Sie hätte nie für möglich gehalten, dass sie irgendwann einen Freund haben würde. Nach jahrzehntelangen Kämpfen um ihren Platz in der Gesellschaft, hat sie einen soliden Freundeskreis. Sie engagiert sich im "FASD Deutschland e.V." und im "Christlichen Körperbehindertenverein Annaberg".

Dadurch lernt sie auch ihren Freund kennen, der ebenfalls eine Behinderung hat. Eine große Wende in ihrem Leben. Erst nachdem sie sich selbst annehmen konnte, war sie auch fähig, sich für die Liebe zu ihrem Partner zu öffnen. "Das war für mich wie ein Wunder. Ich werde auf einmal geliebt. Mein Freund nimmt mich so an, wie ich bin. Mit all meinen Macken und Fehlern." Auch ihr behandelnder Psychiater und Psychotherapeut, Ulrich Zönnchen, bestätigt: "Selbstliebe ist das Wesentliche, um den Heilungsprozess in Gang zu bringen." Das gelte besonders für traumatisierende Erlebnisse, wie sie Grit Wagner hatte, so der Chefarzt der Psychiatrie und Psychotherapie in der Klinik Annaberg-Buchholz.

Da sie und ihr Freund Unterstützung im Alltag brauchen und er in einer anderen Stadt wohnt, können sie sich allerdings nur selten persönlich sehen, sagt Grit Wagner. "Wir haben beide kein Auto, keinen Führerschein und sind immer auf die Hilfe anderer angewiesen. Aber wir beide haben dafür das Verständnis und nehmen viel Rücksicht auf den anderen. Ich bin immer so aufbrausend und manchmal panisch. Dann nimmt er mich in den Arm und beruhigt mich. Er sagt dann: Alles wird gut. Da fühle ich mich wie neugeboren."

Grit Wagner hat ihre Lebensgeschichte in zwei Büchern verarbeitet: "Ich, das Kind aus der Schnapsflasche" und "Der Teufel darf nicht siegen"; erschienen im Cogitare-Verlag.

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